Emil dricker kaffe*

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Wir waren in diesem netten Café, ganz in Weiß und Blau, ganz skandinavisch, ganz angenehm. Nur im Vorbeigehen entdeckt, aber der Kaffeedurst lässt einen so manches erschnuppern. Und damit es nicht die zigste Café latte macchiato mit Shot oder ohne beim Sternendollar wird – hier hinein.

„Ohje, Papa, das ist was für Dich“, ruft die Große, als sie als Vorhut die Treppen wieder runtergesprungen kommt.
„Achja?“, sage ich und ahne Schlimmes. Soviel Ironie ist sonst selten.

Drinnen wiederholt sich das Weiß und Blau und vermischt sich mit dem Pastell der Schlabberlätzchen, Fleecemützchen und Tragetüchern, der … geschätzt … zehn Müttern mit Kleinkindanhang. Ich scanne kurz das Terrain. Hinten links ein eingebretterter Krabbelbereich, ein greinendes verrotztes Etwas streckt bereits die Arme aus, rechts daneben der ältere Bereich mit Sitzmöbelchen und politisch korrekter Lektüre von Lindgren, Carle und Nordqvist. Ein Holzschaukelmotorrad rundet die Einrichtung dieses Bereiches ab – Marke „schaukel nicht so hoch, da sind in der Praxis schon einige abgestürzt“.

Davor die erwähnten weißen Möbel – alles ikealike, schwedisch hübsch, im Kreuzmuster, rustikal, aber luftig, wie die Verandaumzäunungen in Sma- oder Södermanland. Wir ergattern einen Tisch weiter links, zum Fenster hin, jetzt sind wir die einzige komplette Familie. Da soll noch jemand sagen, die deutsche Familienkultur ändere sich. Von wegen: Hier sehe ich da zwei Muttis mit stillbereiten, nein, falsch, bereits angelegten Säuglingen, dort vier Frauen mit größeren Kindern auf dem Schoß. Jedes der acht Händchen im Puderzucker oder der Sahne der bestellten Waffeln eingetunkt. Und schließlich eine Oma mit Tochter und Enkelin, rechts außen, die Kleine als einzige hier im Laufalter…, Verzeihung, korrekter: Trotzalter. Nicht zu überhören.

Meine Frau ist entzückt, die Kinder lassen sich anstecken, ein Oh für die geblümten Tässchen, ein Ah für die Spinatwaffeln, ein Wow für die moderaten Preise und ein Hui meinerseits für die angepriesenen Kühlpacks und „Arnica-Globuli“. Im kleinen Regal werden brave Holle-Breichen und organische Tees präsentiert, der Blick durchs Fenster lässt den sonnigen Hinterhof (auch in weiß und blau und, ok, grün) erahnen – aber leider ist gerade Februar.

Ich genieße meinen Kaffee (doch, es gibt hier tatsächlich „nur“ Kaffee), und auch die Mandelkuchentorte ist eine Wucht. Die Lautstärke schwillt weiter an, den Kinderchen wird langweilig, da ihre Mütter ihre Tees und Proseccos getrunken haben und die Sahnewaffeln zerfasert auf den Tischen verteilt sind. Wir befinden uns auf einem Spielplatz mit Kaffeeautomatenanschluss. Das ist korrekt, das geht in Ordnung. Die Zielgruppe ist klar definiert. Wenn ich den Globulihinweis nicht gleich am Anfang in der Speisekarte entdeckt hätte, wäre ich sicher unvoreingenommener gewesen. So aber wartete ich ständig auf das Unvermeidliche: Der Ruf nach denselben.

Er blieb aus.

Lönneberga – Mainz. Warum nicht…

[Dies ist kein sponsored post. Dank der erwähnten Zuckerkügelchen passt es aber in die topics dieses Blogs. Meine Rechnung habe ich selbst bezahlt.]
* Michel trinkt Kaffee (freie Übersetzung)

16 Antworten auf „Emil dricker kaffe*“

  1. Arnikaglobuli? Warum nur die? Sollten die als gutsortiertes Mutter-und-Kind-Paradies nicht eine breite Auswahl zur Verfügung stellen? Wo bleibt hier der Servicegedanke???

    Nein, ernsthaft, ich hab’s nicht mit den Globuli und weiß nicht Bescheid. Warum Arnikaglobuli?

    1. Arnika ist eine Heilpflanze bei zB Prellungen und tatsächlich phytotherapeutisch wirksam. Arnikasalbe wäre also gar nicht so abwegig.
      Hier kommt der Blödsinn der Glaubuli besonders zum Tragen: a) Verdünnt man ein wirksames Medikament, bis kein Wirkstoff mehr da ist und b) konterkariert man den Gedanken Heinemanns, eine Krankheit mit dem krankmachenden Mittel zu heilen. Bei einer Schürfwunde auf dem Bürgersteig wäre das also hochpotenzierter Asphalt als Globuli. Tja.

      1. Ja, Arnikatinktur kenne ich von meiner Oma – aber da ist wenigstens noch ein Wirkstoff drin!
        Aber in diesem Kindercafe sind ja nicht nur Kinder, die stolpern, da sind ja auch Kinder mit Schnupfen, Husten, Heiserkeit…Gehe ich recht in der Annahme, dass Arnikaglobuli die Mutter Teresa der Globolihörigen sind: egal, was das Kind hat, erst mal Arnikaglobuli einwerfen?

        1. Ganz so weit gehen die Mütter dann wohl doch nicht – aber eigentlich könnte man das so machen: Nichts geben funktioniert immer (oder nicht), egal wie man es etikettiert. Anders: Arnika Globuli haben so wenig Wirkstoff wie Pulsatilla Globuli.

  2. …und wenn man dann noch weiss, dass daneben ein toller kleiner Buchladen (keine Kette) ist….
    Ich bin mir jedoch nicht ganz sicher, was ich von diesen Kindercafés halten soll:
    Als Kinderlose finde ich sie einerseits toll (weil ich dann in anderen Cafés meine Ruhe habe), andererseits bin ich mir nicht sicher, ob sie mein Unverständnis für lärmende, spielende Kinder nicht noch weiter verschärft – weil Kinder aus immer mehr Lebensbereichen verdrängt werden.

  3. Och menno genau so etwas fehlt hier in unserer Ecke. Ok, die Zucker Perlen brauche ich auch nicht. Aber ein Laden wo man mal hingehen kann und die lieben Kleinen treffen auf andere Gleichgesinnte und wenn sie Blödsinn machen beschwert sich kein Renter über die Lautstärke.

    1. Und hier fehlt genau das andere in manchen Stadtteilen: Ein Laden, in denen erwachsene Leute mal ungestört Reden oder bei Kaffee und Kuchen einfach mal ihre Ruhe haben können ohne gleich auf eine Horde Krabbelkinder sowie stillende und sich laut unterhaltende Mütter zu stoßen. Nichts gegen Kinder, aber es gibt auch noch andere Themen und am Sonntagnachmittag ist Kindergeschrei nicht Jedermanns Sache.

  4. Hallo Kinderdoc, ich lese Ihren Blog nun schon lange im Stillen und bin jedes Mal aufs Neue begeistert über Ihre Art zu Schreiben. Doch dieses Mal haben sie doch (hoffentlich) das „l“ bei „Jedes der acht Händchen im Puderzucker oder der Sahne der bestellten WaffeLn eingetunkt. “ vergessen.
    Bitte machen Sie noch lange weiter mit Ihrem Blog, ich freue über jeden neuen Beitrag.

    1. Auch hier eine Korrektur:
      Es heißt „beim“ Stillen.
      Aber dann kann es doch eigentlich noch gar nicht so lange sein, dass du hier mitliest.
      😉

  5. Der Prosecco passt aber irgendwie nicht ins Bild. 😉 Zumindest meiner Erfahrung nach, weil die Zielgruppe ja dann doch meist eher lange stillt.

    (Und außerdem ist es wirklich sehr hübsch da, zumindest den Bildern nach. Trotz allen Klischees. Es sind so dekorative Klischees!)

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