Da geht die Sonne auf

Das einzige, was ich in unten angehängtem Video nachvollziehen kann, sind die blau-grau gefärbten Anfangssequenzen. Träume darf man ja haben.
Geht es wirklich darum, den Hausarztberuf (und ich zähle mal den Kinderarzt dazu) im schönsten Licht zu färben, um ihn zu bewerben, anlehnend an die aktuellen Bundeswehrbe-Clips? Oder soll über einen perfiden Weg der Satire billige Aufmerksamkeit erzeugt werden?

Kann ich das nicht besser? Mal nachdenken:

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Story-Board Kinder- und Jugendarzt:

Erste Sequenz – eine junge Ärztin in Schlabberlook und Bärchen-Stethoskop um den Hals versucht, einem schreienden Säugling Blut aus dem Handrücken zu quetschen. – Überblende – die gleiche Ärztin steht auf dem Stationsflur und wird von der Stationsschwester zusammengefaltet – Überblende – die Ärztin hat einen Dreijährigen auf dem Arm, die Mutter steht daneben, alle lachen, bis der Dreijährige der Kollegin über die Bluse spuckt. – Überblende – beim Auswaschen der Bluse verliert sich der Blick der Ärztin in die Ferne.

Zweite Sequenz – Die Ärztin wird morgens von einer Schar Kinder geweckt, sagen wir drei, sie sitzt mit ihnen und dem Dreitagebart-Ehemann am Frühstückstisch (Orangensaft, Eier, frische Brötchen) – Überblende – eine Uhr wird gestreift, es ist zehn Uhr morgens – sie betritt ihre Praxis und wird gleich winkend von den Arzthelferinnen begrüßt – Überblende – zwei oder drei Untersuchungsszenen – ein lachender Säugling – eine dankbare Mutter – ein Jugendlicher, der das Peace-Zeichen macht – Überblende – die Ärztin fährt in ihrem Oldschool-Käfer (himmelblau) wieder nach Hause – nach dem Sonnenstand zu urteilen ist es kurz nach Mittag

Dritte Sequenz – Spiele mit der Familie, die Jüngste hört mit einem Spielzeug-Stethoskop ab – Überblende – der Mann hat den Tisch gedeckt, nachdem er seine Homework-Utensilien mit zwei oder drei Handgriffen aufgeräumt hat – Überblende – Grillabend mit Freunden – alle in beige-weiße Töne gekleidet, alle lachen, alle sind happy …

Vierte Sequenz – Die Ärztin wieder in ihrer Praxis, sie untersucht wieder ein Kind, diesmal ein traurig drein schauendes – übersät mit Punkten, auch für den Laien als Windpocken zu erkennen, die Ärztin gibt einfühlsame Ratschläge an die Eltern – Überblende – zwei Tage später, wieder das gleiche Kind, mit völlig gesunder Haut, es bringt der Ärztin einen Blumenstrauß in die Praxis – der Vater legt noch eine Pralinenschachtel oben drauf und wirft der Ärztin einen … vielsagenden … jedenfalls zweideutigen Blick zu. Das Bild gefriert über dem strahlend-weißen Lachen der Ärztin.

Das Ganze unterlegen wir mit Gitarrenklängen oder einem Solo-Piano. Himmlisch. Da geht die Sonne auf.
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Nein, das war nichts.
Die Hausärzte im Ländle können es natürlich besser. Viel Spaß – so dürft Ihr Euch meinen Alltag vorstellen:

(verantwortlich für diesen Spot: Die TK und der Hausärzteverband)

23 Antworten auf „Da geht die Sonne auf“

  1. Unglaublich, dieses Video!
    Noch besser finde ich aber die schön skizzierte Kinderarztadaptation. Ich hatte das Filmchen gleich vor Augen und mich köstlich amüsiert.

  2. oh mann oh mann. das bestätigt alle vorurteile. mein schwiegervater ist auch der meinung, wer eine eigene praxis hat müsste nur noch geld zählen.
    dabei ist er selbst pfleger und sollte ein bisschen mehr einblick in die realität haben.

  3. mensch, und selbst die aelteren patienten stehen alle munter auf ihren zwei beinen und machen einen froehlichen, lebenslustigen eindruck. super. wobei, hausarzt kann sicher ein sehr erfuellender beruf sein, aber ob das so aussieht… und was sollen die moepse und eichhoernchen in dem spot. ok, frueher hat der tierarzt schon mal das eine oder andere mitbehandelt beim menschen, macht das jetzt der hausarzt bei wiild- und haustieren?

  4. Wäre ich nicht schon Hausarzt, weil es immer mein Traumberuf war, hätte mich der Film sicher abgeschreckt.
    Leider geht er auch vollkommen an der Realität vorbei-nicht nur das Cabrio.
    Schade, so kommt der Nachwuchs bestimmt nicht- zumal die Medizin, insbesondere die Hausarztmedizin zunehmend weiblich wird. Hausärzte sind keine Träumer sondern Macher.

    1. Wäre ich Hausarzt, würde mich dieser Spot wohl sehr nerven, denn: Was für ein Bild vermittelt das den Patienten?
      Das ist in etwa so, wie während meines Studiums, als ich mir von allen Seiten die Klischees anhören durfte, von wegen Studenten würden nur feiern (bzw. saufen) und lange ausschlafen… Sorry, bei mir sah das nicht so aus, weder das Eine, noch das Andere. Dafür jede Menge Schlafmangel und Uni und lernen und Hausarbeiten etc. …
      Insofern: Kommt blöd bei den Nicht-Ärzten an, weil Manche das bestimmt für bare Münze nehmen und ich denke mal, auch bei den Ärzten kommt das nicht gut an, denn die sind ja nun nicht dumm und wissen, wie so ein Hausarzt-Alltag aussieht! Ach ja, und dass Ärzte im KKH so unglücklich etc. sein sollen und sich „weg wünschen“, finde ich auch nicht so prall.
      Summa sumarum: Das war wohl nix!
      … Ich weiß zwar nicht, wie Hausärzte (Kinderärzte natürlich inbegriffen!) es schaffen, so ein stressiges Leben zu führen, aber meine Hochachtung haben Sie alle! 🙂

  5. Der junge Arzt träumt ja nur.. und das darf er ja.. der nette Hinweis am Schluß lädt schließlich ein die Wahrheit herauszufinden. Aber das Video mit der Hausärztin darf bitte auch mal gedreht werden, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf lockt dann noch mehr Frauen…

  6. Ich finde diesen überidentifizierten Sohn und den seltsamen Vater eher spooky. Mal ganz abgesehen von der Werbung an sich. An die parallel transportierte Aussage denke ich mal lieber nicht…

  7. Also nach dem Video weiß ich nicht ob ich lachen oder weinen soll. Weinen wegen der dreisten Anbiederung und lachen, weil ich das doch nur für Satire halten kann.

  8. Mein Vater war Hausarzt in Baden-Württemberg.. für ein Mercedes-Cabrio hat es nie gereicht, außerdem – wann hätte er denn den mal ausfahren können? Sprechstunde ab morgens 7 Uhr, mittags mal eine oder 2 Stunden Pause zum Essen und einen kurzen Mittagsschlaf, dann Hausbesuche, Nachmittagssprechstunde, Feierabend nie vor 19 Uhr, einmal die Woche Abendsprechstunde für Berufstätige (offiziell bis 20 Uhr, meist aber wesentlich länger – keiner wurde abgewiesen!), dann noch Berichte schreiben, Krankenakten auf den letzten Stand, Gutachten tippen.. nachts Bereitschaft (außer Mittwoch Nachmittag und nachts und am Wochenende, da aber im Turnus). Schlafen gehen nie vor 11 Uhr nachts.. Abendessen oft nur kurz im Stehen. Mittwoch nachmittags dann zwar eigentlich frei, aber nie vor 14 Uhr, dann noch dringende Hausbesuche, dann vielleicht mal wirklich frei. Und wenn man dann ein Cabrio zum Ausfahren gehabt hätte, hätten die Patienten sich das Maul zerrissen, wie gut es dem Dokter doch gehen muss, wenn er sich so ein tolles Auto leisten kann. Er fuhr einen alten Golf.
    Meine Tochter überlegt grade, Medizin zu studieren. Sie möchte gern Hausärztin werden. Wenigstens weiß sie aus erster Hand, was dann wirklich auf sie zukommt. Sie will es trotzdem.

  9. Also unser HA ist super. Hier auf dem platten Land echt Gold wert.
    Aber er bietet auch Sa. und So. zwei Stunden Sprechzeiten an und kommt manchmal vor 22 Uhr nicht aus seiner Praxis.
    Die Praxis ist fast immer gerammelt voll.
    Vielleicht sollten die Verantwortlichen Werbeleute mal bei ihm so ein Filmchen drehen.

  10. Die TK hat an den Filmschnippsel mitgewirkt? Kein Wunder, dass da ein ganzer Berufsstand durch den Kakao gezogen wird. Mich erstaunt eher, dass das seitens der KV keiner gemerkt hat. Nimmt sich die KV jetzt ein Beispiel an der ABDA? Liebe Ärzte, tut euch das nicht an!

  11. Na klar, und die „Schwarzwaldklinik“ ist bekannt als beonders realsitische Dokumentation. Oder so ähnlich ….
    Können diese Videomacher sich noch selbst ernst nehmen?)

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