Der Sommer ist da

Bedröppelt sitzt Lars auf der Untersuchungsliege, rotes Gesicht, rote Schultern, rote Brust und sehr roter Rücken. Er war am Samstag im Freibad. Mit seinen Kumpels. Ohne Eltern und auch ohne Sonnencreme. Beides soll cool sein. Lars ist dreizehn. Er schaut mich in einer Mischung aus Schmerz und Reue an.
Die Mutter ist arbeiten, begleitet wird er von seiner Oma.

„Könn´se jetzt mal was machen gegen“, schmettert sie mir entgegen, kaum dass ich durch die Tür bin.
Ich begrüsse erst einmal meinen Patienten, gebe auch der Oma die Hand, sage artig meinen Namen und lasse mir die ganze Geschichte erzählen. Dann erfülle ich meinen Behandlungs- und Beratungsauftrag, schaue Lars rundherum an, halte meine Hand mit einem halben Zentimeter Abstand auf die Haut am Rücken und spüre die abstrahlende Hitze.
„Tut weh, oder?“, frage ich.
„Könn´se glauben, Dokter!“, schnarrt die Oma.
„Mmh“, nickt Lars.
„Konnt´er nur mit´m nassen Hannduch schlafen“, sagt die Oma und hält mir ein feuchtes Geschirrtuch unter die Nase.
Ich erläutere mehr an Lars denn an die Oma, was ein Sonnenbrand für den Körper bedeutet (Flüssigkeitsverlust, Kreislaufprobleme) und spreche auch das Thema Melanom an.
„Siehste, Krepps kriegste da, Krepps! Hab´ch ja gleich sagt!“, wieder die Oma, dabei tippt sie Lars mit dem Zeigefinger auf die krebsrote Stelle oberhalb des Schlüsselbeins, so dass kurz ein weisser Punkt erscheint, der gleich wieder von der Rötung verschluckt wird. Lars wird blass unter seinem Sonnenbrand.
„Naja, mal langsam“, sage ich zu dem Jungen. „Sonnenbrand kann da sehr gefährlich sein, für die Zukunft. Jeder Sonnenbrand erhöht das Risiko, aber Du bekommst jetzt nichts ganz plötzlich.“
Er schaut schon etwas erleichterter. Die Oma schüttelt den Kopf über so wenig Autorität.

Ich empfehle ihm, viel zu trinken, die Stellen weiter gut zu kühlen, und den Aufenthalt in der Sonne für die nächsten Tage zu vermeiden – ist eh grad bewölkt. Er nickt und wird es so tun. Ein bisschen Aprés-Soleil wird sicher auch gut tun.
„Dann braucht´r noch was für d´ Schul!“, sagt die Oma. „Dasser nicht da war. Heut´. Un´ morgen auch nicht.“
„Oh, damit kann er aber schon in die Schule“, sage ich.
„Kann ich auch“, sagt Lars.
„Wie´n das? Hat´ ja die ganze Zeit das Tuch um!“, die Oma wedelt wieder mit dem Geschirrtuch, so dass kleine Wassertröpfchen durch den Raum fliegen.
„Oma!“, ruft Lars. „Lassen!“
„Aber hier bist Du doch auch nicht mit nacktem Oberkörper reingekommen, oder?“, frage ich ihn.
„Nee, da hatter das Hemd da angehabt, ´n ganz weit´s“, jetzt schwenkt sie ein überdimensioniertes rot-blau kariertes Hemd. Vielleicht vom Opa.
„Ja, mit dem Hemd geht das schon. Kann auch in die Schule.“
„Aber morgen soll er doch nochmal daheimbleiben, nich´ wahr, Herr Dokter?“, ignoriert ihn die Oma.
„Nein, eigentlich nicht“, ich.
„Nein, ich geh in die Schule“, sagt Lars.
Die Oma hebt abschätzend die Augenbrauen über soviel Unverstand auf unserer Seite, gibt sich aber der Mehrheit hin. Lars zieht umständlich das Hemd an, als wolle er vermeiden, dass sich der Stoff auf seine entzündete Haut absenkt. Er pustet rechts und links hinter die Knopfleiste, damit das Luftpolster für Bruchteile von Sekunden den Stoff trägt.
„Da!“, sagt die Oma und klatscht ihm das Geschirrhandtuch in die Hände. „Abba jammer mir heut´ mittag nich´ die Ohren voll, wie schlimm das all´s ist.“

31 Antworten auf „Der Sommer ist da“

  1. Kann ein Arzt nicht den Patienten alleine im Praxiszimmer behandeln? = Darf er Familienmitglieder nicht bitten, ins Wartezimmer zu gehen?

  2. Ich hatte noch nie Sonnenbrand, ich gehöre zu den „ein Sonnenstrahl –> sehr brau“- Hauttypen. Der BabyChief hat das wohl geerbt, der kam auch schon vorgebräunt auf die Welt.
    Dennoch gibt es da vorerst nur Schutzfaktor 50. Da werde ich akribisch drauf achten, egal, wie genetisch bedingt eher unempfindlich seine Haut auch ist. Bei Kindern sollte man immer vorsichtig sein.

    (Was nicht heißt, dass der bengel mich irgendwann später vielleicht auch mal austrickst 😉 )

  3. Ok, ich bin auch der „Ich hab´s dir ja gesagt!“ Typ – kann Omma also bestens verstehen! Tja, so ein bisschen Häme/Frust muss man abkönnen, wenn man so unvernünftig ist. Da betüddel ich doch den Jung` (immerhin 13!) nich noch mit „Och du arma arma lonesome cowboy, ich weiß, du brauchst jetzt ganz ganz viel Zuwendung, damit du nich auch noch ne Reaktanz ausbildest…“ also ma ächt jetzt, Leute!

  4. Ich halte Hautbräune noch immer nicht für ein Attraktivitätsmerkmal.

    Lars tut mir gleich zweifach leid: einmal der Schmerzen wegen und zum zweiten wegen der „ruppigen“ Oma. Gerade Jungs in diesem Alter der „einsamen Cowboys“ brauchen Zuwendung.
    Alle Omas, die ich kenne, sind eher lieb und fürsorglich. Ich bin allerdings ja auch so idealistisch und glaube, dass Omas so sein müssen … 🙂

  5. [klugscheißmodus] Es heißt „die Plebs“. [/klugscheißmodus]

    Die arme Omma. Da macht sie sich solche Sorgen um das Jüngelchen und kann die Sorge nur über ihre Ruppigkeit ausdrücken. Ist doch irgendwie rührend, oder?

  6. autsch… ich hatte immer sonnenbrand, wenn ich sonnenmilch benutzt habe. lustig mit blasenbildung, da hat man immerhin ewig was von.

    schlimm finde ich es, dass zur zeit so viele babys ohne kleinkinder in der mittagssonne sind, mit kurzer hose, t-shirt, kein käppi und krebsrot.

    und mir wird ein vogel gezeigt, weil ich mein blondes, hellhäutiges 2jähriges kind zwischen 12 und 16 uhr nicht in die sonne lasse. „so blass wie die ist, ist es ja klar, dass sie sich verbrennt. die ist ja nix gewohnt. FRÜHER waren wir immer draußen. die muss mittags raus, dann wird die auch braun.“
    (FRÜHER ist die zeit, als die erde noch eine scheibe war…)

    erschreckend auch, dass kleinkinder mittlerweile sonnengebräunt sein müssen.

    1. „Früher (TM)“ war die Zeit, als es schick war, möglichst blass zu sein, weil braungebrannt war nur der (auf dem Feld) arbeitende Plebs. „Heutzutage (TM)“ ist es schick, möglichst gebräunt zu sein, denn blaß ist nur der niemals (vor lauter Arbeit) aus dem Büro rauskommende Plebs… oder so. 😉

    2. Was heißt müssen?
      Ich hab Exemplare denen brauchst nur ein Bild von der Sonne zeigen und die sind braun …
      Soll ich die in den Keller sperren damit sie gesunde Blässe vorweisen können?

      1. Kann es sich um ein klassisches Missverständnis handeln? Niemand hat geschrieben, dass (kleine) Kinder nicht sonnengebräunt sein dürfen. Niemand hat geschrieben, dass (kleine) Kinder „vor der Sonne weggesperrt werden“ müssen.

        „K.“ hat gemeint, dass er/sie es nicht gut findet, dass (scheinbar) manche Eltern denken, „nur gebräunt ist gut“ und deswegen oder aufgrund anderer Möglichkeiten eventuell den Sonnenschutz vernachlässigen. Und das Bräune eine Konvention zu sein/werden scheint.

        Blödes Beispiel: Ich darf max. 100km/h auf der Landstraße fahren. Ich muss das aber nicht (auch wenn einige Verkehrsteilnehmer das meinen). K. meinte also übertragen: „Erschreckend auch, dass ich jetzt 100 fahren muss.(Weil es ja einige Verkehrsteilnehmer meinen.)“ Und die Antwort darauf war: „Darf man den jetzt nicht mal mehr 100 fahren?“ Natürlich darf man, aber man darf auch „nur“ 25 fahren (und braucht dafür nicht mal einen guten Grund.) Aber trotzdem wird man als blonder, hellhäutiger Mensch (mit Sonnenbrand-Gefahrenstufe krebsrot) immer wieder angeschaut wie Auto, dass man selber (und das genauso hellhäutigen blonde Kindelein) immer so blass ist, und nie die Sonne sehen darf (zumindest ohne adäquaten Sonnenschutz)… Missverständnis.

      2. carrrie, es gibt viele eltern, die ihre kinder weder eincremen noch sonstiges, damit die bloß braun werden.

        „so ein sonnenbrand macht doch nix… und braun ist doch viel schöner!“

        hautkrebs ist ein ar…..ch, und ich verstehe niemanden, der seine kinder ungeschützt in die sonne schickt, am besten noch in der mittagszeit.

        absichtlich grillen = no go

        kinder, denen die farbe zufliegt, schmiert man doch bestimmt auch ein (hoffe ich 😉 )

  7. Tjaaa, mit der richtigen genetischen Ausstattung lässt sich auch die Sonne prächtig genießen. Nur den Bart sollte man dann nicht bauschig wachsen lassen, sonst gibts Al Quaida-Alarm. 😀
    Wenn man den Frühling und die langsam erstarkende Sonne nutzt, um seinen eigenen Faktor 20 aufzubauen, braucht man sich auch nicht so sehr zu ärgern, wenn beim Grillen mal wieder die Hälfe (also auch der Sonnenschutz) vergessen wurde…
    Dann leide ich dennoch solidarisch mit den Freunden mit Hauttyp ‚Vampir‘. Schon ein Mist…

  8. War in meiner Kindheit jedes Jahr so: „Junge, Du bist so blaß [und blond], geh doch mal raus in die Sonne!“ – „Ach nö…“ – „Mach jetzt!“ … Nächster Tag: „Junge, warum bist Du denn so rot?“ – „Raus und Sonne und so..?“
    Noch hat sich glücklicher Weise kein Melanom eingestellt. *schnell mal auf den eigenen Holzkopf klopf* Lichtschutzfaktor 30 oder 50+ habe ich als Kind nie in den Fingern gehabt. Ob das am Versorgungsmangel (im Ex-Osten) lag?

  9. Mein Bruder hatte mal einen echt fiesen Sonnenbrand, schon mit Blasenbildung auf den Schultern. Der hat sich damals im Schwimmbad, als wir ohne Eltern da waren, auch nicht eingecremt. War wohl nicht cool genug. Der durfte dann täglich zum Verbandswechsel zur Kinderärztin.

    1. So einen hatte ich letztes Jahr Pfingsten, weil ich die plötzliche Sonne in Kombination mit Wind total unterschätzt habe. Und ich bin jemand, der sogar das braun werden vermeidet, weil ich es nicht schön finde. Für die Bilanz also eher unschön.
      Verband brauchte ich nicht, dafür eine nette Salbe namens Flammazine.

  10. Am besten soll wohl Voltaren Schmerzgel (oder andere Diclofenac haltige Salben) helfen. Ich habs selber noch nicht ausprobiert, hört sich aber logisch an.

    1. Diclofenac auf Sonnenbrand? Vielleicht nicht die beste Idee.

      Diclofenac-Einreibungen haben eine Altersbeschränkung – keine Anwendung vor dem 12. Lebensjahr (keine ausreichenden Erfahrungen). Die meisten Präparate sind sogar bis 18 gesperrt. Diclofenac zum Schlucken hat eine eine Anwendungsbeschränkung bis zum 14./15. Lebensjahr (je nach Zulassung). Dabei sollte man berücksichtigen, dass durch die (schwer) sonnenbrandt-geschädigte Haut Wirkstoffe viel besser resorbiert werden (also in die Blutbahn übergehen) als durch intakte Haut. Hinzu kommt, dass bei Sonnenbrandt die Anwendung zusätzlich meist sehr großflächig erfolgt. 1g „Voltaren Schmerzgel“ enthält (umgerechnet) 9,3mg Diclofenac. Nehmen wir an, 50% des Wirkstoffes werden resorbiert braucht man also „nur“ 6g Gel, und man hätte auch eine 25mg-Diclofenac-Tablette schlucken können, wobei bei der Resorbtion über die Haut der First-Pass-Effekt (bei Diclofgenac 30-60%!) umgangen wird! (Und 6g Gel großflächig aufgetragen ist nicht viel.) Diclofenac wird nur metabolisiert ausgeschieden (unmetabolisiert <1%). Die Metabolit-Bildung erfolgt in der Leber unter reger Beteiligung des CYP-Systems. Dass die Leber von Kindern und Kugendlichen noch längst nicht die Stoffwechselleistung von Erwachsenen erreicht hat, brauche ich (hoffentlich) nicht zu erläutern.

      Diclofeac-Einreibungen dürfen NICHT angewendet werden bei […] auf offenen Verletzungen, Entzündungen oder Infektionen der Haut, sowie auf Ekzemen oder Schleimhäuten […]. Wiki sagt dazu: Der Sonnenbrand (med.: UV-Erythem, Erythema solare, Dermatitis solaris) ist eine entzündliche Rötung der menschlichen Haut durch kurzwellige Sonnenstrahlung oder künstliche UV-Strahlung.

      Wer das ganze als Erwachsener versuchen möchte – bitteschön. Aber bitte keine experimentelle Pharmakologie mit bzw. an den (eigenen) Kindern..!

      1. Man verzeihe mir meine Schreibfehler. Wieso ich bei Sonne auf „…brandT“ komme, ist mir völlig unverständlich. Und auch nicht alle Jugendlichen sind kugelig. Ich hoffe, halbwegs vorurteilsfrei zu sein… 😉

  11. besser als jede ApreSunmilch hilft – aus meiner Erfahrung – ein Gemisch aus Joghurt und Quark. Klingt eklig, kühlt aber (sehr viel) länger, gibt Feuchtigkeit und Fett an die Haut (wie die Apres Sun). Hat mein superextremen Sonnenbrand 2003(war mir sowas von einer Lehre) in 2 Tagen überraschend in Bräune verwandelt, ohne sich zu schälen. Is halt nur eklig. Und man braucht ein weisses, extrem weiter, leichtes T-Shirt, das sich sanft drauf legt und sich gut waschen lässt.
    Was ich nicht empfehle, derweil auf Frottee-Bettlaken zu schlafen, schält man sich wie eine Schlange und ist – mit Verlaub – sehr schmerzhaft.
    Die Oma hingegen braucht ’nen Betüdelungshund oder ähnliches. Oder … ne das sag ich lieber nicht. Sollten Omas nicht nett sein, also per default, gibts da kein Gesetz für???

  12. ich hatte als Kind auch mal so nen fiesen Sonnenbrand ( mit 11 oder so), da wurde meine Mutter geschimpft von der Hausärztin,weil sie nicht drauf geachtet hat, seit dem achte ich da selber drauf- die Schmerzen waren mir eine Lehre.

  13. Erinnert mich daran, dass ich meiner Oma danke, dass sie genau so NICHT ist. o.O

    Da gab’s wegen bösen Sonnenbrand eher ne extra Stulle Nutella zur Shcule – aber zur Schule musste ich trotzdem. 😀

  14. Armer Lars. Und ich weiß nicht, warum ich ihn mehr beneiden soll – wegen der etwas zu paranoiden Oma oder wegen seinem Sonnenbrand; der sich wirklich fies anhört.

    Ich kann mich noch gut an meinen Sonnenbrand im Jahre 2005 erinnern. Kreta, 40 Grad, zu wenig Sonnenmilch, von oben bis unten rot.

  15. Oh je, wenn die Schmerzen selbst nicht reichen, um ihn ab jetzt an die Sonnencreme zu erinnern, die Nerverei von Oma bleibt bestimmt in Erinnerung. 😉

    1. alleswas die oma mit so nem gekeife erreicht ist das was man in der psychologie reaktanz nennt. der junge wird so eher gegen sie rebellieren, als dass er sich ds zu herzen nimmt. waere fuer die zukunft nur zu hoffen, dass er sich den sonnenbrand merkt. ich find diese fehlende empathie da immer echt schade. wenn man selbst so angemacht wuerde, wuerde man sich doch auch eher verteidigen und dagegen aufbegehren, als dem anderen recht zu geben.

  16. Hihi, erinnert mich an meine Omma. Ich bin dem Sonnenbrand bisher entgangen. Für mich schon eine ganz schöne Leistung. Ich gehe bei dem ersten bisschen Sonne immer gleich in Flammen auf. Ich leide mit Lars.

    1. Kenn ich, bei mir gibt es nur „blaß“ (Dauerzustand) oder „rot“ (seit Jahren geschafft zu vermeiden).
      Während der Rest der Familie in die Kategorie „einen Tag Sonne, dann bin ich braun“ gehört. *grummel*

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