Volkskrankheit Allergie

Einen Supervortrag gab es heute zur Eröffnung des Herbstseminarkongresses der Kinder- und Jugendärzte im schönen überschaubaren Bad Orb: Über die Volkskrankheit Allergie, und wie diese in der Bevölkerung und der Gesundheitspolitik unterschätzt wird. Allergien werden als Befindlichkeit wahrgenommen („das bisschen Heuschnupfen“) und die Risiken unterschätzt.
– 18% der Bevölkerung leiden unter einem relevanten Heuschnupfen, der unbehandelt zum Asthma führen kann.
– 30% haben überhaupt Allergien (incl. nachgewiesener Nahrungsmittelallergien, allergischem Asthma und Neurodermitis usw.).
– 5000 Menschen sterben jährlich in Deutschland an Asthma (aus dem Weißbuch Allergie in Deutschland 2010).
– Zwischen 2007 und 2010 kam es zu einer Zunahme der Asthmaerkrankungen von 8%.
– Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der therapierenden Praxen um 27% ab! (vor allem aufgrund der miserablen Vergütungen für die Ärzte. Es lohnt sich einfach nicht, Asthmatiker zu behandeln…)
– Trotzdem ist es medizinisch sehr effektiv, Asthmatiker zu versorgen: Die „Number needed to treat“ liegt bei Vier, d.h. man behandelt vier Patienten, um einen Asthmanfall zu verhindern (zum Vergleich: Man muss über 300 Patienten mit so genannten Statinen behandeln, um einen Schlaganfall zu verhindern – NNT = 300! Und das wird unendlich häufiger gemacht mit erheblich teureren Medikamenten als den Asthmamitteln).

Um das zu ändern, gibt es nun einen Nationalen Aktionsplan Allergie. Mehr Aufklärung, mehr Fortbildung, mehr Politikbewusstsein, mehr Vergütung für die Ärzte, um die Behandlung attraktiver zu machen.
Wir werden sehen.

… vor allem werden wir sehen, wie lange das dauert, bis Ergebnisse in unseren Praxen ankommen. Aktionspläne bleiben meistens Pläne und werden keine Aktionen.

25 Antworten auf „Volkskrankheit Allergie“

  1. Ich meine es gab auch mal eine Arbeit dazu, die gezeigt hat wie sich die BSG und das CRP bei Atopikern verändert. Dies führte zu der Annahme, dass chronische Allergien zu einem intravasalen Inflammationssyndrom mit folgender Vaskulitis führen. Man konnte einen Zusammenhang zwischen kardiovaskulären Ereignissen und dem vorliegen chronischer, allergischer Reaktionen zeigen.
    Klingt ja auch logisch. Seitdem sehe ich so eine zweimonatige Rhinitis wegen Pollenallergie etwas kritischer. Es ist eben nichts banales. Relevant wird es wahrscheinlich so in zwanzig Jahren wenn die Generation der Atopiker die Fünfzig knackt. Bin mal gespannt wie sich das dann in der Mortalität bemerkbar macht.

    Danke für den Blog hier! Beste Grüße!

  2. Also, die Hyposensibilisierung geht doch auch anders. Zumindest bei Kindern. So konnte der Gesundheitszustand meines Großen eklatant verbessert verden: von schlimmem Asthma mit mehrmals täglich Cortison inhalieren bis hin zu ein bisschen laufende Nase an ganz schlimmen Tagen. Er bekommt nun seit vier Jahren täglich Tropfen, die er morgens (ein Allergen) und Abends (ein anderes Allergen) nehmen und eine Zeit lang im Mund behalten muss, da die Stoffe über die Mundschleimhaut aufgenommen werden. Natürlich ist es lästig täglich zwei Mal dranzudenken, die Tropfen zu nehmen, wenn man nicht gerade gegessen oder getrunken hat, diese für zwei Minuten im Mund behalten usw. Aber das Ergebnis gibt uns Recht: die Mühe lohnt sich allemal! Der Pari steht im Schrank, ebenso die Cortisontropfen, Notfallzäpfchen und auch das Ceterizin. Und das Allerbeste: keine Spritzen für ein panisches Kind.
    … Man muss halt dran bleiben und es durchziehen!

  3. Mmmh, das mit dem Trittbrettfahren habe ich auch schon erlebt. Frau Schwiegermutter hat ständig irgendwelche Allergien, die dann wieder weg sind – just, wenns halt doch so gut schmeckt, dass das bisschen Apfel auf einmal nicht stört ;-\

    Aber ich habe auch erlebt, dass Allergien sich über die Zeit zum Guten verändern können. Ein Freund hatte früher heftig Heuschnupfen, bis fast 30 war das deutlich, danach lies es nach; Mitte 20 war er Vegetarier geworden und bis Anfang 40 war der Heuschnupfen weg. Während er bei seinen Geschwistern immer schlimmer wurde.

    1. Ja, das kann es geben. Meinem Bruder, der als einziger in unserer Familie eine Haststaubmilbenallergie hatte und später dann auch noch eine Frühblüher Allergie dazu bekam, wurde ein Schneidezahn gezogen unter dem ein fetter Eiterherd saß. Danach war seine Allergie (fast völlig) weg. Ich sehe in meiner Arbeit eher das Problem, daß viele Asthmatiker ihre Therapie nicht konsequent oder richtig einhalten, und so mehr Kosten verursachen und Probleme haben, als nötig. Ich sag nur das „böse“ inhalative Kortison…..da nimmt man doch lieber nur die bronchenerweiternden Sprays und läßt die Basistherapie weg, weil ja KORTISON! Böse, gefährlich und Chemie!
      Gruß aponette

      1. Ja die Gefahr der mangelhaften Therapietreue sehe ich auch. Entweder man hat eine handfeste Diagnose dann braucht man aber auch eine Dauertherapie und Kontrollen beim Arzt oder man hat halt keine Dauer-Diagnose dann ist das alles natürlich nicht nötig. Aber „ein bisschen“ von allem- so wie es manche gerne hätten- das gibt es nicht.

  4. Ich habe eher den Eindruck, dass es heutzutage genügend Trittbrettfahrer gibt, die im Sommer auch immer mal den „modischen Heuschnupfen haben“ oder eine „leichte Glutenunverträglichkeit“ nur um bei Gesundheitsthemen auch mitreden zu können. Was die nicht verstehen: es gibt viele Patienten die unter den teilweise schwer verlaufenden Krankheiten leiden und Einschränkungen hinnehmen müssen und die werden damit verunglimpft.

    1. Sie nehmen nicht so stark zu wie man meinen könnte. Sachen wie Gluten etc. haben noch nie zugenommen. Es kommt einem nur so vor, weil Presse und Werbeleute sich verstärkt auf Nischen-Themen einschießen.

    2. Es gibt die Vermutung, dass zu viel Sauberkeit beim Immunsystem gewissermaßen Langeweile aufkommen lässt:

      http://www.stern.de/gesundheit/allergie/aktuelles/nahrungsmittelallergien-landkinder-sind-besser-geschuetzt-1839615.html
      http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/allergien-landkinder-sind-gesuender-a-46186.html

      Da mehr und mehr Menschen kaum noch mit der Natur auf Tuchfühlung gehen, dreckig und versifft, wie sie ist, sollen in Folge auch die Allergiefälle zunehmen.

  5. Das man nicht ernst genommen wird von Ärzten durfte ich auch schon erfahren.
    Nach zwei Heftigen Reaktion bei Hund und Meerschweinchen Kontakt,
    hat mich mein HA zur Lungen und Asthma Spezialistin geschickt. Er Empfand das als nötig.
    Die Ärztin hat mir dann aber eher das Gefühl eines Simulanten oder Hypochonders vermittelt.
    Ja, mei da haben sie halt ein bißchen schlecht Luft bekommen. Danke das habe ich selber gemerkt, den Besuch hätte ich mir wirklich schenken können.

    1. Bis man einen Arzt gefunden hat, der einen wirklich ernst nimmt, dass kann tatsächlich dauern.

      Und dabei ist die Fachrichtung des Arztes echt egal!

      Bei diesen Menschen frage ich mich immer wieder ernsthaft, WARUM haben diese Menschen einen solchen Beruf erwählt.

      Aber GsD gibt es (oft leider nach längerem Irrweg) die Ärzte, die einen Ernst nehmen, ordentlich informieren und helfen.

  6. Ich habe – ähnlich wie RH – die Erfahrung gemacht, daß auch Ärzte Allergien nicht so richtig ernst nehmen. Wegen heftiger Gräserpollenallergie habe ich eine Desensibilisierung begonnen, die ich dann einmal wegen Umzug und dann wegen miserablen Praxismanagement bei insgesamt drei Ärzten gemacht habe. Und alle drei Ärzte haben das komplett unterschiedlich gehandhabt. Da wunderte es mich ehrlich gesagt nicht, daß die Behandlung kein Ergebnis hatte.
    Immerhin hing in der letzten Praxis ein großes Plakat, das darauf hinwies, daß Allegie zu Asthma führen kann.Trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, daß sie sich mit dem Thema wirklich auskennen würden.

    1. Und ich hab das Asthma zur Allergie schon. Das einzige, was meiner Ärztin einfällt ist die Desensibilisierung. Die ist ihre Bibel. Nur die und keine andere Behandlungsmethode ist das Wahre. Aber: mein Mann hat zwei erfolglos hinter sich, mein Schwiegerpapa und mein Schwanger auch. Meine Cousine war währenddessen „einarmig“ unterwegs weil sie den gespritzten Arm – geschwollen wie er war – nicht nutzen konnte. Sie bekam die Spritze letztlich nur noch links, damit sie in der Schule weiter mitschreiben konnte. Kann ich mir im Büro nicht leisten … Ich hab ihr das erzählt und fühle mich nicht ernst genommen. Mir ist die Notwendigkeit klar, die man in der Behandlung sieht. Aber die Bedenken – die gelten nicht, die werden nicht diskutiert. 🙁

      1. Hmm, habe nach dem Artikel auch noch mal selbst gegoogelt und die Hyposensibilisierung gefunden. Wusste wirklich nicht, dass es das für die Hausstaubgeschichte gibt und dass sie (laut Internet) 80% Erfolg verspricht.
        Danke auch noch mal für den hilfreichen Hinweis vom Kinderdoc.
        @Schäfchen: Wenn die Desensibilisierung als Bibel der Ärztin bezeichnest, lese ich heraus, dass du gerne was anderes erwartest. Was ich jetzt so im Inet ergoogelt hab, sagt mir, dass es anscheinend wirklich nichts anderes gibt. Klar, Antihistaminika, aber die bekämpfen ja nur die Symptome. Sind halt eher die zweite Wahl (Man möge mich korrigieren wenn ich falsch liege).
        Nach den Erfahrungen deiner Verwandschaft verstehe ich deine Skepsis, aber 80% heißt halt leider auch, dass 20% keinen Erfolg haben, Da fallen deine Angehörigen anscheinend rein.
        Das ist aber doch auch der Punkt an dem sich die „echte Medizin“ von Quackis und Homöopathen unterscheidet. Sie sagt klipp und klar, dass es keine Erfolgsgarantie gibt. Das hört man halt sehr ungern.
        Der Mensch ist letzten Endes glücklicher, wenn er vom Naturheiler gesagt bekommt, dass die Glaubulis nicht funktionieren, weil er von etwas anderem negativ beeinflusst wird (Handystrahlung, versteckte Verspannungen der Synapsen, quantenmedizinische Verschränkungen usw.) Das hält halt die Hoffnung aufrecht, hilft aber letzten Endes nicht wirklich das Problem zu beseitigen.

        1. RH, ja ich hätte gern Alternativen. Schwiegerpapa und Schwager haben übrigens – ja ich setz mich jetzt in die Nesseln 😉 – erfolgreich mit Akkupunktur behandelt. Schwiegerpapa hat nach 10 Jahren das erste Mal wieder leichte Beschwerden gehabt.

          Aber ich hätte auch gern eine Ärztin, die mir meine Ängste versucht zu nehmen. Die nicht alle Sorgen meinerseits wegschiebt und als nichtig behandelt. Die eigeht auf meine Bedenken vor den Nebenwirkungen und die Frage, ob ich nach der Spritze und der Wartezeit in der Praxis noch heil heimkomme und dort noch 3 Kinder managen kann. Die Praxis ist halt doch ein ganzes Stück weg von daheim.

          Aber: „bitte, so wird dir gegeben“ war am Sonntag Gottesdienstthema. Seit gestern weiß ich, dass der Hausarzt hier bei uns im Ort Hypo macht. Für den „Standard“ Gräser+Beifuss. Also das was bei mir auch getestet ist. Und der würde sich auch auf „wir testen einfach mal, wie sie es vertragen“ einlassen. Wird auf neues abwägen hinauslaufen.

          Andererseits hatte ich dieses Jahr bis auf anschwellende Mückenstiche NULL Probleme. *grübel* Ich kann sogar wieder ungeschälte Äpfel essen, ohne das der Hals eng wird. Und Möhren.

  7. Hmm, ich weiß ja, dass Sie nicht beraten (dürfen), aber was kann man den tun, wenn jemand Allergiker ist. mein Sohn (10) hat „Hausstaub“. Prophylaxe haben wir gemacht (Bettwäsche, Kuscheltiere, häufiges Staubwischen etc.). tagsüber ist die Sache OK, aber insbesondere morgens rotzt und schnieft er mitunter heftig, z. B. wenn er auch mal nicht in seinem eigenen Bett pennt.
    Was kann man/der Arzt (was sollte man beim Kinderarzt erfragen), um das Asthmarisiko weiter zu minimieren. Gibt es eine Therapie?
    Für mich hieß es immer nur. naja, er hat halt die Allergie. sehen sie zu, dass Sie so wenig wie möglich Hausstaub haben. Das haben wir ja gemacht.

    1. Meinem Patient würde ich eine Hyposensibilisierung empfehlen, gute Erfolgschancen, wenn sonst keine Allergie vorliegt. Aber Deinem Sohn darf ich hier nichts empfehlen 😁

      1. aehm, sollte dieser patient zufaelligerweise eine mutter haben, die ausschliesslich an hausstauballergie leidet, wuerden sie der eventuell auch eine hyposensibilisierung empfehlen?

    2. Wenn es tagsüber in Ordnung ist und nur morgens nach dem Aufstehen Probleme auftreten, dann liegt die Ursache ja offenkundig im Bett. Ihr solltet Kissen und Decke erneuern (ich meine nicht die Bezüge, die wascht ihr ja sicherlich eh), wählt dabei auf keinen Fall Daunen. Eventuell müsste auch eine neue Matraze her, denn da fühlen sich die Milben ganz besonders wohl.

      Und das Fremdschlafen muss halt unterbleiben bzw. wenn, dann nur mit eigenem Bettzeug und auf einer mitgebrachten Luftmatratze.

      Hyposensibilisierung würde ich mir bei einem zehnjährigen Kind stark überlegen. Das ist unter Umständen eine arge Quälerei, und das über Jahre. Wo der Vorteil liegen soll, die Allergene statt aus der Matraze in Spritzen- oder Tablettenform zu verabreichen, erschließt sich mir nicht so ganz. Dann doch lieber ein „Allergikerbett“ und gar keine Symptome mehr.

      Ich selbst war auch in dem Alter gegen Hausstaub, Gräser- und Birkenpollen allergisch und lag anfangs teils nur noch röchelnd im Bett. Medikamente gab es nur in Form von symptomlindernden Augentropfen und Nasensprays.
      Meine Mutter ist mit mir in den Osterferien (Blütezeit) immer an die Nordsee auf den Campingplatz gefahren. Das ist nun sicher kein Tipp für jedermann, wir sind hier auch nur wenige Stunden Fahrt entfernt, aber es hat mir damals „freie Luft“ verschafft und unterm Strich vielleicht auch geholfen – eine Allergie habe ich so gut wie nicht mehr. Und schön war’s sowieso 🙂

      1. Mmmh.
        Also vor allem muß die Matratze entweder ausgetauscht werden oder mit einem so genannten encasing versorgt werden. Die Decke und das Kissen können in der Tat gewaschen werden, da ist das nicht so wichtig. Die Milben befinden sich vor allem in den Matratzen.
        Eine Allergikermatratze wird auch nach einiger Zeit mit Milben besiedelt sein.

        Eine Hypo ist keine Quälerei. Einmal im Monat ist nun wirklich keine Belastung, wenn man danach beschwerdefrei ist. Aber etwas tun sollte man schon, denn das ständige Auseinandersetzen mit dem Allergen kann die Allergie verschlimmern und damit evtl auch zum Asthma führen.

        Eine Hypo ist etwas anderes, als der direkte Kontakt (mit wesentlich höheren Allergenen) mit den Milben. Das ist eher einer Impfung vergleichbar.

        1. Matratze, Decken und Kissen sind „encased“.
          Seltsamerweise schwankt die Stärke der Symptome auch.
          Klar ist es keine Freude einmal im Monat eine Spritze zu bekommen, aber wenn die richtig gesetzt ist und man evtl. eine kleine Belohnung in Aussicht stellt, sehe ich da kein größeres Problem.

          1. Mein Sohn ist einmal fast gestorben während eines Anfalls (Aussage der Oberärztin der Kinderpneumologie). Obwohl wir vorher oft wegen entsprechender Beschwerden bei Kinderärzten waren, ist es nie diagnostiziert und behandelt worden. Er hat dann eine Desensibilisierung mitgemacht, die ihm überraschend wenig ausgemacht hat – ich muss zugeben, dass ich mehr unter seinen Spritzen gelitten hab, als er, lach. Mittlerweile braucht er kein Kortison mehr, seeeeehr selten Salbutamol und Cetirizin nimmt er nur wegen seiner Neurodermitis. Asthma ist für ihn kein Thema mehr. Einen Versuch ist es sicherlich wert.

          2. „Eine Hypo ist keine Quälerei. Einmal im Monat ist nun wirklich keine Belastung“

            „sehe ich da kein größeres Problem.“

            Jaja, diese schlauen Kommentare kommen lustigerweise immer von denen, die die Spritze nicht bekommen … :> Aber probiert es aus, dann könnt ihr ja abschätzen, was von beiden das kleinere „Kein-Problem“ ist.

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