Filofax-Eltern IV

Mönsch, schon wieder ein Jahr vorbei, sie waren recht selten da in dieser Zeit, meine Filofax-Eltern, mal eine Erkältung hier, mal ein Durchfall da, nach der Akte nur dreimal im ganzen Jahr. Das spricht für ein gesundes Kind oder gesunde Eltern, jedenfalls, was den Umgang mit Akuterkrankungen angeht. Heute also die U7plus, die Vorsorgeuntersuchung mit Drei – bereits schulvorbereitend – jedenfalls aus Sicht mancher Kindergärten oder der Eltern.
Vater Filofax hat heute gar kein technisches Equpiment dabei – ich bin etwas enttäuscht – dafür zeigt mir die Mutter die ersten Malversuche ihrer Tochter.
„Sehen Sie, das ist unser Haus“, sie deutet auf ein Konglomerat aus Strichen und Kreisfiguren.
„Wunderbar, die Linien sind schon geschlossen“, lobe ich, „das sieht man immer gerne in diesem Alter.“
„Das kann sie ja sonst viel besser“, winkt der Vater ab. „Letztens hat sie mein Auto gemalt, wissen Sie, wir haben so einen Opel Zafira, der hat so ein einen Klappmechanismus für die Hintersitze, da kann man…“
„Ach, Schatz, lass mal“, unterbricht ihn die Mutter. „Tut doch jetzt nichts zur Sache.“
Zu mir: „Aber schön war das mal schon.“ Ich stelle mir ein ähnliches Kunstwerk wie das „Haus“ vor, sage aber lieber nichts. Wir Kinderärzte sind schon sehr streng: Strichfiguren und Kreisfiguren – wunderbar. Bildliche Darstellungen? Unwahrscheinlich. Aber alles in der Perspektive des Betrachters.

Bela-Maryke zeigt sich von ihrer besten Seite – ganz ohne Häme. Sie lässt sich untersuchen, sie zeigt mir alle Sprachbilder, sie hüpft und läuft rückwärts, kann schon die Farben zuordnen und zählt („Eins, Zwei, Vier, Sechs“ – vielleicht hat die Zahlenfrühförderung des Vaters doch Früchte getragen, diesmal mit Häme). Nur gegen Ende spielt sie die Prinzessin, entdeckt sie doch plötzlich, dass sie alles mitgemacht hat, was sie eigentlich doch nicht wollte. Ausgerechnet beim Ballkicken steht sie da wie eselstur, auf meine wiederholte Aufforderung zieht sie eine Flunsch und schaut mitleidsheischend nach der Mama: „Mamaaaah!“
„Komm, das kannste doch“, sagt der Vater etwas zu bissig.
„Mamaahaa!“
„Musste auch nicht, wenn Du nicht willst“, rettet sie die Mutter.
Worauf Bela-Maryke mit schwimmenden Augen in den rettenden Schoß der Mutter flüchtet.
Ach, ich liebe die kleinen Tyrannen.
„Zuhause kannses“, murmelt der Vater, sichtlich enttäuscht, dass seine Tochter nicht gut genug perform-t.
Und die Mutter verbringt den Rest der Vorsorge damit, das Kind unter Gebrülle anzuziehen.
Als hätte ich es geahnt.

Dennoch bin ich zufrieden.
Wir unterhalten uns noch etwas über diametrale Erziehungsstrategien der Eltern und wie man mit der Selbstbestimmung der Kinder umgehen kann, ohne sie gleich zu willfährige Mitläufer zu machen. Mein Optimismus der U3 war begründet – im Rach´schen Sinne „mache ich mir um die Entwicklung dieses Kindes keine Sorgen mehr.“

18 Antworten auf „Filofax-Eltern IV“

  1. Möglicherweise sehen wir manche Dinge auch anders. Bei Bagatellerkrankungen (und da gehört für mich bei Kindern ohne Krampfneigung auch mal 40° Fieber dazu, kann auch der beste Kinderarzt nichts ausrichten. Und bei den gängigen Kinderkrankheiten kann man außer einer symptomatischen Behandlung die sich meistens auf die Gabe von Ibuprofen-Saft beschränkt, nicht viel machen.
    Anders sieht es natürlich bei Unfällen aus.
    Aber wenn ich sehe wegen welchen Kinkerlitzchen viele aus dem Bekanntenkreis die Kinderärzte der Umgebung stressen……

    1. Auch hier kann man nicht generalisieren, finde ich. Jedes Kind ist anders, jedes Kind reagiert anders – auch auf Bagatellerkrankungen. Bei allem, was sich über drei Tage zieht, lasse ich z. B. nachsehen. Und die Diagnosen geben mir dann meist recht. Wie oft ist aus einer kleinen Erkältung eine MOE geworden, aus harmlosem Magen-Darm-Infekt ein Kind mit Austrockungserscheinungen plus stationärer Einweisung. Natürlich gilt es ein gesundes Mittelmaß zu finden. Aber auch dahin müssen – gerade Neueeltern – ja erstmal kommen. Am besten doch mit der Unterstützung ihres Kiartzes. M

      1. Da unterschreibe ich jedes Wort! Wegen Bagatellen gehe ich gewiss nicht zum Kinderarzt, aber wenn sich 2 Kinder den ganzen Winter lang mit Bronchitiden, Mittelohrentzündungen und Lungenentzündung abwechseln, kann man nun mal beim Kinderarzt direkt ’ne Abokarte lösen ;-). Von daher: Ich empfinde dreimal im Jahr als echt selten – inzwischen sind *klopfaufholz* auch dort angelangt.

        1. Leider muss ich auch mit meinem Kleinen bei Bagatellkrankheiten Fieber + Schnupfen zum Kinderarzt. Ab 38,5 ruft die Krippe an – und ich muss ihn abholen und mit dem armen Tropf los… Meinen Arbeitgeber freuts..

          1. Na, als gute Mutter geht man ja auch nicht arbeiten ;-)!

            Nee, quatsch. Diese ganzen Krankheiten mit einem Job in Einklang zu bringen, das ist echt hart, wenn man keine immer verfügbaren Großeltern in petto hat. Kenne ich bestens…

    2. Wir sind in den ersten beiden Jahren auch ein paarmal mehr als nötig beim Kinderarzt gewesen, haben den Besuch aber immer mit den Worten eröffnet: „Ist wahrscheinlich nur Erst-Eltern-Panik, aber …“

      Damit kann unser Doc dann ganz gut umgehen …

  2. mit 3 Besuchen/Jahr/Kind schon gut? Ich komm im Regelfall mit 2 Kindern incl. Us nicht auf 3 Besuche im Jahr^^. Obwohl ich meinen Kinderdoc sehr schätze.

    1. Ich bin ja schon froh wenn ich nicht 3x im Jahr im Kinderkrankenhaus sitze.
      Biss in die Weihnachtskugel, Blut gespuckt, Pseudokrupp, vom Esstisch gesprungen, vom Mäuerchen geschubst worden, Hüftschnupfen… Ich fahr da ja nicht nur hin, weil ich die Ärzte schätze oder mir langweilig ist.
      Ich renne auch bestimmt nicht wegen jedem Schnupfen zur Ärztin, aber wir kommen schon mit den normalen Terminen (U’s, Impfungen, Kontrollgespräche zur Ergotherapie) auf einige Besuche, und im Kindergarten holen sich die Klinder auch hier und da mal was fieses.

  3. Ich mag die Filofax-Eltern samt Kind und freue mich ehrlich, dass sich alles so fein entwickelt.
    Ansonsten bin ich vom vorletzten Abschnitt bzw. dessen Unterton irgendwie unangenehm berührt. Mein Kind hat in der U7a (und in denen davor und im Sprachtest und beim Augenarzt und eigentlich immer bei Ärzten) eigentlich nichts bis wenig gemacht. Und nein, es ist kein kleiner Tyrann, sondern ein zutiefst unsicheres Kind mit in der Biografie liegenden Gründen dafür (Adoption), die auch entsprechend therapiert werden, aber das nur nebenbei. Wie oft hab ich den Satz: „Ich versichere ihnen, das Kind kann…..“ gesagt und genau gewusst, wie er klingt. Und ich war auch nie enttäuscht über die Darbietung meines Kindes, dass es toll ist, weiß ich so oder so, aber es war immer ein Kampf, so sollte es z.B. erst eine Brille bekommen, weil es „nichts sieht“ beim Sehtest. Seh ich auch nicht, wenn ich nicht hinschaue. Mir bricht heute noch der Schweiß aus, wenn ich an all diese Situationen denke.
    Aber wenn ich mir vorstelle, dass die jeweiligen Ärzte / Therapeuten mein Kind zum Tyrannen und mich zur unfähigen Mutter erklärt hätten, wenn auch nur gedanklich, bin ich, s.o., heute noch unangenehm berührt.
    Inzwischen hat mein Kind vieles aufgeholt und macht alles mit, sei es die Untersuchung beim Augenarzt, wo sich die Augen plötzlich auf 100% Sehkraft „verbessert“ haben (NEIN, HABEN SIE SICH NICHT, sie waren immer sehr gut, das Kind macht nur inzwischen die Aufgaben), die U9 oder die EInschulungsuntersuchung, vor der es mir schon Jahre vorher graute.
    Gut, ist bei Filofax-Tochter nun nicht der Fall, aber vielleicht ist die Welt doch nicht so einfach, wie sie manchmal scheint. Vielleicht hat sie nicht plötzlich gemerkt, dass sie aus Versehen alles mitgemacht hat, sondern es war einfach mit der Konzentration vorbei, auch eine mögliche Erklärung. Trotz der positiven Beurteilung der Familie hätte ich mir in dem Fall etwas mehr Milde gewünscht.

  4. Jetzt muss ich doch mal fragen: wir waren letzten Monat zur U7a bei unserem (ansonsten wohlgeschätzten) Kinderarzt. Dauer der Untersuchung vielleicht 5min? Messen, Wiegen, Ausziehen, Abtasten, Gelenke , Wirbelsäule überprüfen. Dazu den Mannheimer Fragebogen (Schlafen? Trotzen?) den ich vorher ausgefüllt habe, dazu keine Rückfragen. Das war die ganze Untersuchung.
    Ist der Kinderdoc selten genau oder ist mein Kinderarzt selten knapp dabei?

    Da ich ansonsten zufrieden bin, mag ich den Kinderarzt nicht wechseln – wie kann ich denn die sprachliche Entwicklung etc selbst überprüfen, gibts da qualifizierte Fragebögen im Netz oder soll ich beim Kinderarzt nochmal nachhaken?

    1. Mmh. Vielleicht bin ja Dein Kinderarzt. Und das ist hier alles nur Bluff. Oder vielleicht ist Dein Kind so fit, dass dein Kinderarzt ratzfatz die Vorsorge macht, um mehr Zeit für die problematischen Kids zu haben. Ganz positiv gemeint.

      Ein guter Test für Sprache bei 3jährigen: http://www.kjp.med.uni-muenchen.de/download/SBE-3-KT.pdf
      Und wer das selbst auswerten will, hier das Handbuch: http://www.kjp.med.uni-muenchen.de/download/SBE-3-KT_Handbuch.pdf

      1. Das Anonymchen von oben mit der U-Frage: danke für die links! Aber gar nicht so einfach, das alles auszufüllen, ohne es sich schönzureden…

    2. Bei uns macht der Kinderarzt auch nur, was du beschreibst, aber dem geht eine recht ausführliche Testung durch eine Assistentin mit pädagogischer Zusatzausbildung voraus.

      @kinderdoc: Danke für die Filofax-Reihe. Ich finde das eine gute Idee und würde mir wünschen, Du würdest weitere „Mini-Serien“ auflegen. Was ist z.B. aus dem Peterle bzw. seinen Eltern geworden? Und aus dem kleinen Jungen, den Du mit seinem Vater an einen Baum pinkeln geschickt hast (wenn ich mich richtig erinnere)?

  5. Könnte der Herr Kinderdokter vielleicht mal etwas ausführlicher zu den beiden Themen

    – „diametrale Erziehungsstrategien der Eltern“ (der Hauptgrund, warum die Mutter meiner Kinder jetzt allein“erziehend“ ist)

    – „und wie man mit der Selbstbestimmung der Kinder umgehen kann, ohne sie gleich zu willfährige Mitläufer zu machen“

    bloggen. Das wäre sehr nett. Danke!

  6. Ich wäre schon froh, wenn meine Lütte überhaupt irgendwas macht…außer „Mama“ sagt die gar nichts beim Arzt, weder zur Schwester beim Hörtest noch zum Arzt selber. U-Untersuchung wurde abgebrochen, weil sie den Onkel Doktor verarscht hat… Und draußen zeigt sie mir dann stolz, dass sie eben doch auf einem Bein hüpfen kann 🙁 Ja, die lieben Kleinen…freu mich schon auf die Vorschuluntersuchung!

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