Für Sie getestet – Serviceblog

Über Appgefahren hat sich mir eine App aufgedrängt, die ich nicht ignorieren konnte. Freundlicherweise gerade gratis, also gezogen und versucht:

„Traumjob Kinderärztin – Mein kleines Krankenhaus“.
Der erste Eindruck: Naja. Gehts hier nur um Frauen? Halt stopp, andererseits, völlig im Zeitgeist, schließlich hat das weibliche Geschlecht in den letzten drei Jahren den Männern die Quote vermasselt – es gibt mehr Frauen als Männer in diesem Job. Allerdings viel häufiger halbtags. Anderes Thema.
Wir sehen eine blonde sommerbesprosste Blondine mit Thermometer im Mund auf dem App-Button, ok. Das soll dann wohl die junggebliebene Kinderärztin sein (hallo? wir sind Kinder- und Jugendärzte, aber was rede ich mir schon wieder den Mund fusselig über soviel politcal correctness).
Zweiter Eindruck: Ein PC mit Keyboard, ein paar Bücher, eine Adressenregistratur, im Hintergrund ein Poster mit einer Herzschemazeichnung (hä?). Wir klicken auf das Startzeichen. Es erscheint ein graubärtiger Prof mit Akademikermütze (wo laufen die denn rum?) und beglückwünscht mich Frau zu meinem erfolgreichen … wtf? … Diplom? Also sind wir in Ostdeutschland zu Zeiten der DDR. Die zweite Koryphäe ist die alternde Kollegin, die sich „bald zur Ruhe“ setzen will – wieder eine Frau. Insofern konsequent. Übrigens alles bisher ohne Ton, nur mit Text, ganz der stop-picture-Bilderlauf der neunziger Computergames.
Wir bekommen einen Einblick in die künftige Praxis: Ein riiiesiges Wartezimmer mit sage und schreibe vier Stühlen und – moment – sechs Untersuchungszimmern, deren Türen nebeneinander aufgereiht sind, so nah beieinander, dass die dahinterliegenden Zimmer eigentlich nur Röhren sein können. Spitze. Und da kommt schon die Ärztin, und hinterher ein paar Kinder. Die stehen noch etwas verloren in der Weltgeschichte herum.

Dann gehts los. Man schickt die Kinder oder die Mütter (die haben meist einen Säugling dabei, den man aber nicht sieht) in die Zimmer – immerhin muß man hier entscheiden, ob es ein Gespräch ist oder ein Akutpatient – und das Problem behandeln. Kurzum: Ich habe bei den ersten zwölf Patienten fünf Verbrennungen gehabt (davon vier Sonnenbrände, die ich dann mit einer Kortisonsalbe (!) einreiben durfte, den fünften verbrannten Finger sollte ich zu einem Allgemeinarzt überweisen – nochmals wtf??), einen fiebernden Säugling, über den die Mutter nur rausrückte, dass er … äh … Fieber hat, dann musste ich ihn schon zu einem Infektiologen schicken, dazu drei Vorschüler, die immer auf der Couch sitzen und die als Behandlungsempfehlung „Ausflüge mit den Eltern am Wochenende“ erhielten, sowie ein weinendes Baby, dass man doch „bitte nicht verwöhnen sollte“. Ohweia. Richtig behandelt habe ich immerhin die Neurodermitis (Ölbäder, wow) und die Ringelröteln – die angebotenen Bilder der Haut waren aber irgendwie … mmh… gleich?

Fazit – vorbehaltlich der exorbitanten Steigerung in den weiteren Leveln, in denen ich sicherlich ein komplexes Vitium (Poster an der Wand!) diagnostizieren darf und mehr einkaufen darf als einen Teddybären, der „die Wartezeit Deiner Patienten verkürzt“ – : das… ist… Müll…

Gelöscht.

Nachtrag: Ich sehe gerade, ich hatte mein iphone auf Stumm gestellt. Mit Musik ist es noch schlimmer. Jetzt machen die Kinder beim Anklicken „Hihi“ oder „Ha“ und die Türglocke klingelt. Danke.

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=F6X7TYJXrK4

13 Antworten auf „Für Sie getestet – Serviceblog“

  1. Ich hatte als Kind ein PC-Spiel. War ähnlich, allerdings mit Tieren.
    Selbst als Kind kam ich nie auf die Idee, mein Meerschwein mit Antibiotika zu behandeln, wenn es mal nichts frisst. Oder den ganzen Fuß zu verbinden, weil da ne Distel im Freigehege war. Hausmittel (In Form von Pinzette und Distelzeug rausziehen aus dem Fuß) oder Tierarzt und gut ist…
    Klar, die Gefahr von Eigendiagnosen bzw. -Behandlungen gegeben. Aber sorry, es ist ein Spiel…

    Aber herzlichen Dank fürs Zeigen. Somit wurde Meinung bestätigt, dass ich kein Smartphone brauch^^

    1. Also ich vermute hier auf ein klassisches Missverständnis, und zwar in Hinblick auf die Konkretisierung der Behandlung. In den Tierarztspiel-Beispiel war es (vermutlich) „ein Antibiotikum“, aber eben nicht „Amoxicillin“. In anderen ähnlich gelagerten Spielen werden Krankheiten „lustig umgemodelt“ – „Aufgeblasenheit“ (statt Bluthochdruck), „Frankensteine“ (statt Nierensteine) oder „Patient leuchtet“ statt „Patient ist verstrahlt“ und die Behandlung angepasst [Theme Hospital]. In verschiedenen Flash-Games, die ich kenne, wird entweder allgemein gehandelt („Skalpell“ statt „Klingenform Nr. 23“ oder „Desinfektionsmittel“ statt „PVP-Jod-Lösung“ – beides aus verschiedenen Flash-„OP-Simulatoren“); oder aber es wird tatsächlich ziemlich korrekt agiert (ein Tower-Defens-Game, wo man mittels Antibiotika-„Türmen“ angreifende Mikroorganismen abwehren muss – hier wirken die fraglichen Antibiotika wirklich nur in ihrem Wirkspektrum, und die angreifenden Keime sind genau benannt. Das ersetzt das Fachwissen, welche Keime welche Krankheiten auslösen, aber noch lange nicht).

      Was mich (und ich vermute auch den Kinderdok) halt etwas grummeln läßt, ist (unter anderem) das Hängenbleiben der Information „Sonnenbrand -> Kortisonsalbe“. Das wurde schließlich gut geübt – von 12 Patienten 4x Sonnenbrand mit Kortison behandelt – 1/3 der Patienten, das ist statistisch signifikant… Halb so schlimm wäre es gewesen, hätte man das als „Sonnenbrand -> Heilsalbe plus Abhaken `Sonnenbrandvorbeugung´“ oder so etwas in der Art gestaltet. Wie gesagt, Kortisonsalben gibt es auch apothekenpflichtig zu kaufen. Die meisten Antibiotika eher nicht.

      1. Ich habe wirklich keine Ahnung mehr, wie das Spiel hieß. Das ist Jahre her… Allerdings weiß ich noch ganz sicher, dass es keine Fantasienamen von Erkrankungen waren, sondern konkrete Dinge. Ebenso wurden die Medikamente sehr genau benannt, und die (meist sehr schwachsinnige) Wirkungsweise. „Hund A hat Virus B, behandelt mit Antibiotikum C.“ „Hase D frisst seit gestern nicht mehr, behandelt mit Globuli E“ (Ganz abgesehen davon, was man von Globulis hält, haben Hasen einen Stopfmagen. Wenn da Zeug seit gestern drin liegt, brauchts da was Vernünftiges und „Härteres“… Aber lassen wir das.)

        Diese Verknüpfung, auf welche Du anspielst, war hier ganz genau so gegeben, wie Kinderdoc es schildert. Nur bei Tieren. Grausige Musik im Hintergrund, kindliche Grafiken und absolut falsches Vermitteln von vermeintlichem Wissen.

        Letztlich auch egal, ich spiele solchen Mist nicht (mehr^^).
        Ich denke einfach, man sollte in der Lage sein, das „Wissen“ aus solchen Spielen sinnvoll einzusetzen.
        Und vielleicht passt zumindest der/die Apotheker/in ein wenig auf, für was man die Salbe möchte…

  2. naja – das gehört wohl eher zu den App – Gefahren… Erzeugt lauter „wissende“ medizinische Laien, die nach erfolgreichem Daddeln nun auch im real life appgefahrene Diagnosen stellen aufgrund ihres hier erworbenen soliden Halbwissens und an app-robierten Ärzten herumnörgeln, wenn die NICHT die Cortisonsalbe zücken *seufz*

  3. Das mit den 6 vermutlich röhrenartigen Untersuchungsräumen erinnert mich an eine Reihenuntersuchung, an der ich als Kind mal teilnehmen musste. Da gab es auch 5 Türen (oder so) direkt nebeneinander als „Untersuchungszimmer 1 – 5“. Der Raum hinter der Tür stellte sich als eine Art „Umkleidekabine“ mit einem Hacken, einem Brett und einer zweiten Tür heraus (fast wie im Schwimmbad, aber nicht so schön eingerichtet), und alle Kabinen führten ins selbe Untersuchungszimmer, in dem man vom Dipl.-med. dann „abgearbeitet“ wurde…

    Das mit dem Kortison gegen Sonnebrand geht vermutlich auf eine Werbestrategie eines großen Herstellers apothekenpflichtiger Hydrocortison-Cremes und -Sprays zurück, der diese Indikation vor längeren, soweit ich mich entsinnen kann, sogar im Fernsehn beworben hat (und auf der Homepage steht so ein Hinweis auch noch). Nein, ich halte nichts von Kortikoiden auf einem Sonnenbrand, weder bei Kindern noch bei Erwachsenen. Die systemische Aufnahme des Kortikoids durch die beschädigte Haut ist viel zu groß. Und – und dafür darf man mich gerne hauen – bin ich der Ansicht, dass im (normalen) Sonnenbrand-Fall der Schmerz zum Lerneffekt beiträgt, den Sonnenbrand das nächste Mal zu vermeiden. Dem Sonnenbrand vorzubeugen ist allemal besser, als ihn hinterher behandeln zu müssen. – Und solche Programme kommen zustande, wenn sich ein paar Programmierer treffen und ein Spiel basteln, und dabei geballtes und aus Werbung angeeignetes Wissen einsetzen. Eine „Fachberatung“ wäre vermutlich zu langwierig (und wahrscheinlich auch zu teuer), um so ein Programmschnipsel rechtzeitig fertig zu stellen – und wer liest schon in der Wikipedia?

  4. Also wirklich, Kinderdok! Da wird dir so ein fortschrittliches Produkt offeriert, in dem spielende Eltern und Kinder gleich lernen können, wie man Symptome selbst interpretiert und du hast nichts als Verachtung dafür übrig…
    Dabei könnte das Programm doch deine Sprechzeiten unglaublich verkürzen, wenn Patienten gleich mit fertiger Diagnose und entsprechender Behandlungsmethode in die Praxis kommen und du nur noch die Rezepte oder Überweisungen unterschreiben musst…

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