Mäanderne Anamnese abends um 21 Uhr

Neulich im Notdienst.

Mutter: „Ich wollte das Gesicht mal zeigen, diese Pickel.“
Ich: „Hat sie die noch woanders?“
Mutter: „Nein.“
Ich: „Sonst ist sie nicht krank?“
Mutter: „Nein.“
Ich: „Medikamente? Allergien?“
Mutter: „Nein.“
Ich schau mir die Kleine an. Sie hat eine beginnende Impetigo, eine superinfiziert trockene Haut im Gesicht.
Daher, wie immer bei „Haut“: Mal komplett ausziehen.
Ich: „Oh, aber hier an den Handgelenken ist es auch ganz schön entzündet.“
Mutter: „Achja…“
Ich: „Und der Rest der Haut?“
Mutter: „… ist okay.“
Sie zieht währenddessen den Body über Bobeles Kopf.
Ich: „Aber der ganze Körper ist ja gerötet.“
Mutter: „Ja, das ist oft so.“
Ich: „Sagten Sie nicht, die Haut ist sonst in Ordnung?“
Mutter: „Ja, ein bisschen trocken.“
… ist reichlich untertrieben.
Ich: „Aber sonst ist sie gesund?“
Mutter: „Ja, schon.“
Ich: „Schaue ich mir mal noch Rachen und Ohren an.“ Dann: „Oh, das Ohr hier ist aber auch entzündet.“
Mutter: „Ja, das hat die Kinderärztin auch gesagt.“
Ich: „Ach, sie waren heute schon bei der Kollegin?“
Mutter: „Nee, gestern.“
Ich: „Und was sagt die zu der Haut?“
Mutter: „Nichts. Sie meinte, das könne vom Antibiotika kommen.“
Ich: „Welches Antibiotikum?“
Mutter: „… das sie seit gestern kriegt.“
Ich: „Aber gestern war die Haut ja noch in Ordnung, sagen Sie, das konnte die Kollegin ja noch gar nichts zu sagen.“
Mutter: „Doch, das hat die Kinderärztin ja heute gesagt.“
Ich: „Dann waren Sie heute nochmal bei der Ärztin?“
Mutter: „Ja, vor zwei Stunden. Ist aber nicht besser geworden mit der Salbe.“
Ich: „Welche Salbe? Ich dachte, sie kriegt keine Medikamente?“
Mutter: „So eine grün-weiße Verpackung.“
Ich: „Aha. Noch was, was ich wissen muß?“
Mutter: „Nein.
Ich: „Wahrscheinlich hat sich die trockene Haut entzündet mit Bakterien. Da ich nicht weiß, welche Salbe Sie benutzen, schreibe ich Ihnen mal was dafür auf, ja? Das Antibiotikum wird wahrscheinlich auch noch dabei helfen, neben den Ohren.“
Mutter: „Kriegt sie aber nicht mehr.“
Ich: „Was, das Antibiotikum?“
Mutter: „Habe ich weggelassen, weil sie vom Husten immer so gebrochen hat.“
Ich: „Husten tut sie auch?“
Mutter: „Ja, ganz schlimm.“
Ich: „Sagten Sie nicht, sonst ist sie gesund? Gibts denn noch was, was ich wissen muß? Sonst Medikamente? Andere Krankheitszeichen? Irgendwo angesteckt vielleicht?“
Mutter: „Nein, wirklich nicht.“
Also dann noch abgehört, zum Glück „alles frei“, die Kleine (10 Monate oder so) war während der ganzen Aktion am Grinsen und Brabbeln.
Es geht dem Ende der Vorstellung zu. Ich fasse zusammen, händige das Rezept aus.
Mutter: „Und Thymian?“
Ich: „Welches Thymian?“
Mutter: „… das sie als Tropfen kriegt. Wegen dem Husten.“
Ich: „Oh, noch ein Medikament.“
Mutter: „Und das W.ick Vap.o.rub. Auf die Brust. Wegen dem Husten.“
Ich: „Ja, … nun.“
Mutter: „Spielt das eine Rolle, dass ihr großer Bruder letzte Woche Schaalach hatte?“

(Denken Sie sich hier bitte einen großen Seufzer.)
Der nächste Patient und sein Vater, der mir um 21:30 Uhr erzählte, dass sein acht Monate alter Sohn seit „Wochen“ nichts mehr esse, waren dagegen eine Erholung.

22 Antworten auf „Mäanderne Anamnese abends um 21 Uhr“

  1. Und ich wundere mich tatsächlich immer noch warum unser Kinderarzt ein und dieselbe frage immer noch drei mal anders formuliert und sich tatsächlich auch noch zu wundern scheint, dass er dreimal die gleiche Antwort erhält. . Habe immer gedacht es müsse wohl darauf zurückzuführen sein, dass er wohl ansonsten eher mit Kindern redet… 😁

  2. Nun ja, zweifellos ist die Mutter nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber…….sie wäre nicht gekommen, wenn sie sich keine Sorgen um das Kind machte. Und sind wir darüber nicht schon froh? Deshalb danke für die nachfragende Geduld!

  3. du mußt die geduld eines engels haben, lieber kinderdoc, spätestens beim wick für ein 10 monate altes kind, hätte mich (als 2 fache oma) der unbändige wunsch erwischt, die nase der mutter so lange auf die packungsbeilage zu hauen, bis sie zumindest DAS kapiert hat

  4. Die grüne Hustenkruke der „Proctologe & Spieler“-Firma (oder so)? Für ein 10 Monate altes Kind? Oha! Ich zitiere mal:
    – Keine Anwendung bis zum vollendeten 2 Lebensjahr: Nicht anwenden bei Säuglingen und Kleinkindern unter 2 Jahren aufgrund des Gehaltes an ätherischem Öl; die Anwendung kann einen Laryngospasmus hervorrufen.
    – Anwendungsbeschränkung nach dem vollendeten 2. bis zum vollendeten 6. Lebensjahr: Bei Kindern von 2 bis 6 Jahren nicht zur Dampfinhalation anwenden.

    Aber das ist scheinbar mal so ein typischer „Beratungstester(in)“. Mindestens 3 Meinungen einholen, auf Übereinstimmung vergleichen, und danach: nichts von alledem machen! Die Beratenden haben eh keine Chance gegen den allwissenden Dr. Gockel…

    Erinnert mich auch an meine Beratungsgespräche, wo ich gefühlt 20x den selben (wichtigen) Satz anfange, und nach 3 Worten regelmäßig wegen Nichtigkeiten unterbrochen werde. Oder die Patienten, die „keine Medikamente regelmäßig einnehmen“, mal (zusätzlich nachgefragt) von Schilddrüsenhormonen, Asthmasprays. 3 verschiendnen Blutdrucksenkern, dem Cholesterinsenker… abgesehen.

    Kinderdoc, auf dass nicht zu viele dieser Sorte die Praxis blockieren..!

    1. Dr. Gockel ist gar nicht so schlecht, wenn man ihn bedienen kann. z.B. findet man all diese Beipackzettel, wo Dosierungen, Anwendungsempfehlungen und Anwendungsausschlüsse oben stehen mit Dr. Gockel recht zuverlässig. Elternforen dagegen sind eher gefährlich.

      Was mich irritiert, jetzt an die Profis: ist es unmöglich, Patienten entsprechend zu sozialisieren? Die meisten Ärzte haben doch ihre Patienten jahrelang. Klar, da gibt es eine Akte, wo eh alles drinsteht. Nur mal angenommen, bei jedem Praxisbesuch wird „welche Medikamente nehmen sie denn alles“ gespielt (könnte auch helfen, die Therapietreue einzuschätzen), müsste sich ein Patient doch daran gewöhnen können, solche Informationen bei der Hand zu haben.

      Mir hat man es auch beigebracht, meine Medikamente zu kennen: durch zahlreiche unfreiwillige Arztbesuche und den ein oder anderen Krankenhausaufenthalt. Nur für die Impfungen ist mir der Abstand zu gross, das vergesse ich immer und lasse es mir aufschreiben.

      1. Als „Profi“ darf ich mal feststellen: Den meisten deutschen Patient(inn)en, wo ich mal nachhake, ist es völlig wurscht, WAS sie alles nehmen. „Ja, irgendwas gegen Blutdruck, die kleine weiße, die kennen Sie ja!“ wäre so eine typische Antwort. „Wie jetzt, wie die heißen? Die haben ja so komplizierte Namen alle! Da kanns ja nicht so viele geben…“ Und mein regelmäßiger Tip, die alle auf ein kleines Kärtchen zu schreiben, Versichertenkartengröße, mit Dosierungsangaben – damit die Ärzte, wenn man mal ins Spital kommt, auch wissen, was los ist – wird meist dankend abgelehnt. Zu kompliziert, zu aufwendig, dauert zu lange, ändert sich zu oft, bringt ja doch nix…

        Wenn der Patient nicht mitarbeitet, können sich alle Heilberufler auf den Kopf stellen, und es wird trotzdem nichts bringen. Das ist leider Praxis in D. Die eGK bringt aber auch nichts in dem Zusammenhang: zu viele gesperrte Bereiche, keine übergreifende Kommunikation darauf möglich, alle Datenhoheit an die Kassen abgetreten (die kein Interesse daran zu haben scheinen, dass die Berater vor Ort nen Plan bekommen)… in dieser Hinsicht ein totgeborenes Bürokratiemonstrum, mittels Gesetzen zum Kassen-Zombi-Sklaven wiederbelebt.

        Dieses „Frage-Spiel“ mit jedem Patienten bei jedem Arzt/Apothekenbesuch zu spielen würde so viel Zeit verschlingen, dass ein wirtschaftlicher Betrieb unmöglich würde. Standard-Antwort: „Haben Sie doch in Ihrem Computer! Schauen Sie einfach nach!“ Ja sicher, auch wenn ich keine Datenschutzvereinbarung unterzeichnet bekomme, und deswegen keine Patientenakte führen darf. Und die Sachen, die bei anderen Apotheken geholt werden, habe ich auch in meinem Compi – ist ja überall das selbe gotische A am Haus…

  5. Ahhhhhhhhhhhh! Das beweist: Anamnese lohnt sich immer, auch wenn es frustrierend sein kann. Man muss manchen Leuten einfach alles aus der Nase ziehen.. nicht schön, wenn es ums Kind oder einen älteren Angehörigen (oder das Haustier) geht. Da wird auch deutlich, wie schnell man etwas übersehen kann, wenn man nur „schnell, schnell“ macht und nicht richtig untersucht bzw. nachsieht. Gut gemacht, Kinderdoc! Deine Geduld möchte ich haben.

  6. omG!!! Ist das normal? Das ist nicht normal, oder??
    Sollte man dieses Kind besser gleich stationär aufnehmen?
    Bevor es die nächste Epidemie auslöst, weil es ja kein Antibiotikum bekommt?
    Sollte man einen Eltern-Führerschein einführen??
    Ja, sollte man. Plz
    Gruß, Maja

  7. In der Informatik gibt es dafür die Bezeichnung DAU – dümmster anzunehmender user. Vielleicht sollte es in der Medizin analog den DAP oder DAE geben 😉

  8. Also ehrlich… Haste wieder vergessen, die Glaskugel zu putzen? 😁 tststs… Sowas, echt jetzt. Ist doch der erste Griff bei Arbeitsbeginn… Und dann noch so neugierige Fragen… *Ironie off*

  9. Wieder ein Beweis, dass es Chancengleichheit für alle Kinder erst gibt, wenn man zulässt unfähigen Eltern die Kinder wegzunehmen.

  10. Herzliches Beileid. Ich habe mir beim Antibiotika bereits mit der Hand in Richtung Stirn gefaßt und beim Scharlach wäre ich fast in schallendes Gelächter ausgebrochen… Wenns nicht so traurig wär, wärs wirklich lustig.

    LG neko

  11. 😂 Aber ist doch klar, mal lieber nichts sagen, um zu sehen, ob der Kinderdoc im Notdienst das gleiche herrausfindet, wie die eigene Kinderärztin 😉. Einfach mal gucken wer kompetenter ist 😜!

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