Urin Ruin*

Sehr regelmäßig gibt´s den Urin zu untersuchen in den Kinder- und Jugendarztpraxen: Bei jeglichen Bauchschmerzen, bei Säuglingen unter einem Jahr, wenn sie Fieber haben, bei den klassischen Harnwegsinfekt-Symptomen (Schmerzen beim Wasserlassen, Häufige Miktion, Fieber), vor allem natürlich bei Mädchen. Gerade, wenn diese anfangen, alleine auf Toilette zu gehen, treten die ersten Blasenentzündungen auf. Meist liegt es doch an der Hygiene.

Den Urin zu gewinnen, ist aus naheliegenden Gründen bei Kindern nicht so einfach: Säuglinge gehen noch nicht aufs Klo, oft kommen andere … mmh … Ingredienzen mit dazu, größere Kinder schaffen es nicht, rechtzeitig auf Toilette zu gehen, ein schöner „Mittelstrahlurin“ (also ohne Verunreinigungen aus Scheide oder Penis und ohne „alten“ Urin aus der Blase) gelingt erst im späterem Schulalter.
Was also tun?

Der ideale Urin wäre der direkt aus der Harnblase – also machen wir bei allen Kindern eine suprapubische Blasenpunktion… Spässle. Aber das ist der Goldstandard, und bleibt normalerweise Säuglingen in der Kinderklinik vorbehalten. Die nächstsaubere Alternative ist ein Katheterurin, der ebenfalls Urin direkt in der Harnblase gewinnt – auch sehr aufwändig, für die Kinder traumatisierend – und nichts für die Praxis. Den letzten Katheter haben wir bei uns vor sicher fünf Jahren geschoben – und das wegen eines akuten Harnverhaltes. Die Amerikaner sagen: „… ist zuvor eine Urinprobe (Katheterurin oder suprapubische Blasenpunktion) zu gewinnen…“ (Diagnosis and management of an initial UTI in febrile infants and young children, Finelli et al, Pediatrics 128;e749-770)

Bleiben die praktikablen Methoden:
– Wenn das Kind alleine aufs Klo geht, sollte das Genitale vorher gesäubert werden (Wasser und Waschlappen reichen) und direkt in einen sauberen Becher (sauberes Schraubglas zuhause) gepinkelt werden. Da kann man versuchen, einen Mittelstrahlurin abzupassen.
– Wenn das Kind aufs Töpfchen geht, auch gut, das sollte natürlich pikobello sauber sein, sonst haben wir schon die ersten Kontaminationen.
Urinbeutel: Kleben wir bei Säuglingen und Kleinkindern, die noch nicht aufs Klo gehen. Auch hier muß das Genitale vorher gesäubert werden, vor allem auch von Salbenresten (sonst kleben die Beutel nicht). Nichts mit Mittelstrahlurin. Merke: Wer einen Beutel kleben will, sollte stets einen Becher zur Hand haben, oft pieseln die Kleinen genau in diesem Moment. Da muß man eben schnell sein.
– Säubern mit Desinfektionsmittel oder Beta-Lösungen halte ich für übertrieben und reizen das Genitale viel zu sehr.

Ist der Urin mal gewonnen, sollte er zügig untersucht werden. Da gehen die Meinungen auseinander, wann ein Urin noch „frisch“ ist. Wir setzen eine Stunde an, dann muß die Probe in der Praxis sein. Ansonsten bilden sich Sedimente, die das Ergebnis verfälschen. Im Winter kann es zudem vorkommen, dass der Urin in der Außenluft gefriert – kann man dann auch vergessen.

Der Urin wird „gestixt“ mit einem Reagenzstreifen, der recht genau ist, aber nie genau genug. Zu jeder Urinuntersuchung sollte daher immer eine mikroskopische Untersuchung dazugehören. Der Stix liefert nur Hinweise, keine Beweise. Sind beide Untersuchungen ok, kann man das Thema Blase vorerst ad acta legen. Eine Kontrolluntersuchung macht dann erst später Sinn, wenn das Kind weiter Beschwerden hat. Weitere Hinweise liefert eine Kultur, die über Nacht angelegt wird. Sie wird immer gemacht, wenn sich die Diagnose Harnwegsinfekt einstellt und/oder das Kind mit Antibiotika behandelt wird.

Gerne berichten Eltern, sie hätten zuhause den Urin in der Windel „gestixt“, manche Kollegen sind schon beobachtet worden, Urin aus der Windel zu gewinnen … (keine Ahnung wie) – das geht sicher gar nicht und lässt sich so auch nicht verwerten. Vergesst es. Bereits mit dem Beutelurin steigt die Chance auf eine Kontamination von 10% beim Katheter zu 63% beim Urinbeutel (Fahad et al. Journal of Pediatrics, Vol. 137 Nr.2). Nochmals die Amerikaner: „Wird der Urin mittels eines … Beutels gewonnen, ist nur der negative Befund verlässlich.“ (Finelli et al., ebenda)
Dann lieber warten und warten und warten…

*hier gehts nicht um Ruin, aber der Buchstabendreher bot sich gerade an 😉

… für BB, (c) Foto bei Britt-knee (nanny snowflake) via flickr

20 Antworten auf „Urin Ruin*“

  1. „Urin aus der Windel zu gewinnen … (keine Ahnung wie) – das geht sicher gar nicht und lässt sich so auch nicht verwerten. “
    Als unser 2. Kind mit 1,5 dauerhaft in der Klinik war wurden einige sterile Wundauflagen in die Windel gelegt, wir Eltern mussten aufpassen wie Schießhunde, sobald sie einmal gepieselt hatte wurde die WIndel eiligst zur Schwester gebracht, die dann den Urin aus diesen Einlagen genommen hatte.
    Geht scheinbar doch und lässt sich wohl auch verwerten, sonst würde die Kinderonkologie sicher auf andere Methoden zurückgreifen.

  2. Vielleicht eine etwas naive Frage: Wie funktionieren denn diese Urinbeutelchen für Babys? Schiebt man die einfach über den kleinen Schniedel drüber und „klebt“ sie dann an die Haut? Geht das nicht durch die Bewegung des Babys runter, wenn es heftig strampelt?

    1. Genau so.
      Wenn keine Salbe vorher auf der Haut war (oder pipinass), kleben die Dinger ganz gut. Durch die Windel bewegt sich da auch nicht so viel. Bei Jungs lassen sich die Beutel naturgemäß besser platzieren, bei Mädchen geht auch mal was daneben (vor allem, wenn die gutmeinende fMFA den Beutel unter den Mons pubis klebt).

  3. Ganz blöde Frage: Aber was ist mit dem guten alten (dicken) Wattebausch in der Windel zur Uringewinnung? – Bei manchen Kindern ist nämlich auch das Beutelkleben selten von Erfolg gekrönt….

    1. Weil Windeln nicht steril sind. Sie sind von Natur aus voller Bakterien. Das ist für die Gesundheit an sich nicht schlimm – aber wenn man dann Urin raus nimmt, sind da Bakterien drin – selbst wenn der Urin ursprünglich NICHT mit bakteriell verunreinigt war.
      Zum Anderen haben moderne Einwegwindeln ein spezielles Bindegewebe, dass mehr Urin aufsaugt und ihn nur schlecht wieder abgibt. Durch diesen Absorb wird der Urin schon verändert.

      Und selbst wenn man eine Mehrwegwindel nimmt, sie desinfiziert und sterilisiert (lol?) – der Wattebausch ist ebenfalls mit Bakterien versehen. Zumal der Aufwand so gar nicht lohnt. Schon gar nicht wenn man bedenkt, wie wahrscheinlich es ist, das in der Windel auch Stuhl landet (und der Urin dann so oder so nicht mehr brauchbar ist).

  4. Du erwähnst ja, der Beutelurin eigentlich nur verwertbar ist zum Ausschluss des Infekts (schön wenn es vor lauter Kontaminationen funktioniert). Wie macht Ihr denn in der Praxis weiter, wenn der Beutelurin auffällig ist?

  5. Du schreibst von Mittelstrahlurin, bis eben dachte ich eigentlich das der nur ein Mythos aus den Medizinerwitzen ist. Ist der wirklich wichtig? Und vor allem was soll der sein?

    1. 1. Schwall in die Toilette – spült eventuelle Verunreinigungen weg und vermindert Kontamination durch Bakterien von „außerhalb“.
      2. Schwall in den Becher
      3./letzer Schwall wieder in die Toilette – warum… kP. Entweder schwimmt Alturin tatsächlich oben, wie es Kinderdoc andeutet oder es liegt an den alt-Epithelien aus der Blase, die einfach in den Urin fallen und beim urinieren mit ausgespült werden – und oben schwimmen. ^^“

  6. Haha, Becher zur Hand haben, wenn es denn so einfach wäre 😉
    Als meine Kleine mit 10 Tagen wegen ihrer Doppelniere eine Urinprobe abgeben sollte, hab ich insgesamt 3 Anläufe mit den Klebebeuteln gebraucht. Der erste war nicht dicht geklebt und der 2. durch Stuhl verunreinigt. Beim 3. Mal klappte es leidlich, die Menge reichte geradeso für einen einzigen Test. An der Uniklinik klappte es beim 2. Versuch und ich trug stolz wie Oskar einen gut gefüllten Beutel zu den Stationsschwestern. Über was man sich alles so freuen kann 😀

  7. Hoffentlich ist die oben genannte Untersuchung den Kindern im Krankenhaus nicht vorenthalten sondern vorbehalten. 😉

  8. Da musste ich doch grade an meinen Einsatz auf der Wöchnerinnen/Neugeborenen denken 😀
    Da war Luft am Popo ein sicherer Auslöser für Pinkelattacken… vor allem bei den Jungs.. 😀

    1. Genau daran musste ich auch denken. Bei unserem reichte es meistens, die Windel zu öffnen … mein Kuschelbär hat danach immer ein Papiertuch als „Brünzelschutz“ aufgelegt beim Wechseln.

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