alphabet oder Was macht die Schule mit unseren Kindern?!

Kennt jemand von Euch den Film „alphabet„? Er lief vor einem guten Jahr in verschiedenen (Programm-)Kinos, damals hatte ich ihn leider verpasst. An dem einen Tag konnte ich nicht, an dem anderen hatte meine Frau keine Zeit (ich gehe ungern alleine ins Kino), und schon war er aus dem Kinoprogramm verschwunden.

Wie prägt das Schulsystem unsere Kinder? Das will der Filmemacher Erwin Wagenhofer vermitteln, der uns schon so spannende Filme wie „We feed the World“ bescherte. Der Trailer dieses Films lässt hoffen, dass verschiedene Lehrsysteme der Welt gezeigt werden und sich damit letztendlich unser Schulsystem in Deutschland kritisch auseinandersetzen darf. Ich dachte, ich sehe Japaner, Chinesen, afrikanische Eingeborene, US-Amerikaner und Aborigines und davon abgesetzt Waldorfschulen, die Rütli-Schule und irgendein Elitegymnasium, um Schlüsse zu ziehen, was das Lernen der Kinder wirklich ausmacht.

Weit gefehlt. Der Film zeigt uns am Anfang nur das chinesische Schulsystem – wir hatten es schon befürchtet: Drill, Prüfungen, Urkunden, Matheolympiaden. Wir sehen die Chinesen aus dem Blick des PISA-Beauftragten der Bundesrepublik, der gleich feststellt, dass China schließlich alle PISA-Rankings anführt, und dass Europa dies verpasst habe, um auf dem Weltmarkt mitzuhalten. So weit, so gut.

Dann lernen wir Herrn Professor Hüther kennen, für Bildungs- und Erziehungsforscher in Deutschland ein bekannter Mann, er durchreist die Lande und lehrt, die Kinder Kinder sein zu lassen, wegzukommen vom Drill in deutschen Landen, weg von Noten und Gehorsam, hin zur freien Entfaltung des Individuums. So weit, so gut.

Schließlich gibt es die Familie Stern. Der alte Mann hat autodidaktisch eine „Malschule“ begründet, die in seinem französischen Gutshaus Kindern, auch Älteren die Möglichkeit bietet, sich malerisch zu entfalten. Ein weißes Blatt, schöne Ölfarben, ein paar alte Pinsel, jeder darf, wie er/sie will. Niemand gibt etwas vor (außer dem alten Mann, der dafür sorgt, dass die Farben sauber bleiben und das Blatt an der richtigen Stelle an die Wand gezweckt wird). Später kommt sein Sohn ins Bild, der nie zur Schule ging, nie unter Druck stand, und jetzt fließend Fremdsprachen spricht und wunderschön selbst gebaute Gitarren spielt. Schnitt auf Professor Hüther, der verkündet, dass Kinder sich stets alleine bilden, auch ohne das Zutun von außen.

Der letzte im Reigen der pädagogischen Anschauungsobjekte ist schließlich Pablo Pineda, der als erster Mann mit Down-Syndrom erfolgreich ein Universitätsstudium abschloss und der nebenbei schauspielert – auch hier gibts den passenden Hütherschen Kommentar. Pineda darf dann auch den entscheidenden Satz sprechen, dass Pädagogik etwas mit Liebe zu tun haben muß und nie mit Angst. Er fährt schlafend Zug, wir sehen ihn im Fussballstadion und wie er im Campus lauthals gähnt. Die sympathischste Figur des Films.

Ich erwartete den Schlagabtausch zwischen Hüther und dem PISA-Mann, gerne auch eine deutsche Familie, die nach China auswanderte, oder arme chinesische Kinder, die das deutsche Bildungssystem unterfordert. Der Hartz-IV-Mann, der sich per Securityarbeit und 8 Euro pro Tag über Wasser hält, trotz Einser-Notendurchschnitt in der Hauptschule – er wurde als einziges „Opfer“ in Deutschland präsentiert.

Vor allem aber erwartete ich die gestörten deutschen Kinder, die auf dem chinesischen Weg sind, um nur Leistung über Leistung zu bringen. Das CEO-Seminar von McKinsey, das etwas deplatziert hineingeschnitten war, und indem die junge Absolventen zeigen konnten, wie skrupellos sie das hiesige System gemacht hat, blieb überraschend zahm (abgesehen davon, dass die zukünftigen CEOs in ihren dunkelblauen Kostümchen und Anzügen genauso uniformiert wirkten wie die chinesischen Schulkinder). Sprach deshalb der Personalchef der Telekom von der Militarisierung unserer Wirtschaftskarrieren?

Chinas Lehranstalten gegen schullose Erziehung gegen Hüthersche Horrorprognosen – zu schwach für einen Film, der aufrütteln will.
Schade. Chance verpasst.

Offizielle Seite mit Trailer usw.
alphabet auf DVD und – wer hat – via Amazon Stream

Passend dazu: Wir sind keine Sorgenkinder von Martin Spiewak

27 Antworten auf „alphabet oder Was macht die Schule mit unseren Kindern?!“

  1. ich sehe gerade, dass da steht, angst oder liebe… erstaunlich. und sehr polemisch und damit doof. da schau ich mir lieber nochmal 100 mal boyhood an und unbedingt endlich mal wieder le grand bleu, aber nicht diesen film…..

  2. ich hatte mir das buch von stern jr: ich war niemals in der schule angetan. puhhh, zeitverschwendung und zudem untertraeglich in seiner arroganz und zudem noch sehr, sehr schlecht geschrieben. gut, es gibt genuegend schlecht geschriebene buecher von menschen, die in der schule waren… aber den weg, den stern gehen konnte, als einen fuer alle gangbaren hinzustellen ist eine frechheit. beide eltern hochgebildet, mit genuegend vermoegen und zeit, um sich der aufzucht des einzigen sohnes zu widmen. und jetzt, na wie zauberhaft, er spricht fremdsprachen, das geht einfach, wenn man mit den kindern in fremde laender reisen kann, da lernt man die sprachen sicher am besten, er baut gitarren und klimpert vorzueglich darauf rum. nichts gegen gitarrenbauer und musiker, aber wird er wirklich jenseits der rockschoesse seiner eltern ueber-lebensfaehig sein? auf jeden fall ist seine geschichte in keiner weise dazu geeignet, das system schule zu hinterfragen…. und das hatte ich erhofft….

    1. Das war auch mein erster Gedanke: Stern junior kann das nur machen, weil er finanziell priviligiert ist. Wenn er keinen Bock mehr gehabt hätte, Gitarrenbau zu lernen, Super, Abbruch, dann würde er heute Gärten gestalten, ach nein, doch lieber An der Kasse sitzen, nein, ganz sicher nicht.

  3. Hehe, lustig dass gerade jemand von der Telekom da im Film einen kritischen Kommentar abgegeben hat. Ein Bekannter hat bei einer der vielen Toechter des rosa Riesen angefangen zu arbeiten und er berichtete davon, dass der Geschaeftsfuehrer sich insbesondere dadurch hervorgetan hat, dass er mit einer unappetitlichen Arroganz auf kleinere Mitbewerber herabblickt und eine Diskussion um die Sicherheit der Netze durch persoenlichen Angriff auf die jeweiligen Journalisten abwuergte.

    Das ist unsere Elite. Ich hoffe, das mein Bekannter seinen Charakter bewahren wird und nicht auch so wird.

  4. Jetzt verfolgt mich das Schulsystem und vor allem PISA auch noch bis auf deinen Blog – ich hab in der letzten Woche 4 Vorlesungen über PISA gehört, bitte mach du da nicht auch noch eine Gewohnheit draus!

    Ich frage mich immer wieder aufs Neue, wie sich *jeder* eine Meinung zum Schulsystem machen kann und Didaktik, Lehrmethoden und Organisation in Frage stellt. Klar, jeder war einmal auf der Schule (hoffentlich) und hat gute und schlechte Lehrer erlebt. Aber macht das uns alle direkt zu besseren Pädagogen als die Lehrer? Ich meine, dann könnte ich auch – ganz überspitzt formuliert – behaupten, dass ich in die Chirurgie passen würde – schließlich schaue ich immer Grey’s Anatomy.

    Jedes Land hat seine eigenen Methoden. Die chinesischen Methoden würde ich nicht gutheißen, aber das liegt an meiner kulturellen Prägung als Deutsche – die chinesische Kultur ist signifikant anders. Hier in Deutschland würde das britische Queueing auch überhaupt nicht funktionieren – und Großbritannien ist uns noch deutlich näher als China. Also kann man – meiner Meinung nach – auch die Schulsysteme nicht direkt vergleichen. Die Kinder werden in einem anderen Bewusstsein erzogen als hier in Deutschland. Und genauso, wie das chinesische Schulsystem in Deutschland nicht funktionieren würde, wäre das deutsche Schulsystem in China problematisch.

    Aber WARUM (!!!) wird immer die PISA-Studie als Maß aller Dinge gesehen? Warum wird immer so auf dem PISA-Schock herumgeritten? Auch wenn die ersten Ergebnisse miserabel waren, verbessert sich die Leistung stetig – und zumindest ist die Spannweite in Deutschland nicht allzu hoch. Aber was bringt es…
    … wenn alle den Kopf in den Sand stecken und auf die böse Schulpolitik schimpfen?
    … wenn alle nur die Kinder bemitleiden? (klar, G8 ist unnütz. Aber in Gesamtschulen kann man auch das Abi in 13 Jahren machen)
    … wenn alle nur über die Lehrer schimpfen – wir denken uns die Lehrpläne nicht aus!
    … alles immer einfacher wird?

    Ich frage mich wirklich, wie viele der Eltern und/oder Schüler und/oder Lehrer überhaupt noch die formale Definition der einzelnen Noten kennen. Eigentlich müsste der Schnitt einer jeden Klassenarbeit zwischen 2- und 3 liegen – denn eine 2 übersteigt laut Definition schon die Erwartungen! Aber wenn die Noten immer mehr inflationär vergeben werden, was ist dann noch ihre Aussagekraft?

    Und schulische Auslese funktioniert auf mehrere Arten. Natürlich, Leistung ist der Hauptpunkt. Wenn man den verschiedenen Studien glaubt, werden verschiedene „Bildungsklassen“ zur besseren Analyse erstellt – aber diese sind auch recht ungenau, eine Kategorie ist fast immer die Anzahl der Bücher im Haushalt. Soziale Auslese sollte nicht stattfinden – in einem gewissen Maße geschieht dies natürlich, da das Elternhaus nicht immer unterstützen kann oder die finanziellen Möglichkeiten für Nachhilfe etc nicht gegeben sind. Aber zumindest ist offiziell einem jeden Schüler jeder Bildungsweg offen – und ich habe neulich im Praktikum mitbekommen, dass Schülern auch finanziell an vielen Stellen unter die Arme gegriffen werden kann.

    Einer der Haupteffekte von PISA war und ist, dass die Inhalte des Curriculums angepasst werden auf die Anforderungen der Studie. Und das läuft falsch herum. Denn PISA passt sich wieder auf die Curricula an – und so bewegt sich das Curriculum auf eine einfachere Ebene. Und Schule muss nicht nur Wissen vermitteln, sondern vielmehr Kompetenzen. Niemand wird jemals mehr von einem Schüler verlangen, eine Funktionsanalyse einer reellen Funktionenschar durchzuführen (bestimmte Berufe ausgenommen). Aber Mathematik schult das logische Denkvermögen – und was das angeht, ist das Fach doch gar nicht mehr so unnütz.

    Nach diesem langen Sermon (sorry!): PISA stellt auch nur Korrelationen her, die Kausalität kann aber nur vermutet werden. Es ist ein zahlenmäßiger Zusammenhang gegeben zwischen der Anzahl der Störche in einer Stadt und der Anzahl der geborenen Kinder – aber ich meine, dass dennoch keine Kausalität vorliegt…

    1. Liebe Sunny,

      ich kann nur ganz kurz antworten, will es aber auf jeden Fall tun:

      „Aber zumindest ist offiziell einem jeden Schüler jeder Bildungsweg offen – und ich habe neulich im Praktikum mitbekommen, dass Schülern auch finanziell an vielen Stellen unter die Arme gegriffen werden kann.“

      Sie sagen es „OFFIZIELL“ steht jedem Schüler jeder Bildungsweg offen, betrachtet man die tatsächliche Durchlässigkeit des Schulsystems (rein statistisch z.B. nach Schulwechseln von „unten nach oben“), betrachtet man die Bildungsabschlüsse der Eltern usw. wird man sehr schnell (auch statistisch) feststellen, dass es mit dem „OFFIZIELL“ getan ist.

      Als ehemalige Hauptschullehrerin, die viel mit Schulabbrechern gearbeitet hat und über schulische Auslese promoviert hat, kann ich Ihnen wirklich (wenn auch nicht in diesem Rahmen) gesichert mitteilen, dass schulische Auslese in Deutschland soziale Auslese ist und das ist das eigentliche Drama des Schulsystems. Denn wenn sie von zu Hause nicht die notwendigen Verhaltensmuster, die notwendige Unterstützung (finanziell, sozial, lerntechnisch) bekommen, gibt es INNERHALB der Schule wenig Möglichkeiten (um nicht zu sagen gar keine), eine Unterstützung zu finden, wenn es problematisch wird.
      Es wird selektiert, pathologisiert und viel zu wenig gefördert.

      Die PISA-Studie war vielerorts ein Vorwand die Leistungshürden höher zu machen, ohne die Förderung zu verstärken (abgesehen davon gibt es nicht in jedem Bundesland GEsamtschulen und es gibt nicht nur das Abitur…), DAS ist das eigentliche Drama von PISA. Den Satz mit der sozialen Auslese hat kein Politiker im Munde geführt. Wäre auch mal eine Überlegung wert gewesen.

      Und die finanzielle Unterstützung von Schülern… hören Sie mir auf. Ich darf mich täglich mit „BuT“ (Bildung und Teilhabe, Bildungsgutschein) und den jeweiligen Praktiken der Städte und GEmeinden rumschlagen, ich habe einen Überblick über viele Städte in Deutschland und was DA geschieht, treibt einem die Haare hoch und die Tränen in die Augen. Kurz: NEIN, das Geld kommt wirklich nicht überall bei den Kindern an und wenn man weiß, dass das Geld, das die Städte NICHT verausgaben (und das ja vom Bund kommt) dann im städtischen Haushalt bleibt und dort die Haushaltslöcher stopft, muss man sich nicht wundern, warum die Vergabekriterien mancherorts so „sparsam“ sind. Und glauben Sie mir, ich habe darüber schon mit Frau von der LEyen korrespondiert (als sie noch zuständig war), dem BUND, der die Gelder ja wie gesagt zur Verfügung stellt, ist das letztlich wurscht, was damit geschieht.

      Wenn Sie Lehrerin werden wollen (und so lese ich Ihren Beitrag) tun sie sich und Ihren Schülern einen GEfallen, wenn sie die schulische Selektionspraktiken sehr, sehr kritisch durchleuchten! Alles Gute!

      Blüte

      1. Das Problem besteht aber in unserem Schulsystem in viele Richtungen. Förderung von Hochbegabten?! Fehlanzeige! „Die kommen schon irgendwie alleine klar“ (nein, tun sie nicht!) ist noch eine der netteren Einstellungen.
        Und etwa hochbegabt und aus einer „unteren sozialen Schicht“ stammend. Doppelt Pech gehabt. Kinder mit unheimlich viel Potential, aber ohne jede Hilfe dann oft zum Scheitern verurteilt.

        1. „Soziale Auslese“ bedeutet ja genau, dass Schüler aufgrund ihres sozialen Umfeldes und der damit verbundenen Probleme „aussortiert“ werden. Das heißt mitnichten, dass es die „DUMMEN“ sind. Ich habe in meiner Arbeit eigentlich nur junge Menschen mit viel Potential getroffen, die aber dennoch durchgereicht wurden vom System, gar keinen Abschluss hatten usw. Unter anderen Umständen, mit einem anderen Elternhaus usw., hätte sich keiner der Menschen, die ich getroffen habe, in so einer bedrohlichen Bildungssituation vorgefunden.
          Auch hochbegabte Kinder werden, wenn sie unterfordert sind, deshalb stören usw. sehr schnell vom Gymnasium selektiert bzw. kommen erst gar nicht dorthin, es sei denn sie haben Eltern, die sie fördern, ihnen außerschulisch „Futter“ bieten, die in der Schule kämpfen usw. Genau das macht ja den Unterschied in unserem Schulsystem. Und da sind wir wieder: Die Schule betreibt soziale Auslese. Leider.

      2. nur kurz:
        (1) kommt es immer auf das Bundesland an. Was in dem einen Land gut funktioniert, muss im nächsten noch längst nicht klappen. Daraus, dass es im eigenen Land Probleme gibt, lässt sich nicht schließen, dass diese überall im gleichen Maße vorhanden sind.

        (2) Das es die Zusammenhänge zwischen sozialer Schicht und Bildungsabschluss gibt, ist klar. Aber dies ist erst einmal nur die KORRELATION. Sie schließen daraus direkt, dass es eine Kausalität geben muss. Und dem möchte ich widersprechen. In bildungsfernen Elternhäusern wird evtl nicht so viel vorgelesen, nicht so viel Wert auf Bildung gelegt, … – woher sollte das Kind schulisches Interesse entwickeln? Innerhalb aller Schulen, in denen ich bereits Praktika absolviert werde, wurde gefördert – ist zwar auch nicht das Maß der Dinge, aber auch aus allen Stadtvierteln hier in der Umgebung, auch solchen mit schlechtem Ruf. Verallgemeinern kann und sollte man nicht.

        (3) Finanzielle Unterstützung: Ich weiß nicht, was der Bund macht, und habe auch nicht die Zeit mich im Moment damit auseinanderzusetzen. Mir ist bewusst, dass da sicher nicht alles glatt läuft. Aber manches klappt. Zum Beispiel werden hier die Kosten für grafikfähige Taschenrechner und Klassenfahrten übernommen. Bei Ihnen vielleicht nicht – bei mir aber schon. Hier scheint es zu klappen.

        (4) PISA: Leistungshürden wurden nicht unbedingt höher, nur andere Leistungen gefordert. In Mathe zB war eine Aufgabenform eine Zuordnung der Wasserhöhe in bestimmten Vasen bei gleichbleibendem Wasserzufluss – eine Aufgabe, die vorher so nicht bekannt war und jetzt geübt wird. Schwerer wird es nicht – nur anders.

        (5) Durchreichen: Was soll denn mit Kindern geschehen, die sich verweigern? Oder die in einigen Fächern keine Begabung zeigen?`Ich wage zu behaupten, dass es KEIN Bildungssystem gibt, bei dem niemand durch das Raster fällt. Und Schüler können noch so viel Potenzial haben – wenn sie nicht wollen, bringt dies nichts. Und wenn sie dann nach ein paar Jahren doch wieder sich schulisch engagieren, sind sie (zu Recht) nicht mehr auf dem Gymnasium, wenn sie dazwischen keinerlei Leistung erbracht haben. Aber die Möglichkeit, wieder auf höhere Schulformen zu kommen, dürfte – v.a. in einer Gesamtschule – gegeben sein.

        1. Sunny, dieser Blog ist nicht der Ort, nun eine Privatdiskussion über das Thema „schulische Auselse“ zu führen, daher wird dies auch mein letzter Beitrag zum Thema sein. Dennoch sind ihre Praktika sicher nicht repräsentativ, um es mal ganz vorsichtig auszudrücken.
          (1) Natürlich leben wir in Deutschland im Kultlurförderalismus. Der Punkt der sozialen Auslese gilt aber für alle Bundesländer.
          (2) Es gibt eine Kausalität zwischen „Schicht“ (nicht mehr sehr gängig dieser Begriff) und Bildungsabschluss.Gerade in Deutschland. Das ist die soziale Auslese und es geht weit über das „Ach, in bildungsfernen Schichten wird nicht vorgelesen…“ hinaus.
          (3) Wo auch immer „hier“ ist. Ich glaube kaum, dass ihr persönlicher Eindruck repräsentativ für die Förderpraktiken ist, schon gar nicht für deren Langzeitwirkung.
          (4) Alleine der Schritt von G9 zu G8 in den meisten Bundesländern sowie das Einführungen von zentralen Prüfungen in einzelnen Bundesländern ist eine deutliche Verschärfung der Leistungshürden. Man kann über die Sinnhaftigkeit einer jeder Maßnahme diskutieren, aber es ist nicht nur eine „Veränderung“, es ist eine Verschärfung.
          (5) Warum weigern sich Kinder? Zeigen sie keine Begabung oder ist die Schule nicht in der Lage diese zu fördern? Natürlich gibt es kein Bildungssystem bei dem NIEMAND durchs Raster fällt, aber in Finnland ist die Sitzenbleiberquote z.B. bei 1% und das Land hat bei PISA dennoch prima abgeschnitten. Da gibt es dann schon „leichte Unterschiede“ im Schulsytem, vom gemeinsamen Lernen bis Klasse 10, von der Ausstattung der Schulen mit Personal (keineswegs nur Lehrer, auch Sozialarbeiter, Krankenschwestern usw.)
          Ich würde es für wichtig halten, dass Sie (falls Sie Lehrerin werden wollen) vor allem Ihren Punkt 5 überdenken.
          Blüte

  5. Was mich an diesen ganze Diskussionen über Schule, Schlsystem etc. fürchterlich stört, ist die Tatsache, daß es nur das EINE richtige System geben soll. Aber das wird nun ganz sicher nicht den vielen Unterschiedlichen Kindern und Menschen gerecht. Mein Bruder kam mit unsrer Schule sehr schlecht klar, ich sehr gut. War unsere Schule nun also schlecht, weil er mit dem Druck nicht gut klar kam, sein Abitur eher mittelmäßig und er aber dennoch erfolgreich Architektur studierte? War sie gut, weil ich ein gutes Abi gemacht habe und anschließend mein Pharmazierat Studium recht problemlos absolvieren konnte?

  6. Mich hat der Film enttäuscht, weil er nichts anderes tut als Extreme gegeneinander zu stellen.
    „Natürlich“ lernt der Mensch in der Schule, einer Institution sozialer Kontrolle, um zu „funktionieren“, machen wir uns doch nichts vor, so funktioniert das System, schon immer. In China ist das besonders stark ausgeprägt, aber auch in Deutschland ist das so. Ein Blick in die PISA-Studie zeigt doch ganz klar (es steht da sogar explizit), dass schulische Auslese in Deutschland SOZIALE Auslese ist. Wer nicht ins System passt, wird aussortiert. Das kann man mit Zahlen belegen, das wusste der Deutsche Bildungsrat im Jahre 1969 auch schon. Da hat sich nichts geändert, also von der Richtung her nicht. Differenzierung, „Verwertung“ ist schon immer ein Merkmal der Schule gewesen. Das ist die Grundproblematik, auch wenn es unterschiedliche Ausprägungen gibt, siehe China, siehe Deutschland.
    Ja und dann gibt es natürlich Leute wie Familie Stern. Individuell ganz toll, ohne Frage, aber nicht im Ansatz anwendbar auf die schulische Realität, es ist eindeutig eine Idee NEBEN Schule. Hat ja auch wunderbar funktioniert, aber was sagt uns das für die problematische Schulsystem!?!?!?
    Mir hat mein Onkel den Film in die Hand gedrückt und ich war hochgespannt und im Nachhinein schwer enttäuscht, auch wenn ich natürlich nicht die Lösung aller Probleme erwartet habe, dafür habe ich mich zu lange auch beruflich mit genau dieser Frage befasst, durchaus auch im wissenschaftlichen Rahmen. Dennoch fand ich die Erkenntnis des Films sehr dünn bis nicht vorhanden.

    Blüte

    1. Interessant, der Gedanke von Schule als sozialer Auslese, um die jungen Menschen in „funktionierend“ und „nicht funktionierend“ einzuteilen. Ich muss sagen, ich bin da wohl zwischen durch gefallen. Zu Schulzeiten habe ich noch funktioniert, sogar das Abi mit 2,irgendwas abgeschlossen – aber danach bin ich mir über diesen „Funktionszwang“ in der Welt und im Leben bewusst geworden, und nun verweigere ich mich dem „Funktionieren“, was zugleich auch meine Hürde ist, darin, zu finden, was ich mit meinem Leben anfangen will….einfach nur irgendwas arbeiten, weil man es ja muss um leben zu dürfen jedenfalls nicht.
      So gesehen hat mich die Schule schlechtestmöglich auf das Leben vorbereitet, denn man könnte sagen, ich weiß heute in erster Linie, was ich *nicht* will, aber nicht, *was* ich *doch* will…

      1. Aber ist es wirklich Aufgabe der Schule, den Kindern zu helfen ihren Weg zu finden? Sollten das nicht lieber die Eltern tun? Die Schule schafft immerhin die Basis, sich (relativ) frei zu entscheiden. Ganz plump gesagt: Ob Sie Bibliothekar werden wollen, müssen Sie selbst herausfinden, aber die Grundvoraussetzung lesen zu können, die hat Ihnen die Schule durchaus erfolgreich mitgegeben.

  7. Wenn die Erwartung an diesen Film war, „gestörte deutsche Kinder“ zu sehen, und der Auftritt der Jungmanager enttäuschte, weil sie zu zahm rüberkamen, nicht „skrupelos“ genug, dann stimmt wohl eher etwas mit den Erwartungen nicht als mit dem Film selbst.

    Der Film stellt eine grundsätzliche Frage an heutige Bildungssysteme, nämlich ob der Mensch lernen soll, um zu funktionieren, oder lernen soll, um sich zu entwickeln (und mithin seine Umgebung).

    Die chinesische Schule als Aufmacher war Beispiel für Ersteres, denn das Einzige, was die Kinder dort lernen, ist, zu funktionieren: Sie bekommen Aufgaben gestellt und haben diese nach vorgegebenem Schema zu erfüllen.
    Jungmanager, Telekomiker und der Hilferuf einer Hamburger Gymnasiastin gaben Anlass, zu überdenken, in welche Richtung die Bildung sich auch in Deutschland entwickelt.
    Gegenpol die Sterns.

    Mir hat der Film sehr gut gefallen, gerade weil er auf das übliche Geschrei verzichtet.

    Am Beeindruckendsten fand ich die Stelle, an der die Bilder aus der Malschule über die Jahrzehnte nebeneinander gelegt wurden. Von den bunten Bildern, die Kinder in den vergangenen Jahrzehnten gepinselt haben, vollgestopft mit Details, hin zu den Merkwürdigkeiten aus heutiger Zeit: Mehr als zwei, drei Kringel und Dreiecke können viele Kinder heutzutage ihrer „Phantasie“ nicht mehr abringen.

    1. Hatte ich nicht erwähnt, dass ich andere Erwartungen an den Film hatte? Wenn Hüther filmisch zitiert wird, muss man mit Katastrophen rechnen. Aber die wurden gar nicht gezeigt – vielleicht weil es die bei uns gar nicht gibt?

      Zu den Bildern: das hat mich als Kinderarzt auch zunächst verstört, sehe ich zB vor der Einschulung viele Kinder, die nicht mal einen Baum malen können, weil sie ständig vor der Glotze hängen.

      Aber: bei Stern sollen die Kids malen, was sie wollen. Warum also nicht abstrakt? Mondrian und Pollock würde ich die Phantasie auch nicht absprechen wollen.

  8. Danke, jetzt weiss ich endlich, worum es in dem Film geht. Ich musste ihn nämlich für unsere Bibliothek beschlagworten (inhaltlich erfassen) und war hilflos, weil der Umschlagstext und die Besprechungen, die ich fand, einfach nur schwammig waren.

  9. Lieber Kinderdoc,
    ich lese schon länger mit, habe aber noch nie einen Kommentar hinterlassen. Als Pharmazie-Studentin (naja, seit einer Woche ;)) interessieren mich Ihre Geschichten aus der Praxis. Nun gebe ich hier meinen Senf dazu: Letztes Jahr leistete ich einen Freiwilligendienst in China. Ich unterrichtete mündliches Englisch an einer Mittelschule im tiefen Westen des Landes. Meine Schüler waren Siebt- und Achtklässler. Falls Sie also aus dieser Perspektive etwas lesen möchten, bieten sich mein Blog und die der anderen Freiwilligen an 🙂
    M.E. wurden die Schüler unheimlich gedrillt, ja. Aber sie lernen Disziplin und Respekt, zwei Tugenden die man auch nicht verachten sollte! Von ihrer Höflichkeit und Gastfreundschaft könnte sich so manches deutsches Kind eine Scheibe abschneiden 😉 Es ist eben nicht alles schwarz und weiß… Dass wenig Zeit für’s „Spielen“ übrig bleibt, stimmt leider auch.
    Viele Grüße
    Nadya

    1. Wenn man es denn für erstrebenswert hält, dass die Kinder sowas lernen.
      Ich will das für meine Tochter sicher nicht. Die soll frei und ungezwungen aufwachsen.
      Wer seine Kinder gedrillt haben will, bitte. Schauen wir uns gerne mal an. Von außen.

      1. Wo hat denn Nadya geschrieben, dass sie den Drill erstrebenswert fand/findet?
        Respekt (z.B. vor der Leistung Anderer) und Disziplin sind imho nicht die schlechtesten Tugenden. Die tatsächlich im heutigen deutschen Schulsystem wenig gefördert/gefordert werden. Jeder, der sich selbstständig gemacht hat, weiß, dass man ohne (Selbst-)Disziplin ganz schnell Baden gehen kann. Und Disziplin muss man lernen. Das geht allerdings auch ohne chinesischen Drill.

        1. Begeisterung muss man eher mitbringen für seine eigenen Sachen. Klar Begeisterung kann man auch so lernen. Irgendwann glaubt man dass fremdbestimmte Befehle der eigene Wille ist.

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