Politiker zu Glaubuli

Vor einer Bundestagswahl ist es Usus, die Parteien nach ihrer Meinung zu diesen und jenen allgemeinen wie auch speziellen Sachfragen zu beleuchten. Hier werden Finger in Wunden gelegt, die vielleicht in der Öffentlichkeit nicht so bekannt sind und Themen angerissen, die über die klassischen „Umwelt – Bildung – Außenpolitik“ hinausgehen. Viele Lobbyisten nutzen die Ergebnisse, um ihren eigenen Standpunkt klarzumachen – entsprechend gefärbt sind dann auch die Fragen.

Im Netz finden sich zum Thema Homöopathie/Esoterik gerade zwei interessante Versionen des Fragens – einmal einen Fragenkatalog des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, welcher an die verschiedenen Gesundheitspolitischen Sprecher versandt wurde, zum anderen ein „Globuli“-Check der Website „die ruhrbarone“ an die Gesundheitsbeauftragten „der Länder“ (zuerst Hamburg, dann Baden-Württemberg, Rest folgt). Die Fragestellungen implizieren ein wenig die Antworten – aber in der Summe enttäuscht das Politikergesäusel sehr.

Ich hatte mir – gar nicht mal nur zu diesem Thema – klare Standpunkte erhofft. Wie sollen Politiker zu Vorbildern werden, wenn sie sich in ihren Antworten alle Hintertüren auflassen? Die Antworter bewegen sich zwischen den Standpunkten so schwammig hin und her, dass aus ihnen eine einzige grau weiche wabernde Masse wird, aus der das Couleur nicht mehr zu identifizieren ist.

Dass ich meine Position zu Globuli habe, ist hinreichend bekannt. Lese ich die Antworten dieser beiden Umfragen, kann ich mich bei keiner Partei heimisch fühlen – was diesen Diskussionspunkt angeht. Ein zukünftiger Gesundheitsminister hat keinen leichten Stand, es ist ein unbeliebtes „Loser“-Ressort, aber in letzter Konsequenz muss er Geld verteilen – und ist verpflichtet, der evidence-based-medicine zu folgen. Wie hätten die Befragten wohl geantwortet, wenn statt Globuli nach Schamanismus oder Pendeln gefragt würde? Die „Doppelblind-Studien-„Datenlage im Vergleich zur Homöopathie dürfte nicht viel schlechter sein.

Ein paar wenige Beispiele:
– DZVhÄ: „Evidence based Medicine (EbM) spielt in der konventionellen Arztpraxis eine nur untergeordnete Rolle. Warum werden Ihrer Meinung nach aber EbM-Regeln als Maßstab für die ärztliche Homöopathie herangezogen?“ – Arbeiten niedergelassenen Ärzte fernab der wissenschaftlich anerkannte Medizin? Was soll das? Selbstredend arbeiten wir EbM-konform. Zudem unterstellt die Frage, dass die EbM nicht dem Therapiestandard entspricht.
– „(…)dem EbM-Ansatz geht es nicht darum, ein Studiendesign allen Fragestellungen überzustülpen, sondern das für die Fragestellung bestmögliche Untersuchungsdesign anzuwenden.“ – Heisst das, man muss nur lange genug nach einer Untersuchungsmethode suchen, dann wird auch die Homöopathie positive Ergebnisse bringen? Naja. Mit einer doppelblind randomisierten Studie hat man doch schon ein ziemlich genaues Studiendesign.
– „Dabei wollen wir die sprechende Medizin stärken, was gerade auch komplementärmedizinisch arbeitenden ÄrztInnen zugute käme.“ – dreist. Gibt es doch jetzt schon für den sprechenden Homöopathen ordentlich Kohle, der sprechende Normalmediziner wird mit einem warmen Händedruck belohnt.

Bei den Interviews der ruhrbarone war zumindest die klare Ansage beider Gesundheitsministerinnen Pro-Impfungen sehr beeindruckend – das ist gut. Wie antworten eigentlich die Piraten? Hier übrigens die Stellungnahme aus Sicht der Piraten, die ursprünglich nicht befragt wurden.

Danke an Julitschka @mundauf für den DZvhÄ-Link.

19 Antworten auf „Politiker zu Glaubuli“

  1. Die Revoluzer-Bewegungen in den 60ern entstanden wohl vor allem (ich mutmaße, kam 20 Jahre später auf die Welt) weil sie auf eine Mauer von „Nein“ gestoßen sind. Bei den Politikern, bei den Eltern, überall.
    Aber wogegen sollte man heute denn rebellieren – es existieren Mauern von „Ja“ und aufgeweichten, schwammigen Formulierungen – so wie bei diesem Thema.
    Nix zu machen.
    Schade. Aber der Anfang einer neuen Ära von Ja-Sagern.

  2. Wenn`s um`s Glauben und den Glauben geht, „Glauben“ aber dem „Wissen“ widerspricht, traut sich doch keiner so richtig was „dagegen“ zu sagen… ob es nun um Globuli oder Vorhautentfernung geht…

  3. Die Zeiten, wo Politiker auch nach außen hin Ecken und Kanten hatten, an denen man sich dann eben auch mal reiben konnte, sind doch auf allen Gebieten lange vorbei. Je weichgespülter desto mehr Wählerstimmen. Ich verstehe da das sogenannte Wahlvolk auch nicht.
    Aber wer a.) auf Wählerstimmen angewiesen ist und b.) in den letzten Jahren mal einen Praktikanten auf einen Kinderspielplatz geschickt hat, weiß, dass man Globulis auf keinen Fall in der Öffentlichkeit verdammen darf. Denn dort wird man wahrscheinlich demnächst wegen Kindesmisshandlung verhaftet, wenn man nach einem kleinen Sturz dem Nachwuchs kein Arnika-Globuli in den Rachen stopft.

    1. 🙂 Ich liebe Deinen letzten Satz!!!!! Meine Schwägerin war ja neulich auch ganz entsetzt, dass ich die Dinger nicht im Haus habe. KEINE Antwort hatte sie dann allerdings auf meine Folgefrage: „Äh, ist das Medizin???“ 😉

      1. Ob sie auf die Frage wohl eine Antwort hat:
        „Weißt du wie sich das dauerhaft auf die Kinder auswirkt das man bei jedem kleinen Pups immer direkt ein „Medikament“ bekommt?“

        1. Das ist genau das, was mir dabei Sorgen macht. Der Zucker ohne Wirkstoff ist mir bei kleineren Wunden echt egal (obwohl ich eine Freundin mit Essstörung habe, die zum Thema „Süßigkeiten als Trost“ durchaus was anderes zu sagen hat), aber der Gedanke, dass es für jede Kleinigkeit eine Pille zum Einwerfen gibt, das ist etwas, was ich meinen Kindern nicht beibringen will.
          Die Kleinen brauchen bei einem blauen Fleck doch keine Medizin welcher Art auch immer, sondern gegen den Schmerz wenn überhaupt kurze körperliche Zuwendung (in den Arm nehmen, Pusten, Küsschen drauf, oder so) und Ablenkung.

  4. Ei, die Piraten. Wenn ich dazu noch deren Haltung in Bezug auf meine geliebte E-Dampfe rechne könnte ich glatt in Erwägung ziehen die zu wählen. Wenn mir das jemand vor ein paar Jahren gesagt hätte, ich hätte ihn ausgelacht 🙂

  5. Es gibt noch eine Steigerung:

    Schweizer Bundesverfassung Art. 118a: Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Berücksichtigung der Komplementärmedizin. (Angenommen in der Volksabstimmung vom 17. Mai 2009)

  6. Was soll ein jemand großartig dazu sagen? Wenn selbst kassenärztliche Vereinigungen mit Krankenkassen (im speziellen in meinem Fall in Thüringen die AOK Plus, IKK classic, und diverse BKK) „Homöopathie-Verträge“ schließen, bleibt nichts anderes als Kopfschütteln übrig.

    1. auch hier geht es vor allem um Geld: Für die Krankenkassen, um sich gegen den Mitbewerber besser zu positionieren, für die Ärzte, um zusätzliches (esoterisches) Geld loszulösen. Beschreibt das Buch „Die Homöopathie-Lüge“ (siehe rechts) sehr schön.
      Alles dem Markt geschuldet. Ähnliches erleben wir doch grad mit der Osteopathie, die – übrigens heute erst gehört – auch gegen Mittelohrentzündung helfen soll.

    2. Da ich momentan plane die Kasse zu wechseln: welche größere Krankenkasse zahlt eigentlich nicht für diesen Blödsinn?

  7. Ja, immer dieses Rum- und Rausgerede. Ist aber auch schwierig, wenn viele Politiker leider kaum noch Ahnung von ihrem Fachgebiet haben und sich dabei auf ihren Beraterstab verlassen…. Und natürlich auch noch fleißig Punkte für die Partei sammeln müssen……
    Wer vor 20 Jahren was für die Umwelt tun wollte, hat die Grünen gewählt, datt passte dann schon. 😉
    So einfach hätt ich`s gern. Warum nicht – statt niveauloser Wahlplakate, auf denen der „Gegner“ verunglimpft wird, mal was schön einfach gestricktes, etwa so wie beim Auto-Quartett:
    Wir machen: dies
    Wir machen nicht: das
    Gut können wir: dies
    Gar nicht können wir: das
    Fertig.
    Bin sowieso schon seit Jahren kein „das will ich!“-Wähler mehr, sondern „das da will ich aber auf gar keinen Fall, also wähle ich die anderen“-Wähler, sprich: das kleinste Übel gewinnt 😉

  8. Jeder Politiker, der auch nur bescheidenen Ambitionen hat, diesen Job noch weiter zu machen, würde den Teufel tun, sich öffentlich klar gegen Homöopathie zu stellen. Damit würde er/sie ja große Teile der so hart umkämpften Mitte verärgern. Außerdem – wer einen Posten als Vorbild anstrebt, sollte Lehrer werden. Gerade unter den vermeintlich Gebildeten hat der Glaube an die weißen Kügelchen religiöse Züge, mitunter fanatische. Es ist E.C.H.T. beängstigend. Und der erhöhte Missionsdruck der Globulisten ist auch beachtlich. Damit legt man sich nicht ohne Not an. Vermutlich ist der Imageverlust bei einem Bekenntnis contra Homöopathie zu groß und der Nutzen zu gering, um sich auf dem Gebiet wirklich zu engagieren. Leider. Denn mich packt jedes Mal ein tiefes inneres Grausen, wenn es um Kügelchen und Co. geht. Oder Schüßler Salze. Oder basische Entschlackungsstrümpfe…

Kommentar verfassen

Entdecke mehr von Kinderdok.blog

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen