wieder da (o.t.)

Eigentlich ein schwieriges Buch, da balanciere ich immer zwischen Beklemmung und Lachen, zwischen Entrüstung und Bewunderung für das Können, in dieser Diktion ein Buch zu schreiben. Ich höre ständig beim Lesen eine Stimme im Kopf, ich wußte nie, ist es Hitler selbst oder doch eher Christoph Maria Herbst als Hatler, der den Hitler liest, oder der Kessler als Stromberg mit Bärtchen. Wie nett, dass diese Irritation auch ein Thema in dem Buch ist.
Hitler wacht im Jahr 2011 in Berlin auf und ist seitdem „wieder da“, wird genauso verstanden, wie er sich gibt und doch gründlich gar nicht. Seine kranken Ideen und Ansichten haben sich nicht geändert, aber der Alltag um ihn herum ist sechzig Jahre weiter, wenn auch vielleicht nicht reifer. Also wird Hitler zum neuen Spassvogel des Privatfernsehens, zum Gesprächsgegenüber der NPD, von Sigmar Gabriel und Renate Künast. Und das Publikum ist genauso verunsichert und dann wieder begeistert, wie der Leser seiner Ansichten.
Timur Vermes hat als Ghost Writer und Magazinautor genug Einsicht in den Literaturbetrieb und vermutlich auch in die Mechanismen des Fernsehens, was diese Abläufe beinahe glaubhaft macht. Trotzdem möchte man ständig den Kopf schütteln, das das in Deutschland tatsächlich möglich sein soll. Wirklich beeindruckend ist aber die treffende Sprache von Adolf Hitler, wenn man sie überhaupt so nennen will, schön grauselig anachronistisch blumig, die armen Lektoren, die hier gerne sämtliche Höllenmetaphern und Adjektive streichen wollten. Das ist auch eine Form von Literatur: Genauso schreiben, wie jemand spricht, ohne aufzusetzen, trotzdem die Satire zu halten, ohne in die Peinlichkeit zu rutschen. Klasse.

Eine Hitlersatire wie soviele? Wie Switch/Stromberg oder Helge Schneider? Sicher. Na und? Der Reiz ist der Gegenwartsbezug, letztendlich ist es nicht die Person, die satirisch verarbeitet wird, sondern unser Zeitgeist.

Timur Vermes: „Er ist wieder da“

12 Antworten auf „wieder da (o.t.)“

  1. ich schaetze und kenne timur vermes als autor schon sehr, sehr lange, der schreibt klasse. das buch kommt super rein, aber ich gebe zu, ich habe es dann doch erstmal wieder weggelegt, igrendwie blieb mir im urlaub das lachen dann doch zu sehr im halse stecken…

  2. Bereits gekauft, aber noch nicht gelesen, da ich mich im Moment noch durch den neuen Rowling quäle. Das Buch mußte ich einfach haben, schon allein wegen des Covers. Einfach genial in der Redukltion und grafischen Schlichtheit.

  3. Weil du die Stimme erwähnst: Was mich bei so ziemlich allen Versuchen dieser Art stört ist die Tatsache, das er eben nicht so war, wie er nachgespielt wird. Sowohl die ernsten Versuche („Der Untergang“) wie auch alle Satiren darüber.
    Das geht schon bei der Stimme los: Wenn er gerade mal nicht auf dem Podium stand und Reden hielt, dann rollte er das R nicht, sprach ruhig und hatte – wie Zeitzeugen sagten – sogar eine angenehme Stimme ohne Kratzen.
    Da ich diesen Kalkhofe / Switch – Humor nicht mag, würde mir das Buch sicher nicht gefallen.

    1. Tja die meisten kennen nur die Tonbandaufnahmen von damals, und da hat man ja eher die Reden aufgezeichnet, auch damals haben die meisten den nur bei Reden gehört.
      Wir wissen ja auch nicht was Merkel wie zu Rössler sagt 😉

      Und somit ist die Stimme ein Markenzeichen von Hitler geworden, auch wenn er normal geredet haben sollte. Ebenso wie Scheitel und Schnurbart.

      1. Ich glaub privat redet sie so wie Hitler 🙂
        Ne aber ich hab vor vielen Jahren wirklich eine Rede von ihm als MP3 gehört, die er wohl im kleinen Kreis gehalten hat, in der seine Stimme ganz „normal“ klang. Es muss eine späte Rede gewesen sein, das Thema war England und Churchill, er amüsierte sich dort auch über englische Musik. In der Rede kann man seine „echte“ Stimme hören. Weil es keine typische Hetz-Tirade war, wurde sie wohl nie in den aktuellen Dokus verwurstet.

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