Supernanny 2.0

ach, nein, uups, ‚tschuldigung, natürlich nicht, das hier ist nicht der Aufguss der abgesetztendankten Katharina Saalfrank aka Supernanny aka „Stiller Stuhl“ von RTL, oh, nein, dass hier ist was ganz Neues auf Sat.1*:

Alina Wilms beobachtet überforderte Eltern, gestresste Kinder und verschobene Familien, sie guckt, sie urteilt, sie empfiehlt. Wie man hört, mitunter mit ungewöhnlichen Methoden (indische Entspannungstechniken? Tres chic!) und dem Therapiehund Archibald. Das hat Klasse, das ist modern, das wollen wir sehen. Ich wäre froh, wenn ich in meinem Stadtkreis wenigstens überhaupt einen Kinder- und Jugendpsychologen hätte, der was taugt. Davon gibts viel zu wenige, quantitativ und qualitativ.

Heute gehts um ADHS, da steigt Sat.1 sofort mit *dem* Zugpferd des aktuellen Schubladendenkens für Kinder und Jugendliche ein. Wir dürfen gespannt sein. Ob sich dann Jannik, das erste Opfer Objekt der Sorge mit Archibald beschäftigen darf, oder aber via Yoga-Übungen zur Erleuchtung Konzentration gelangt? Solange er’s nicht „in der Gruppe“ machen muß, dürfte alles gut laufen.
Was folgt in den nächsten Episoden, sind die bekannten Problembereiche Patchworkfamilie, Alleinerziehen, Teenager und Großfamilie – da finden wir uns doch alle wieder.

Frau Saalfrank ist Sozialpädagogin, entsprechend erzieherisch-dogmatisch war die Sendung vormals ausgerichtet, ganz im Stile des Triple-P-Konzeptes, oftmals aufgesetzt und für die Eltern schwer umsetzbar. Zudem wurde der Eindruck vermittelt, Kinder ließen sich wie beim Hundeflüsterer binnen weniger Tage „umdrehen“. Nun also „Mission Familie“, wo eine Psychologin auszog, die kaputten Familien zu retten. Immerhin sei Frau Wilms ausgebildet in „achtsamkeitsbasierter kognitiver Therapie“. Das zumindest lässt hoffen.

Voyeuristisch sind diese Formate allemal, „dienen“ werden sie lediglich dem Trieb nach Beobachtung, Belächeln und Fremdschämen. Den gezeigten Familien helfen sie vielleicht kurzfristig, schaden können sie aber auch durch die Veröffentlichungen im Fernsehen.
Für den Zuschauer, der in ähnlichen Problemen steckt, können Einzelfalltherapien keine Modelle sein. Zu komplex sind die Zwischenmenschlichkeiten in den Familien, zu inhomogen die zugrundeliegenden Ursachen, zu individualisiert sollten die empfohlenen Therapien sein.

Wer übrigens keine Lust hat auf dieses Format und Therapien im weiteren Sinne, hier ein schöner Einwurf des Kollegen Hauch.

*übrigens: „Supernanny“ wie auch „Mission Familie“ werden beide von der Tresor-TV produziert.

[Edit]: Ich habe mich für meine Leser geopfert und die erste Folge heute angeschaut – hach, naja… Letztendlich ist es das gleiche wie das, was die Saalfrank vor Jahren gemacht hat, der gleiche Aufbau, das gleiche Coaching, das gleiche „so einfach ist das alles“. Pech für uns Ärzte: Da haben wir gleich mal eine geschallert bekommen, dass die Diagnose ADHS bei dem Jungen natürlich die falsche war (liess sich aber auch mit zwei oder drei K.O.-Fragen feststellen, da hat wirklich jemand geschlampt im Vorfeld). Wie auch immer, der Mittwochabend wird in Zukunft anders genossen, sicher nicht mit „Frau Doktor“.

24 Antworten auf „Supernanny 2.0“

  1. wenn sich erwachsene medienerfahrene, denn das ist die d bis z prominenz dann schon, sich wohlwissend, was sie erwartet, ins dschungelcamp begeben, dann ist das ihre sache und dann kann man, wenn man das will, sich das ohne schlechtes gewissen ansehen, man darf laestern, sich fremdschaemen und was auch immer. alles legitim, denn die protagonisten wissen, was sie tun. wenn aber kinder imm fernsehen „erzogen“ werden, dann haben die eltern die tragweite ihrer entscheidung, die sie fuer ihre kinder getroffen haben, nicht uebersehen koennen und die kinder sind die opfer, egal, wie vermeintlich serioes das format daher kommt. kinder haben in solchen fernsehformaten einfach nichts zu suchen, das gehoert sich nicht.

    1. Danke, danke, danke, man kann echt nur hoffen, dass es sich bei solchen Sendeformaten bitte immer nur um gestellte Familien, sprich Schauspieler, handelt. Reale Kinder so vorzuführen übersteigt echt mein Verständnis.

  2. Noch ein Grund kein TV mehr zu schauen. Ich schau schon seit Jahren kein Privatfernsehen mehr – einfach schrecklich diese Sendeformate. In solchen Sendeformaten geht es ja auch weniger um den erzieherischen Aspekt, sondern ehr darum Familien vorzuführen (zumal vieles auch gestellt ist). Der Einzelfall ist ohnehin nicht auf andere übertragbar (wäre ja auch schlimm wenn alle gleich wären ^^).

  3. Bei solchen Sendungen werde ich immer traurig und frage mich, wie verzweifelt die Eltern sein müssen, dass sie sich mit solchen Problemen ausgerechnet an einen Fernsehsender wenden? Welche Instituionen haben da nicht gegriffen oder versagt?

    1. Jeb, da bin ich völlig deiner Meinung. Möglicherweise sind die Eltern verzweifelt, irgendeine Institution hat versagt. Oder aber sie sehen das Geld, das sie bekommen (ich nehme an es gibt was …) und bedenken die Folgen des öffentlichen Auftrittes fürs Kind und für den Rest der Familie nicht.

      Ich hab ja auch ein „auffälliges“ Kind, wo die Schule Autismus in den Raum warf, das würde so vom Verhalten total passen … Letztes Gespräch mit der Kinderpsychotherapeutin: „Tolles selbstbestimmendes Kind und mal ehrlich, bei zwei querdenkenden Individualisten als Eltern kann kein Schubladenkind rauskommen.“ Ähm .. ja, hat sie wohl irgendwie recht. Leider können die Lehrer damit so schlecht umgehen, weils keine medizinische Diagnose ist. *seufz*

      1. Ich möchte doch einmal anmerken, dass weder eine Lehrerin NOCH eine Kinderpsychotherapeutin diese Diagnose stellen kann, bzw. diese mit Sicherheit ausschließen kann. Beide Aussagen (auch wenn die eine doch um so vieles positiver und mitfühlender klingt) sind gleich pauschal.
        Eine gültige Diagnose stellt ein Kinder- und Jugendpsychiater anhand einer (wenn professionell durchgeführt) aufwändigen Diagnose, die mehrere Sitzungen beansprucht.

        1. Lucilla, danke für den Einwurf. Die Psychotherapeutin ist nicht die erste Anlaufstelle. Sie ist nur die aktuelle Therapeutin. Wir sind seit anderthalb Jahren dabei und durch alle möglichen Tests durch …

        2. Eine Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin hat eine mindestens dreijährige Ausbildung NACH abgeschlossenem Hochschulstudium, durch eine staatliche Prüfung eine Approbation erlangt und ist damit berechtigt und sehr wohl in der Lage, die Diagnose zu stellen!

  4. Oh Gott – eine Psychologin.
    Ich hab eine in der Familie – und hoffe inständig, dass ich nie mit so einer Person zu tun kriege.

    1. Aber sonst ist alles ok? — Weil sie ein negatives Prachtexemplar aus dem TV und eins aus der Familie kennen, hoffen Sie daß sie nie mit überhaupt irgendeiner Psychologin zu tun kriegen? Das ersetzen Sie doch jetzt mal freundlich mit einem Beruf Ihrer Wahl, am besten Ihrem eigenen, um Ihre eigene Logik ad absurdum zu führen.

  5. Sowohl dem Artikel als auch der Meinung zum Spanner-TV stimme ich vollumfänglich zu.

    Allerdings frage ich mich, wie man all die einfühlsamen halbstundenlangen Gespräche mit den Eltern von Martin, Max, Leon und Co. in einen Arbeitsalltag mit mehr als 100 Patienten / Tag integrieren soll…

  6. Die Kinder dürfen gerne Baumkletterer sein und die Lehrer hätten damit oft gar keine Probleme. Aber wehe, der kleine Baumkletterer hat aufgrund seiner Konzentration auf die hochgewachsene Flora weniger Konzentration für die Schule übrig und deshalb vielleicht kein Gymnasialzeugnis (in Bayern zählt der Notendurchschnitt, nicht der Elternwille) …… Dann kann die Grundschullehrerin gerne mal versuchen die Eltern ohne Diagnose nach Hause zu schicken …. Hat sie keine Diagnose, außer „kleiner Baumkletterer, vielleicht für immer“, ist sie inkompetent, hat sie eine Diagnose, weil die Eltern das nicht akzeptieren können, ist sie auch inkompetent …. Das ist kein schulisches Problem, sondern ein gesellschaftliches!

    1. In Bayern zählt der Elternwille – zumindest bis zu einem gewissen Notendurchschnitt!
      Und vielleicht sollten die Eltern endlich einmal aufhören die Lehrer als Feinde zu betrachten die nur möglichst schnell ihr Kind loswerden wollen. Jedes abgelehnte Kind bedeutet weniger Geld für die Schule. Wenn eine Empfehlung für eine andere Schulart ausgesprochen wird dann haben sich das mehrere Lehrer genau überlegt! Ausnahmen bestätigen hier wie immer die Regel. Ich erlebe es leider viel zu oft, dass von der fünften Klasse an den Eltern geraten wird ihr Kind auf eine andere Schulart zu schicken. Aber nein, bis zur neunten Klasse wird es durchgeschleift – hat ja schliesslich nur eine fünf nebst den restlichen vierern und in Kunst sogar ne eins. Dann kommt die grosse Ernüchterung und man muss nach der neunten klasse gehen. Ist ja dann vor allem sooo einfach kurz vor dem Abschluss noch an eine neue Schulart zu gewöhnen. Aber der Lehrer ist ja eh inkompetent…

      1. mhhh, ich keine ein hauptschulempfehlungskind, das mittlerweile aeusserst erfolgreich medizin studiert. ich kenne lehrer, die sagen: ihr kind will doch seit 1,5 jahren schreiner werden, dazu braucht es doch kein abitur, da muss es doch nicht aufs gymnasium. 10 jahre alt ist das kind….

        1. Wenn das Kind Pech hat, braucht es, wenn es fertig ist, auch für den Beruf eines Schreiners Abitur. Ich kenne mittlerweile schon, durch jüngere Bekannte Fälle, wo ein Realschulabschluss nicht mehr für die Wunschausbildung reicht. Das sind aber nicht nur bei Banklehren so, sondern erstreckt sich auch schon auf kaufmännische und medizinische Berufe, bei denen, als ich vor 9 Jahren meinen Realschulabschluss gemacht habe, noch ein Realschulabschluss ausreichend war. So richtig muss man das wohl nicht verstehen.
          Ich hab jetzt mein Abitur nach geholt, weil ich noch studieren wollte und bei uns war es auch irgendwie noch so das hauptsächlich die Leute Abitur gemacht haben die später auch studieren wollten. Klar gab es aber auch da schon die Leute, bei denen es einfach nur gerne von den Eltern gesehen wurde. Aber irgendwie waren da auch noch viele Eltern entspannter und haben ihre Kinder auch früher wieder vom Gymnasium genommen, wenn sie merkten das es für das Kind nicht passt.

        2. Das ist doch prima wenn das Hauptschulkind Medizin studiert. Das zeigt doch wunderbar wie durchlässig unser Schulsystem auch nach oben ist. Ich war selbst nur ein schlechter Realschuler und habe es erst später auf die Uni geschafft. Bin meinen Eltern sehr dankbar dass sie mir eine anstrengende für mich überfordernde Schulzeit mit wahrscheinlichen Ehrenrunden auf dem Gymnasium erspart haben. Wenn ich es denn überhaupt geschafft hätte. Wenn man ein Spatzünder ist, dann ist der Weg an die Hochschule auch von jedem Schulabschluss aus möglich. Es muss halt zünden!

    2. Abgesehen davon wächst sich das Bäumeklettern normalerweise aus, es dauert nur vielleicht etwas länger als bis zum 10. Lebensjahr, in dem die schicksalhafte Entscheidung ansteht, in welche weiterführende Schule der hoffnungsvolle Nachwuchs gehen soll, und da ist alles „unterhalb“ des Gymnasiums indiskutabel. Gesamtschule? Igitt, kommt überhaupt nicht in Frage, man könnte ja Krethi und Spleti begegnen, das ist doch kein Umgang! Außerdem scheint es mir, als ob es Eltern gäbe, die aus den Kindern einen sekundären Krankheitsgewinn ziehen, da fragt sich, w e r da ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom hat. So viele Lebensmittelallergien, Wahrnehmungsstörungen, AD(H)S, Dyskalkulie, LRS, behanddlungsbedürftige Störungen der (Fein-)motorik wie in den letzten Jahren sind mir früher nicht begegnet, und das wird einem natürlich gleich im ersten Elterngespräch en détail mitgeteilt mit der Forderung, entsprechend Rücksicht auf das Kind zu nehmen bzw. ihm einen „Wettbewerbsvorteil“ einzuräumen. Bitte nicht missverstehen: Nachteilsausgleich selbstverständlich da, wo es sinnvoll und nötig ist um ein partielles Defizit auszugleichen, Art und Weise ist mit Eltern und behandelnden Fachleuten festzulegen und kann vielgestaltig sein. Aber nicht nach dem Gießkannenprinzip.
      Übrigens zum Thema Bäumeklettern: Gar nicht so einfach für Lehrer. Ich war fast mein ganzes Berufsleben an ener Ganztagsschule, der ersten der BRD schon aus den 50er Jahren, habe also auch viel Freizeit mit meinen Klassen geteilt. In jeder Klasse gab es mindestens einen Jungen, der ein notorischer Bäumekletterer war. Ich habe immer Blut und Wasser geschwitzt, wenn irgendwann einer abgestürzt wäre, hätte ich ein erhebliches Problem gehabt. AUFSICHTSPFLICHT!!! Aber hätte ich hinterherklettern sollen? Dann wäre garantiert ich abgestürzt, und der Rest der Klasse ohne Aufsicht gewesen. Da hilft nur noch beten…

  7. Vielen Dank für den Link von Herrn Hauch. Ich bin selber Ergotherapeut (jaja, ich oute mich) und kann ihm nur absolut zustimmen. Wir können uns vor Verordnungen kaum retten und wehe man ist der Meinung die Ergo kann beendet werden, dann muss man mit Eltern erst lange diskutieren.
    So vieles ist einfach hausgemacht und dann wird das Kind hingebracht um es „heil“ zu machen, selbst etwas tun um eine Situation zu ändern? Oftmals Fehlanzeige, dass wäre ja so anstrengend.Es wird nach Tipps gefragt, aber die Aussage „der Alltag ist die beste Therapie“ zählt dann meist nicht, da würde ja die Zeit nicht für reichen. Ich könnte hier noch seitenweise weiterschreiben Da hilft oftmals nur eins, entweder zu hause wird merkbar mitgearbeitet oder die Therapie in Rücksprache mit dem KiA abgebrochen. Wir haben hier glücklicherweise einen sehr guten Kontkt mit den Ärzten, dass ist unheimlich hilfreich.

  8. Vielen Dank für den Link und ihren Artikel. Da bei uns seltenst der Fernseher läuft (und die Privaten aus irgendeinem Grund nie…) hatte ich noch gar nicht mitgekriegt, dass die Supernanny eine Erbin gekriegt hat. Spätestens in der übernächsten Familie werde ich dann aber schon drauf angesprochen „Also, die im Fernsehen haben gesagt, man soll das so und so machen…“ Uaaahhhh.
    Das Plädoyer von Dr Hauch ist leider nur zu wahr, ich kann es zwar nicht so fundiert ausdrücken, erlebe aber ähnliches.

    1. In diesem Fall wirst du dann wahrscheinlich auf die paradoxe Intervention angesprochen, denn dieser Begriff fiel im Laufe der nicht mal einstündigen Sendung gefühlte zwanzigmal (damit ihn auch letzte dumme Sat-1-Zuschauer kapiert) und sie wurde auch immer wieder auf dümmlichste Art und Weise von der hölzern wirkenden Psychologin angewandt.

      1. Das Sendungskonzept stammt aus Großbritannien. Somit ist es wenig verwunderlich, dass da dieselbe Produktionsfirma hintersteht (die hat für das Konzept schließlich Geld ausgegeben), dass es wie ein Saalfrank-Abklatsch wirkt (es bleibt halt dasselbe Konzept) und irgendwo auch, dass die Psychologin etwas hölzern wirkt – sie ist halt „nur“ eine Psychologin, die für die Sendung engagiert wurde, keine Unterhaltungskünstlerin und auch nicht die Ideengeberin. Das Sagen hat die Produktionsfirma. Der Saalfrank soll in der ersten Staffel gar der strenge Zopf und das nicht minder gestrenge Bürokostüm vorgeschrieben worden sein (man schaue sich das Original an und weiss sofort, wo diese klischeehafte Aufmachung herkam).

  9. Kann Ihnen und dem Koll. Hauch nur zustimmen…. Gern genommen wird in Kiga und Schule auch die Diagnose AD(H)S… Zu meiner Zeit war es normal dass Jungs Schule nicht so spannend fanden und lieber auf Bäume geklettert sind (nat. auch manche Mädels 😉 ) und komischer Weise ist aus uns 70 er Jahre Kinder auch ohne diverse Therapien etwas vernünftiges geworden…

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