Neulich im Notdienst

Mutter: „Ich wollte mal den Ausschlag anschauen lassen. Ist das normal?
Ich: „Ja, das ist so eine Reaktion der Wangen, gibts viel im Winter, wenn es kalt ist.“
Mutter: „Was kann ich da machen?“
Ich: „Bissel eincremen, Gesichtscreme, Fettcreme, was Sie haben.“
Mutter: „Und dann wollte ich noch fragen…?“
Ich: „Ja?“
Mutter: „Sieht das normal aus?“
Ich: „Wie jetzt, wegen des Ausschlags, wie gesagt…“
Mutter: „Nein, nein, ob mein Kind so normal aussieht?“
Ich: „Normal, ja… Ja, sicher. Wieso, was meinen Sie?“
Mutter: „Naja, sieht das behindert aus, oder?“
Ich: „Wie, behindert?“
Mutter: „So, geistig, geistig behindert?“

Der Junge war ganz normal, zwoeinhalb oder so, sprang durchs Untersuchungszimmer, motorisch sicher topfit, lachte mich an, quakte seine normale Kindersprache. Wie das so ist, im Notdienst, ich hatte die Familie noch nie zuvor gesehen, bin nicht der Hauskinderarzt, dann ist das natürlich nicht leicht zu beurteilen, wenn man ein Kind nur ein paar Minuten sieht. Nicht, dass ich der absolute Crack in Sachen Syndrome und Physiognomie bei Stoffwechselerkrankungen wäre, aber bis auf den leichten Epikanthus und der Stupsnase konnte ich an dem Kleinen nichts Besonderes erkennen. Und die hatte er bestimmt von der Mutter geeerbt.

Ich: „Wie kommen Sie denn darauf, was macht Ihnen denn so Sorgen? Hat der Kinderarzt was gesagt?“
Mutter: „Nein, ich finde ihn ja auch ganz normal. Mich haben aber jetzt schon zwei Freundinnen gefragt, ob mein Sohn denn ganz normal sei, der sehe so komisch aus. Geistig, halt.“

Freundinnen… Aha.

19 Antworten auf „Neulich im Notdienst“

  1. Wobei man hier die „Dein Kind ist anders“*-Sager nicht unbedingt verurteilen sollte.

    Es gibt auch durchaus die Freundinnen, die dann nämlich recht haben und wo die Eltern es einfach nicht sehen wollen/können. Vielleicht bläst er eigene Kinderarzt auch schon in das selbe Rohr – aber wahrhaben will man es immer noch nicht.
    Also wird dann mal die zweite Meinung eingeholt.

    Gut – wenn man spätestens dann einsieht, dass das Kind mal näher auf Anderstum untersucht werden sollte.
    Schlecht – wenn dann auch noch eine dritte, vierte, fünfte und xte Meinung dazu kommt und das Kind nicht die Förderung erhält, die es bräuchte.

    *=Anders ist nicht schlechtes, nicht negatives. Es schließt überdurchschnittliche Intelligenz genauso ein wie Autismus oder Taubheit – daher habe ich dieses Wort anstelle von behindert gewählt. 🙂
    Wobei auch die erwähnten… ährm… „Negativbeispiele“ nicht implizieren sollen, dass es etwas Schlechtes ist. Es macht das Leben durchaus Schwieriger – aber das kann es durchaus schon gewesen sein. 😉

  2. Solange nur sein „geistiges Aussehen“ und nicht dessen Funktion gestört ist, ist ja alles okay. 😀
    Liebe Klatsch-und-Tratsch-„Freundinnen“, wie so häufig gilt auch hier die Maxime: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Klappe halten. Nehmt es euch doch bitte endlich mal zu Herzen (auch wenn wir dann auf ein paar der famosen Kinderdok-Geschichten verzichten müssen, was äußerst schade wäre).

  3. Ich kann die Mutter durchaus verstehen. Wenn andere sagen, dass vielleicht etwas nicht stimmt, macht man sich durchaus mal Sorgen. Auch weil man als Mutter vielleicht nicht alles sieht, weil der „Blick von außen“ einfach fehlt. So geschehen auch bei mir als Kind, einige Freunde und Bekannte hatten meiner Mutter gesagt, dass mein Kopf „irgendwie komisch“ aussieht. Ihr selber ist nichts aufgefallen, dem ersten Kinderarzt auch nicht. Irgendwann kam dann die Diagnose Plagiocephalus und für meine Mutter die Frage „warum habe ich das nicht früher gesehen?“. Insofern finde ich es völlig legitim, auch mal einen fremden Arzt zu fragen, wenn man unsicher ist und sich die Gelegenheit ergibt. Der hat auch eine andere Sicht auf die Dinge.

  4. die hat ja einen Selbstwert von einem nassen Putzlappen….. wenn sie sich so verunsichern lässt durch irgendwelche Ausschläge (waah, Dramatik!) und dem unqualifizierten Gelaber der „Freudinnen“ Mir kommt es so vor, als ob sie sich nichts zutraut…….

  5. Kinderdoc, hast du die Mutter mal gefragt ob sie raucht oder getrunken hat? Wäre ja schon mal ein schnelles Kriterium.

    Ich stelle mir das gerade so vor, wenn eine Freundin zu Freundin sagt: Dein Kind sieht irgendwie geistig behindert aus. Realsatire pur.

  6. Mh, zum einen würde es auch zu einer Freundschaft gehören, unangenehme Dinge zu sagen. Aber nicht wie in diesem Fall irgendwas – noch dazu unwahres – einfach „hinzuwerfen“.
    Aber ich frage mich auch, warum man a) das einen fremden Arzt fragt (mißtraut man dem eigenen Kinderarzt ?) und b) warum man mit einem Ausschlag (oder war der so schlimm ?) zum Notdienst geht ?

    1. a) Vielleicht hat die „Freundin“ gerade kurz vorher so einen Käse geredet? und der Kinderarzt wurde damit noch gar nicht konfrontiert? Oder der „Arzt im Krankenhause“ ist per se der Schlauere (sehr häufiger Grund)?
      b) nein, der war gar nicht schlimm. Vielleicht war die Columbofrage auch die wichtigere?

      1. Vielleicht (nur vielleicht) hat sie aber auch lieber einen fremden Arzt als den Kinderarzt gefragt, weil man den fremden Arzt nicht so schnell wiedersieht. Da ist die Blamagegefahr geringer, falls alles okay ist.

    1. Als Mutter macht man sich manchmal einen Kopf um die bescheuertsten Dinge. Wenn dann auch noch zwei verschiedene Menschen denselben Quark erzählen, dann setzt sich da schnell ein Zweifel fest. Immerhin hat sie ja einen Fachmann gefragt anstatt sich weiter verrückt zu machen, ist doch schön.

  7. Ich muss ehrlich sagen, ich habe mich das auch schon gefragt früher ob das Kind krank sei oder einfach nur hässlich. Sorry, es ist aber so. Viele Kinder sehen einfach „seltsam“ aus, ohne genau sagen zu können warum.
    Viele sabbern auch so lange, oder sind hinterher in der Entwicklung.
    Deshalb kann ich die fragende Mutter verstehen. Vielleicht hatte sie Vertrauen, sie kannte dich nicht und wird dich wahrscheinlich nicht mehr Wiedersehen, da nur Notdienst.
    Allerdings sind die Freundinnen schon “ sehr offen“.
    Wobei gute Freundinnen in einer stillen Minute ihre Gedanken äußern dürfen.

    Wir haben auch so ein Kind in der Nachbarschaft. Ein Junge, 8 Jahre, sabbert heute noch, würde auch 1 Jahr von der Schulpflicht zurückgestellt. Trägt eine Brille, spricht kaum.
    Denken tun das hier eigentlich alle „Moritz ist seltsam“, sagen tut es dann doch keiner.

    Aber einem fremden Kinderarzt zu Fragen halte ich für völlig legitim und kann ich auch verstehen.

  8. Argh, Mütter unter sich… . Darüber müsste mal jemand ein Buch schreiben. Allerdings ganz sicher unter einem Synonym!
    Da gilt die Regel: schnellstens aussortieren! Es gibt sie nämlich durchaus auch die ganz normalen Mütter, die sich mitfreuen, wenn das eine Kind x, y oder z kann, selbst wenn es das eigene erst volle 48 Stunden später kann. Oder so.
    Ich habe eine Freundin, die solch eine „Feindin“ mit so tollen Sprüchen wie der „netten“ Nachfrage, ob’s KInderl denn geistig ein bisserl zurückgeblieben wäre ausgerechnet in der Verwandtschaft. Jede Familienfeier ein Riesenspaß. Genauso unverschämt zurückschießen will sie nicht, um eben keinen familienweiten Krach zu provozieren. Ich wäre schon längst geplatzt!

  9. Meine Tochter hielten auch solche „Feindinnen“ für gestört…weil sie über ca 8 Monate stark trotzte.
    Dabei hat sie einfach einen sehr starken Charakter, ist intelligent und geniesst heute ihr Leben als junge Frau. Die Kühe denken wohl heute noch die sei gestört 😉

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