Getrennt lebende Eltern müssen sich einigen bei der Impfentscheidung. Für die Kinder.

Die Entscheidung, sein Kind impfen zu lassen, fällt vielen Eltern schwer. Darüber habe ich hier schon ausgiebig berichtet und zu Diskussionen Anlass gegeben. Viele Einflüsse wirken auf die Eltern: Die Omas und Opas, die gutmeinende Nachbarin, die Hebamme, das Internet, die Heilpraktikanten und nicht zuletzt auch wir Kinder- und Jugendärzte, Experten des Impfens und doch immer die vermeintlichen Strohmänner der Pharmaindustrie. Gut, wenn Eltern sich untereinander einig sind, was das Impfen angeht. Ich kenne auch Paare, wo das zu einem existentiellen Streitthema wurde, ähnlich der Frage, ob man politisch rechts oder links steht oder Fleisch isst oder nicht.Impfen

Richtig problematisch ist es für getrennt lebende Eltern, denen beide das Sorgerecht zugesprochen wurde – sie müssen gemeinsam entscheiden, ob ihre Kinder geimpft werden und wieviel. Dies hat jüngst das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. so verfügt. Nach Ansicht des Gerichtes liegt im Fall der Impfentscheidung eine „Entscheidung von erheblicher Bedeutung“ vor – was ein Elternteil alleine nicht entscheiden darf. Denn: „Einerseits ist die Impfung mit gesundheitlichen Risiken und Komplikationen verbunden. Andererseits führt die Nichtimpfung zur Gefahr der Ansteckung mit den jeweiligen Krankheiten, die für die Kinder weitere Folgen mit sich bringt,“ so die Begründung auf anwalt.de (OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 04.09.2015, Az.: 6 UF 150/15).

Zuvor sah das Amtsgericht Darmstadt die Lage etwas anders: Impfungen seien eine „Entscheidung des alltäglichen Lebens“, in all ihrer Wertigkeit, denn das alltägliche Leben kann durch eine ablehnende Haltung zu Impfungen erheblich eingeschränkt werden. Stimme das Elternteil, welches mit den Kindern zum Arzt geht, den Impfungen zu – dürfe es alleine entscheiden, denn (wieder anwalt.de): „Als Teil der U-Vorsorgeuntersuchungen gehört die Durchführung der Impfungen zur Alltagssorge. […] Werden die Kinder z. B. nicht gegen Tetanus geimpft, könne die Mutter sie im Freien nicht in allen Gebieten spielen lassen. Deshalb fällt die Entscheidung für die Impfung in den Bereich der Alltagssorge, […]“ Stimme man jedoch gegen eine Impfung, so sei die Einverständnis des anderen Elternteils gefragt, denn „die Folgen des Nichtimpfens können so gravierend sein, dass es sich nicht mehr um eine alltägliche Entscheidung handelt, sondern die Angelegenheit erhebliche Bedeutung erlangen kann.“ (AG Darmstadt, Beschluss vom 11.6.2015, 50 F 39/15 SO)

Eigentlich eine ursprünglich weise Entscheidung des AG Darmstadt, die aber durch das OLG gekippt wurde. Für den Schutz der Kinder wird es dadurch jedoch nicht einfacher – da die konträre Impfentscheidungsdiskussion der Eltern nun vermutlich nicht nur rein sachlich-wissenschaftlich geführt wird, sondern auch noch emotional-partnerkritisch. Noch ein Teil mehr im Korb der schmutzigen Wäsche.

Außerdem ist die Entscheidung des OLG für uns Kinderärzte von Bedeutung: Wenn wir darüber wissen, dass Eltern getrennt leben und ein Elternteil den Impfungen kritisch gegenüber steht, sollten wir nicht impfen.

EDIT: Interview mit mir zu dem Thema bei Mama-arbeitet

(c) Bild bei Flickr/Dirk Vorderstraße

(Danke an @HansZauner für den Linktipp)

27 Antworten auf „Getrennt lebende Eltern müssen sich einigen bei der Impfentscheidung. Für die Kinder.“

  1. oh ja diesen Kleinkrieg kenne ich nur zu gut
    „du bekommst keine Impferlaubmnis, nur um dich zu ärgern, du bekommst gar kein eunterschrieften mehr sieh doch zu wie du das alles machst ohne meine erlaubnis du miststück“
    das Miststück hat dann ihr Sorgerecht für bestimmte Bereiche einem Anwalt übertragen somit wurde dem Vater dieses für selbige Bereiche abgenommen und der Anwalt hat sich von beiden erfragt was die Beweggründe sind (der bockige Vater hat mit dem Anwalt nicht reden wollen) und dann entschieden.
    Traurig aber wahr und so war es für die Kinder einfach besser.

    1. achja inzwischen ist Sohn 1 alt genug und für Sohn 2 hab ich das alleinige Sorgerecht zugesprochen bekommen
      Er ist voll geimpft und glücklich das er Fahrschule machen darf, auch etwas was der Vater nie unterschrieben hätte

  2. Ich habe zum Glück das alleinige Sorgerecht und kann das alleine entscheiden.
    Aber die meisten Impfungen finden bei Kindern doch eh im Baby- und Kleinkindalter statt. Und Ehepaare trennen sich statistisch gesehen ja meist erst, wenn die Kids aus dem Kleinkindalter schon raus sind. Von daher ist das mit dem Impfen dann ja kein großes Streitthema mehr. Denke mir, dass vielleicht auch Ehepaare in glücklciher Beziehung sich über das Impfen streiten.

    1. Täusch dich nicht, habe mich nach 13 Jahren Ehe getrennt, Sohn 2 kam gerade in die Schule, da muss viel aufgefrischt werden durfte ich alles nicht

      1. Da war doch aber noch alte Rechtsprechung, was wäre passiert, wenn du das trotzdem gemacht hättest?

        Ach ja, hier ist er gegangen, als die Twins 10 Monate und die große 4,5 Jahre alt waren. Mit dem ganzen Krankheits- und Präventionskram hab ich ihn gar nicht behelligt😁

      2. Boah, das hätte ich nicht gedacht – dass auch auffrischen darunter fällt?

        Der hat doch einmal (oder mehrmals) bereits zugestimmt, d.h. die Grundsatzentscheidung für das Impfen ist doch bereit gefallen.

        (Zudem hat das Kind keine Schäden davongetragen, da gibt es doch nichts zu diskutieren?)

  3. Natürlich erschwert das den Praxisalltag. Aber jetzt mal unabhängig von den Impfungen: Sorgerecht und damit auch Gesundheitsversorgung der Kinder ist eine Sache von BEIDEN Elternteilen. Da kann man eben mal nicht einfach so sein Kind impfen / operieren oder sonst was machen lassen. Ist doch gut, dass das Zweiklassensorgerecht von Mutter und Vater endlich mal eingeschränkt wird.

    1. Wenn die Eltern sich einig sind und alles gut klappt, ist das ja in Ordnung. Aber ich wage die Behauptung, dass in mindestens 80% der Fälle der eine Partner quer schießt, nur um dem anderen in die Suppe zu spucken.
      Wenn ich meinen Ex erst hätte fragen müssen, ob die kleine Minihexe nach dem Sturz im Kiga mit fetter Platzwunde an der Stirn, ins KH darf, würde sie heute noch auf der Wiese liegen. Er hatte ja noch nicht mal Zeit, seine anderen beiden Kinder noch eine weitere Nacht zu nehmen, da war ihm eine Geburtstagsfeier 10x wichtiger. 😬

    1. Natürlich nicht.
      Aber es geht ja auch darum, dass einer der Eltenteile aus stumpfsinniger Rache eine andere Meinung hat als der Andere und damit das Kindswohl hinten runter fällt.

      Bei zusammenlebenden Eltern findet sich zudem ja noch eine Diskussionsgrundlage. Sie werden ja wohl ausdiskutieren, warum der Eine für und der Andere gegen die Impfung ist.

  4. Das erste, was man nach der Geburt des Kindes lernen sollte, ist weghören. Diese ganzen Ratschläge einfach ignorieren und nur das tun, was man selbst für richtig hält.

    Das Impfen der Kinder ist mir nie schwergefallen, darüber gab es auch keine Diskussionen.

    Zum Glück war unser Kinderarzt ebenso vom Impfen überzeugt.

  5. Gilt Impfen nicht als normale Prophylaxe, so wie Zähne versiegeln? Dafür braucht man nämlich keine Einverständniserklärung. Andernfalls wird es darauf heraus, dass der behandelnde Arzt eine schriftliche Zustimmung braucht. Bekommt man die nicht, geht es vor Gericht (alles schon durch, als es darum ging, warum das Kind wie Kraut und Rüben schreibt und liest)…

  6. Au weia…
    Zwei Probleme sehe ich (als Laie) bei diesem Urteil:
    a) Wie kann nun noch der Alltag des Arztes aussehen? Muss er sich bei jeder Impfung von dem anwesenden Elternteil unterschreiben lassen, dass sie nicht getrennt sind?
    b) Wenn sich die Eltern nicht einigen, dann läuft es prinzipiell darauf hinaus, dass das Kind nicht geimpft wird.

    Das „alte“ Urteil scheint mir auch sehr viel sinnvoller.
    Arme Kinder…
    Arme Ärzte…

    1. Ich denken, Sie haben die Entscheidung des OLG missverstanden: Können sich die Eltern nicht einigen bedeutet dies nicht, dass die Impfung unterbleibt. Es entscheidet dann, je nach Antrag, das Gericht, oder überträgt die Alleinentscheidungsbefugnis auf einen Elternteil.

      Genau diesen Antrag hatte die Mutter hier gestellt. Das AG hat den Antrag zurückgewiesen, weil seiner Auffassung nach die Entscheidung über Impfungen dem täglichen Leben zuzurechnen ist und damit ganz ohne richterliche Einwirkung bereits dem Elternteil zusteht, bei dem das Kind lebt.

      Das OLG hat diese Frage anders gesehen. Normalerweise wäre die Sache wohl zum AG zurück verwiesen worden, welches zu beschließen gehabt hätte, wer über die Impfungen entscheiden darf. Dies ist hier deshalb nicht geschehen, weil sich die Eltern vor dem OLG darauf geeinigt haben, bezüglich der Impfungen zukünftig der Empfehlung eines weiteren Kinderarztes zu folgen.

      1. Doch, das hatte ich so verstanden. Es bedeutet aber nichtsdestotrotz eine Hürde im Impfgedanken: Eine Entscheidung eines Gerichtes ist bei Uneinigkeit vonnöten. Nach dem Spruch des AG hätte die Entscheidung des betreuenden Elternteils ausgereicht.
        Aber es ist richtig, den Ausweg nochmals klarzustellen, Danke dafür.

  7. Gilt nicht der Grundsatz „Im Zweifel für den A…“rzt? Wenn zwei medizinische Laien sich uneins sind (die Eltern) sollten unschuldige Opfer doch nach den bestmöglichen wissenschaftlichen Erkenntnisse behandelt werden…

  8. Heissa.

    Willkommen in der Arztpraxis, im Büro des Anwalts, vor Gericht und sonstwo: Die Elternteile, welche die Impfung des Kindes ablehnen – nicht aus sachlichen Gründen, sondern weil sie prinzipiell gegen die Haltung des Expartners kämpfen…

    Bei meinem Vater hat es schon nicht geklappt, rechtzeitig meiner Mutter mitzuteilen, ob und wann er mit meinem jüngeren Bruder in die Ferien zu gehen gedenkt. Dabei besass sie das Sorgerecht.

  9. Was soll man da als juristischer (und medizinischer) Laie sagen? Glücklicherweise waren meine Ex-Frau und ich uns bei medizinischen Fragen bisher immer einig. Aber das ist schon ein ziemliches Dilemma. Der „Zwang zur Einigung“ bedeutet ja erstmal nichts. Entscheidend ist was passiert wenn eben „nicht einig“. Nach LG Darmstadt hieß dies dann „impfen“, d.h. eine/r bekam recht. Nach OLG Frankfurt nun „nicht impfen“, d.h. der/die andere bekommt recht. Ich würde vermuten, dass das Thema irgendwann so grundsätzliche Bedeutung bekommt dass sich noch höhere Instanzen damit beschäftigen dürfen. Hier steht das Recht auf körperliche Unversehrtheit gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit. @Elawen: Die Debatte emotional zu führen hilft wirklich nicht weiter, auch wenn ich deine Wut gut nachvollziehen kann.
    Für die Ärzte ist das allerdings eine zusätzliche Komplikation 🙁

    1. Es ist einfach die Summe, die nervt. Ich muss wegen jedem Pups für die Kids ihn fragen, auch, wenn es aus meiner Tasche bezahlt wird. Selbst den Hortantrag musste er mit unterschreiben, obwohl ich den bezahle und er nichts damit zu tun hat. Und dann noch sowas? Die hamse doch nicht mehr alle… es ist Stress für alle Seiten, die Kinder werden instrumentalisiert, die Ärzte haben auch mehr Aufwand. Klarer Fall vom am Leben vorbei.
      Ne Impfpflicht würde das Problem sehr schnell lösen😁

  10. Heißt im Klartext:
    Du als Arzt möchtest jetzt wissen:
    a) Leben die Eltern getrennt, sind geschieden, waren nie wirklich zusammen, was auch immer….?
    b) Wie ist das Sorgerecht geregelt?
    c) Wenn gemeinsames Sorgerecht – dann schriftl. Einverständnis vom nicht anwesenden Elternteil?
    ( Also ehrlich, langsam denk ich, das die Datensammelwut bei der NSA
    noch das kleinste Problem ist.)
    d) Wenn Du von einer Trennung nix weißt…(soll ja manchmal plötzlich passieren sowas), landest Du dann vorm Kadi, weil die Impfung einem Elternteil nicht passt?

    Echt, ich war immer ein Verfechter der Impfpflicht, und werde immer einer sein. In meiner Region waren wir schon mal weiter, was das betrifft.
    Und solche …..Faxen (mir fällt hier nix anderes zu ein), die unsere Gerichte auch noch mitmachen, bestärken mich in dieser Meinung! Ich seh das haargenau so, wie meine Vorschreiberin! Ich sehe bei manchen möglichen Impfungen durchaus den Aufwand/Nutzen/mögliche Nebenwirkungen kritisch, und würde im Zweifelsfalle hinterfragen, ob das wirklich sein muss. Dies betrifft allerdings nicht die STIKO – Empfehlungen.

    An alle militanten Impfgegner, die mir jetzt widersprechen möchten:
    Die Mühe könnt ihr Euch sparen. Die Argumente kenn ich alle schon, und kann ich alle nicht nachvollziehen. Ihr habt Eure Meinung, ich hab Meine, ihr braucht nicht versuchen mich zu Überzeugen.

  11. Boah…. welcher behämmerte rechtsverdreher war das denn am OLG?
    Als Betroffene geht mir da die Hutschnur so was von hoch! Dass Impfungen schützen und wirken, ist ja wohl (wissenschaftlich) unumstritten. Und als diejenige, die die Kinder zu 95% hat und betreut und die Krankheiten „ausbaden“ muss, will ich auch dafür die Entscheidung haben. Ohne meinen Ex da noch großartig zu fragen, der kommt eh nicht zu Potte.
    Ganz ehrlich? Ich wünsche mir die Impfpflicht für alle von der STIKO empfohlenen Impfungen. Dann gäb es da wenigstens nirgendwo eine Diskussion. Ausnahmen nur mit medizinischer Indikation. Fertig, aus die Maus.
    Und der Kinderarzt ist doch nicht verpflichtet, den Personenstand abzufragen, oder? 😉

    1. Ja, wunderbar.
      Als Arzt geht man doch wohl davon aus, das sich die Eltern von so einem Zwerg einig sind, wenn ein Elternteil mit dem Kind dasteht, und sagt: „Einmal Impfen!“
      Was kommt denn danach? Brauchste von Geschiedenen ne Einverständniserklärung, weil der Doc für ne Untersuchung den Kleinen halbnackt sieht?

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