Tobak für Haile

Und dann war da der zwoeinhalbjährige türkische Junge, der am Donnerstagnachmittag – sein eigener Kinderarzt hatte freien Nachmittag – in meiner Praxis auf der Liege saß und japste wie Haile Gebrselassie am Ende der zehntausend Meter, nur nicht ganz so entspannt. Auch ohne mein Stethoskop zu bemühen war ihm die weitreichende Obstruktion der Bronchien anzusehen und anzuhören. Vom echten Atemgeräusch gab es nicht mehr viel, alles nur noch ein einziges Giemen, Brummen und Quietschen. Sauerstoffsättigung immerhin noch bei 92%.

Die Mutter zeigte sich überrascht über meine Diagnose einer Bronchitis, schließlich war die Vorgeschichte mit „der hustet schon zwei Wochen, kann man da nichts machen?“ erstaunlich unaufgeregt. Meiner Gegenfrage, ob sie denn schon bei ihrem eigenen Kinderarzt war, erwiderte sie mit „logisch, paar Mal“ und einem Griff in die Lidltüte, aus der sie diverse Medikamentenschachteln mit – sic! – dem berühmten roten Streifen auf weißem Grund hervorzog.
Der Kollege sah ein „bisschen Erkältung mit Husten“, so die Mutter, und vielleicht war das so auch die letzten zwei Wochen so gewesen, aber irgendwann kippt das System.
Auch wenn die Mutter sagte, so „pfeifen“ würde der Held schon seit Montag. Und da war sie noch beim Kollegen zum Abhören gewesen.

Sie hatte einen Kochsalzvernebler zu Hause und inhalierte darüber: Nicotiana comp. und Cuprum aceticum comp., außerdem darf der Junge noch Petasites comp. einwerfen. Und das allerliebste Umckaloabo fehlte auch nicht. Auch wenn ich nun wirklich kein ausgewiesener Homöopath bin, so bin ich des Lateinischen sehr wohl mächtig, und rechnen kann ich auch. Hier verdampfte also eine D9-Verdünnung (1:1000000000) Tabak mit Kupferacetat und Rinderniere. Und als Zückerli gab es noch Weisstanne, Spitzwegerich und Pestwurz.

Ich weiß nicht, was mich hier am meisten stört:
– dass der Kollege tatsächlich denkt, Medikamente, die sehr wohl gegen Husten eingesetzt werden (Spitzwegerich und Kamille), in dieser Verdünnung etwas bewirken. Ganz abgesehen davon, dass er damit dem Prinzip Hahnemanns entgegensteuert, dass man um ein Übel zu bekämpfen, das Übel in hoher Verdünnung geben muss, und nicht das Therapeutikum.
– dass die Mutter nicht aufgeklärt wird über die Krankheit oder die fehlenden Eigenschaften bzw. Wirksamkeit der Therapie
– dass dem Kind die nötige Therapie vorenthalten wird.

Ich überflog die Inhaltsstoffe der Präparate, während der Junge die nötige Inhalation bekam (und prompt entspannter durchatmete) und erläuterte der Mutter die Mittelchen. Sie hatte keine Ahnung, um was es sich da handelte. Das einzig wichtige, was ich noch erfuhr, war, dass ihr Mann „gar nicht zu Hause rauche“, sondern nur auf dem Balkon.

Insofern war der Tabak in der Inhalationslösung im Hahnemannschen Sinne die richtige Wahl: Gleiches mit Gleichem bekämpfen. Ob das der Globulikollege auch so gesehen hat?

31 Antworten auf „Tobak für Haile“

  1. Meine Nase ist jetzt nicht so richtig gut, aber ich schnuppere den Kümmel auch raus. Insofern würde ich k. mal zustimmen. Da ist unpotenzierter Kümmel drin. Ansonsten bewerbe ich mich bei Wetten dass als „Globuli-am-Geruch-Erkennerin“. 😀

  2. Ehrlich gesagt bin ich aus dem Beipackzettel auch nicht so schlau geworden.

    Das mit dem beruhigenden Arztbesuch stimmt schon. Aber da war schon der wegen der Tränengangenge. Und der beim Notarzt wegen den Koliken. Und die Hebamme beruhigt doch auch. Diese Woche ist der logistische Aufwand zum Glück noch zu groß (Zwillinge und Mama allein zu Haus). Aber nächste Woche beginnt meine Elternzeit. Mir schwant etwas…

    🙂 Mir wurde in einem Zwillingsforum auch schon gesagt, daß Arnika bei ihren Kindern geholfen haben, als ich mal was gegen Homöopathie geschrieben habe. Die Prellungen sind auch sicher schneller verschwunden als ohne! Ich hab mit meiner Frau ausgemacht daß wir ein bewährtes natürliches Mittel einsetzen werden, wenn’s soweit ist: pusten und Bussi drauf.

  3. Jetzt muss ich mich mal ausheulen: ich hab verloren. Gegen die sicher bekannten Kümmelzäpfchen. Krönung war gestern Abend die Frage meiner Frau, was wir tun wenn die Zäpfchen nicht wirken, ob wir zum Arzt gehen. Äh. Die sind homöopathisch. Da wirkt nix. Und gegen Drei-Monats-Koliken kann der Arzt leider auch nichts machen.

    1. Ich dachte immer, in den Kümmelzäpfchen sei tatsächlich eine nachweisbare Menge Kümmel enthalten (sprich als pflanzlicher Wirkstoff tatsächlich vorhanden und wirksam), plus eben noch irgendwas auf homöopathischer Ebene (eben der Tropfen im Mittelmeer…)? Kann mich aber auch irren! Aus den im Netz auffindbaren Beipackzetteln werde ich jedenfalls dahingehend auch nicht wirklich schlau. *grmpf* Habe aber selbst nie welche verwendet.

      Trotzdem wirkt so ein Arztbesuch auf Jung-Erstlings-Mütter gerne mal beruhigend *bittenichthauen*. Und wenn der Arzt gut ist, dann nimmt er vielleicht einfach die Angst, dass das Kind gerade furchtbar unter Blähungen/Schmerzen leidet.

      Bei uns ist es übrigens anders herum, da schleppt Papa gerne mal die Arnika-Kügelchen an. *seufz*

    2. Die Zäpfchen sind in so fern nicht ganz doof da der bloße Akt des Zäpfchengebens manchmal schon reicht, das Kind anzuregen ein bisschen Druck abzulassen. Bei meinen jedenfalls blieb das Zäpfchen nie lange drin und sie waren hinterher sichtlich erleichtert 😉

      1. Das ist auch das, was ich meiner Frau gesagt habe. Gibt ja auch nicht umsonst manchmal den Tipp mit dem Fieberthermometer.

  4. Rinderniere?! Wofür/Wogegen soll dass denn bitte (inhaliert!) angeblich gut sein?! Wie auch immer… irgendwie schafft es die homöopathische Zunft doch, mich immer wieder aufs Neue in Erstaunen zu versetzen. Auch was wert!

    1. In England gibts Murus Berlinensis (also Berliner Mauer). Nimmt man gegen Abgrenzungserscheinungen. Und das ist kein Joke.

        1. Ach wenn Dir das gefällt, dann hab ich noch einen:
          In Euphorbium Nasentropfen (homöopathisches Mittel bei Schnupfen) war früher mal „Mucosa nasalis suis“ (lat. für Schleimhaut aus der Nase des Schweins) drin. Auf Deutsch: Schweinerotz! Auch kein Joke!

          1. @Kinderdoc:
            Similia similibus curentur! Gleiches wird mit Gleichem geheilt!
            Der Lehre von Hahnemann nach behandelt man Rotz mit verdünntem Rotz! Ich selbst sage da nur: Mahlzeit!

            Soviel auch als Statement von der Apothekerfront, was wir selbst von der ganzen Sache halten.

          2. in conjunktisan b (?) ist auch so leckeres zeugs drin, da wird selbst mir beim lesen übel 😉

            aber es ist das einzige, was meinem mann hilft, wenn er heuschnupfen hat. selbst jahrelange behandlung mit pollinex hat nichts gebracht. von den ganzen akutmitteln ganz zu schweigen.

          3. Zicke1 hat sich heute früh über Magenschmerzen beschwert, woraufhin die Mutter, deren Tochter wir heute abholten, gleich anfing, ihre Globuli-Litanei runterzubeten. Ich hab’s abgelehnt. Da gleiches mit gleichem behandelt werden soll, hätten wir hätten wir wohl Johann Wolfgang von Goethe globulisieren müssen (dem Kind lag das nicht sonderlich liebevoll ausgearbeitete Referat im Magen).

  5. Das Nikotin ist in Zigaretten definitiv einer der harmlosesten Stoffe und das klebt auch nirgends. Das, was klebt, ist Teer und noch diverse andere Dinge, aber sicher kein Nikotin.

    1. Was auch immer da klebt oder schädlich ist, lecker ist auf jeden Fall anders. Der Geruch an Haut, Haaren und Klamotten kann gerade für Babys und Kleinkinder nämlich trotz allem „Draußen-Rauchen“ extrem unangenehm sein.
      O-Ton meines Sohnes über einen Onkel (der schon wegen der eigenen Kinder nicht in der Wohnung raucht): „der stinkt immer so“. Da üben wir dann immer gleich erste Höflichkeitsregeln: „Es gibt Dinge, die man anderen Menschen nicht einfach so ins Gesicht sagt“… .

      1. Naja, aber da sollte man sich fragen dürfen: Warum müssen Kinder da nett sein wenn andere sie mit ihrem Suchtverhalten beeinträchtigen?

        1. In meinem speziellen Fall, weil mein kleiner Racker erst zwei Jahre alt ist und mir es wichtig ist, dass er erst einmal das Prinzip „Höflichkeit“ verinnerlicht. Die Feinheiten kommen dann später. Wer die Grundregeln beherrscht, darf danach auch gerne die Ausnahmen kennen und auch gezielt anwenden lernen!
          Gesundheitliche Gefahr für meinen Jungen besteht da eher weniger, da er bei Rauchern eh noch nie auf den Arm wollte und nie zu jemandem Körperkontakt haben muss, bei dem er das selbst nicht will.

  6. dein team darf nun hoffentlich ein kind mehr betreuen?

    und sehr löblich, dass der papa draußen raucht – kenne einige, die es nicht interessiert, wie viele zigaretten ihre kinder pro tag quasi zwangsweise inhalieren…
    (da dürfte ich kein doc sein; die eltern kämen nie mehr in meine praxis!)

    1. Bringt nur leider nicht so viel wie manche meinen. Das Nikotin klebt ja auch an Haut und Klamotten und wird dann munter ans Kind weitergereicht …

      1. das weiß ich, deswegen war so mancher schon angefressen, weil meine kinder nicht auf dessen arme durften und auch dürfen.

        die begriffe „nikotin, baby, rauchen & kind“ in ein und demselben text bieten meistens zündstoff.

  7. Autsch. Und das Umckaloabo auch noch homöopatisch? Etwas besser würden die Sachen in den Urtinkturen wirken … Auch wenn potenzieren sich so schön nach verbesserter Wirkung anhört.

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