Die Sache mit dem Stuhlgang

Es geht um Jolyn-Mary – zwei Monate alt, die Eltern beklagen sich bereits seit Wochen, das Kind habe einen spritzend-dünnen, riechenden Stuhlgang.

„Kann man da nicht mal eine Stuhluntersuchung machen? Ich habe Ihnen da was mitgebracht…“ Der Vater hält mir unaufgefordert eine gefüllte Windel unter die Nase.
Ich lehne dankend ab.
Die Zeiten der olfaktorischen Ausscheidungsbegutachtungen sind vorbei, früher haben wissende Mediziner sogar den Finger in ebensolche gesteckt, wahlweise am Urin genippt, um zu sehen, ob der Patient süß schmeckt (Diabetes mellitus – honigsüßer Durchfluss). Klar kann man manche Darminfekte am Geruch erkennen (Rota und der beliebte Noro sind da gute Beispiele), aber ich verlasse mich alleine auf die Aussage „Riecht es anders als sonst“, was bereits auf eine infektiöse Geschehen schließen lässt.

„Mal so eine Laboruntersuchung wäre gut“, meint der Vater noch. „der Doktor Allgemeinhecht macht das immer.“
Bringt aber nicht wirklich viel. Ob ein Kind jetzt Rota-, Entero-, Noro- oder sonst-wie Viren ausscheidet, ändert an der Therapie gar nichts. Schließlich behandelt man bei einem Durchfall den Zustand des Kindes (Austrocknung, Elektrolytentgleisung) und nicht den zugrunde liegenden Erreger. Kann man bei Viren bekannterweise sowieso nicht. Aber auch Salmonellen oder Lamblien, Amöben oder Shigellen, also die bakteriell bzw. parasitäre Variante, lässt sich nicht antimikrobiell behandeln.
Da hilft sich der Körper alleine: Es wird solange ausgeschieden, bis die Erreger raus sind. Unarten wie Im.o.dium verzögern die Ausscheidung und verlängern die Leidenszeit. Wer geht schon mit einem Durchfall auf Fesselballon-Reise, wie uns die Werbung suggerieren will?
Problematisch ist es nur, wenn des Kindes Eltern im Gastronomiegewerbe tätig sind. Hier bedeutet ein Salmonellennachweis unangenehmen Kontakt mit dem Gesundheitsamt. Da untersuchen wir dann auch den Stuhlgang.

„Vielleicht hat der ja eine Dysbalance der guten Bakterien“, sagt der Vater. „Der Heilpraktiker meint, das kann man mal nachschauen.“
Kann man schon – ganze Labordynastien verdienen sich daran eine goldene Nase. Die normale Darmflora in einer Stuhlkultur abzubilden, die an einem bestimmten Tag abgenommen wird und entweder bei Minus 10 Grad im Postkasten liegt (verpackt) oder wahlweise bei 30 Grad (noch besser verpackt), kommt einem Zahlenhinwürfeln gleich. Außerdem gibt es gar keine Normwerte für die normale Besiedelung des Darms. Und genauso häufig wird eine Überbesiedelung mit Candida (einem Pilz) gefunden, wogegen die entsprechenden Labors praktischerweise gleich noch die passende Therapie anbieten. Das Ganze grenzt an Patientenabzocke, hat aber eine enorme Theorieunterfütterung in den Esoterikecken des Internets.

„Jetzt schauen Sie doch mal, bitte.“ Der Vater lässt sich nicht abwimmeln. Ich schnappe mir zwei Plastikhandschuhe, entfalte feierlich das dargebotene Präsent: Gut gefüllt. Ocker-gelb, flüssig-senfig. Wohl riechend – beinahe aromatisch.
„Ist das nicht schlimm? – ganz dünne, wie Wasser. Und das stinkt!“ Er ist total entrüstet über das Leiden seiner Tochter.
Ich lächele wissend, reiche ihm die Windel zurück zur Eigenentsorgung im häuslichen Mülleimer: „Passt schon, so sieht Muttermilch-Stuhl eben aus. Da müssen Sie sich jetzt wohl dran gewöhnen.“
Geschmäcker sind eben verschieden.

38 Antworten auf „Die Sache mit dem Stuhlgang“

  1. Einmal habe ich blöderweise bei Durchfall meines Kindes den Stuhl untersuchen lassen. Das Ergebnis war, dass wegen eines unklaren Befundes alle Kontaktpersonen Stuhlproben abgeben mussten. War für die Tagesmutter natürlich besonders lustig, weil sie das für alle ihre Tageskinder (und das waren nicht gerade wenige) erledigen durfte. Herausgekommen ist dabei genau nichts, der Durchfall war längst vorbei, bevor irgendwelche Ergebnisse eintrudelten. Nie mehr wieder, habe ich mir geschworen.

  2. eine kurze frage, wenn das mädchen krank gewesen wäre, hätte man da den stuhl untersucht? auch wenn es vermutlich von viren ausgegangen wäre? die behandlung mag ja die gleiche sein, aber sollte es nicht zwecks empirischer forschungen gemacht werden?

    1. wie jetzt empirische Forschung? Bin ich ´ne Uni? 😉
      Spass beiseite: Bei mehr als drei oder vier Erkrankten in der Umgebung – Familie – mache ich dann auch mal eine Kultur, der Rest ist Sache des Gesundheitsamtes

  3. Ich finde es durchaus verständlich, wenn Ersteltern besorgt sind.
    Allerdings: Auf die „Tücken“ des Muttermilchstuhls wurde ich nicht nur von meiner Hebamme hingewiesen, sondern auch im Geburtsvorbereitungskurs UND dann nochmal im Krankenhaus nach der Entbindung von den Kinderschwestern. Auch, auf das „Nachlegen“, wenn die Windel herunten ist. Gerade eben wegen dieser Konsistenz. Deshlab verstehe ich nicht, dass die wohl noch gar nie was davon gehört haben…

  4. So ganz abwegig finde ich das Verhalten des Vaters nun nicht, Muttermilchstuhl sieht nunmal so aus wie beim Erwachsenen heftiger Durchfall. Und selbst wenn man x Mal vorher was drüber gelesen hat, staunen tut man hinterher doch. 🙂 Mich wundert nur auch, dass es da keine Freunde/Verwandte und vor allem Hebamme gab, die beruhigen konnte. Letztere wird sogar von der Kasse bezahlt und das ist auch wirklich mal sinnvoll. Okay, nicht wenn sie völlig abgehoben esoterisch unterwegs ist, aber meiner bescheidenen Erfahrung nach sind das die wenigsten.

  5. Hahaha. Muttermilch in der Windel ist doch harmlos. Mal schauen wie der reagiert, wenn das Kind dann irgendwann feste Nahrung bekommt…

    1. Und wenn dann erst Fleisch dazu kommt… .
      Obwohl ich persönlich mal eine ganz furchtbare Begegnung mit einer Windel voller Brokkoli-Stuhlgang hatte. Ich werde nie wieder Brokkoli unbedarft essen können!

  6. Dumme Frage: Amöben, Lamblien, Shigellen und wie diese richtig fiesen Dinger alle heißen, kann man aber doch – ganz effizient – behandeln? In der Tropenmedizin wird das doch gemacht?

  7. Naja, so abwegig finde ich es eigentlich nicht, die Windel mitzubringen? Der Vater kennt sich eben noch nicht aus und hat sich Sorgen gemacht. Haben Sie ihn allen Ernstes die volle Windel wieder mitnehmen und zu Hause entsorgen lassen?

    1. Ja sicher. Bei ca. 60 Windelkindern pro Tag macht das, Moment, doch, ja, Tonnen an Praxismüll = Restmüll, das kostet richtig.
      Leider müssen hier auch alle Windeln wechseln; und wenns nur zwei Tropfen sind

      1. Das würde mich wirklich stören, volle Windeln in die Wickel+Babyessen-Tasche quetschen zu müssen.

        Wäre ich bei Ihnen, würde ich vermutlich die schnöselige Privatversicherte machen: „Dann setzen Sie mir die Entsorgung bitte auf die Rechnung.“

        1. Denken Sie, das ändert was? Dieser peinlichen Aufforderung gibt sich niemand hin – hier haben genug Leute ein ökologisches Gewissen.
          Und für die Handtasche gibt es nette Plastiktütchen – absolut geruchs- und auslaufsicher. Die geben wir gerne mit.

        2. Klar, „volle“ Windeln (hier war die Rede von 2 Tröpfchen) mit aus der Praxis zu nehmen und draußen in den nächsten Mülleimer zu werfen, das ist echt ’ne Zumutung :roll:.

          Als ob Eltern ein Recht darauf hätten, überall und jederzeit ihren Müll abzuladen…

      2. Komisch, irgendwie ist das mit dem Windelwechseln in der Praxis so wie mit den Besuchen dort an Feiertagen: Klar, machte ich das, wenn es sein MUSS, aber nur weil ich da gerade Zeit habe?! Der Wickeltisch in der Praxis unseres Kinderarztes sieht zwar immer sauber aus, aber alleine der Gedanke, wie viele Durchfallkinder da heute eventuell schon gewickelt werden mussten… . *grusel*

  8. bei „dünn-spritzend“ war mir schon klar, was das für ne schlimme krankheit ist. 😀
    (hab da schon so einschlägige erfahrungen mit zwerg-legt-noch-mal-nach-sobald-mama-die-windel-aufmacht)
    mein mann meinte mal, muttermilchstuhl rieche wie käsekuchen. hat mir für ne weile den genuss desselbigen verdorben.

  9. Da stimme ich chasolu zu. Unsere Hebamme, von der wir natürlich achte, das bräuchten wir nicht hat uns da auch in vielen Details Ruhe gegeben, über die wir uns sonst Gedanken gemacht hätten. Man kennt sich als bisherige Nicht-Eltern dann doch nicht so gut aus wie man denkt.
    Wenn die Hebamme aber selbst schon esoterisch angehaucht ist, kann sowas dabei rauskommen.

      1. Ich will hier ja nicht die Hebamme schlechtmachen, aber wenn weder sie, noch der Hausarzt, noch der Heilpraktiker die das arme Kind in den ersten 2 Monaten begutachtet haben eine Ahnung haben, wie Stillstuhl aussieht, mach ich mir ein wenig Sorgen um die zukünftige medizinische Betreuung des Kindes. Dass der Kiderdoc erst nach den beiden letzteren aufgesucht wird macht es nicht besser.

  10. immerhin wurde nur eine windel mitgebracht 😉

    beim internistenchef saß eines morgens ein patient mit gefüllter discountertüte im sprechzimmer – und deren inhalt war in keinster weise auch nur ansatzweise in ein laborbehältnis abgefüllt…

  11. was denn, Dok, Du behandelst nicht das arme Virus (wohl, weil es keine KK-Karte hat) sorry, aber ich schreibe gern das, was mir „in situ“ einfällt 😉
    Deshalb auch mein Zitat vom legendären Duo Schobert und Black, welches sich sicherlich auch auf Ärzte übertragen lässt:
    „nur ungern nimmt der Handelsmann statt baren Geldes Stuhlgang an ..“

  12. Aber danke trotzdem für die deutliche Zusammenfassung der Tierchen, die das Gedärm aus dem Ruder laufen lassen… wir sitzen nämlich grade mit beiden Kindern wegen Durchfall zu Hause und harren der Symptomfreiheit… 🙂

  13. Über den aromatischen Geruch würde ich mich streiten. Unser Stillkind hat ne Marke, dass ich oft blass werde. Aber wenn das das einzige „Problem“ ist, will ich mich gerne damit arrangieren.
    Wundert mich nur, dass sie sich nicht über die Häufigkeit bzw. Nicht-Häufigkeit ausgelassen haben. Oder es kommt noch. In der Anfangszeit kam es bei uns auch mehrmals täglich, mittlerweile nur noch 1-2 Mal pro Woche (dann aber heftig). Ich wette, die stehen in ein paar Wochen wegen „Verstopfung“ wieder auf der Matte 😉

  14. Für die angestrebte Balance der guten Darmbakterien würde ich dringend empfehlen, auf Impfungen gänzlich zu verzichten und zweimal täglich Heilerde in die Muttermilch zu mischen ;-).

    Achje. Ein zwei Monate altes Baby mit ganz normalem Stuhl – und war schon beim Heilpraktiker, Allgemeinmediziner und wetten, auch beim Ostheopathen.

  15. Shigellen, Amöben, Salmonellen und Lamblien lassen sich nicht antimikrobiell behandeln?
    Der Vorteil wenn man nicht untersucht ist wohl eher daß man sich die Arbeit der Meldepflicht nicht machen muß – ob das Gesundheitsamt daüber so glücklich ist sei mal dahingestellt. Antimikrobiell behandelbar sind sind sie alle, zum Teil wird das vom RKI sogar empfohlen (Shigellen). Obs Sinn macht oder nicht hängt wohl eher von der Klinik ab.

    1. Der Meldepflicht muss eh das Labor nachommen, nicht der Arzt (solange es kein Epidemiehaftes Auftreten o.ä. ist) insofern ist das Argument der Arbeitsersparnis hier (ausnahmsweise mal) unangebracht. Aber auch ansonsten gilt: Wenns nicht von allein verschwindet, kann man immer noch die Diagnostik & Therapie beginnen/ausweiten, was von voreiligen Antibiotikagebrauch zu halten ist wissen Sie aber vermutlich selbst.

  16. @Laborfee: Vollkommen richtig! Das hast Du doch auch gekonnt. Oder? 😉

    @Problem: Als mein Kindelein zwischen 1 und 3 Jahre klein war, hatte das eine Stuhl-Geruchsnote, die mich jedesmal vor Grauen erstarren & erbleichen lies, und die selbst der (fachbezogenen und einiges gewöhnten) Frau Mama die Augenbrauen in die Stirne und die Tränen in die Augen trieb. Ungesund hat es aber nur gerochen…

    @Kinderdok: Ich hoffe, ich spreche jetzt in Ihren Namen, wenn ich nochmals betone: Loperamid niemals unter 2 Jahre, und zwischen 2 und 13 Jahre nur mit Begleitung des Kinderdocs! Der Im.-Saft ist nicht umsonst verschreibungspflichtig, die Tabletten/Kapseln/wasauch immer viel zu hoch dosiert für Kinder. Für die Interessierten: Dieser Wirkstoff kann bei Erwachsenen die Blut-HIrn-Schranke nicht oder nur sehr schlecht überwinden, was die schlimmsten Nebenwirkungen „aushebelt“. Bei Kindern (und insbesondere bei Kleinkindern) ist dieser Schutzmechanismus des Nervensystems bei weitem noch nicht funktionstüchtig. In solch einem Fall (und insbesondere bei dann noch falscher Dosierung) kann als Nebenwirkung dann unter anderem eine „Atemdepression“ – eine Herunterregelung der Lungentätigkeit bis zum vollständigen Atemstillstand – eintreten. Nicht gesund. Und nur mit schwerem technischen Gerät in den Griff zu bekommen. [Ansonsten: Wenn ich zuviel Fach-Info getextet habe, bitte streichen!]

  17. Hihi, mir hat meine Ma vor ein paar Jahren auch die volle Windel meiner Schwester gereicht und gesagt, ich möge doch bitte mal schauen, ob der Stuhl krank aussieht. Als Laborfee sieht man das bekanntlich schon, indem man das U-Material gegens Licht hält. 😉

  18. Männer haben generell eine weit geringere Toleranzschwelle für die Ausscheidungen von Kindern, habe ich den Eindruck. Aber da muss er jetzt tatsächlich durch, der Papa.

  19. Wie der Muttermilich-Stuhl aussieht und riecht, hat mir die Hebamme schon vor der Geburt gesagt 😉 Wer zuhört, erspart sich den Gang zum Kinderarzt 😀

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