Die neuen Kinderrichtlinien brauchen ihre Zeit

Eigentlich sind sie nun offiziell in Kraft, die neuen Kinderrichtlinien bei den Vorsorgeuntersuchungen durch die Kinder- und Jugendärzte. Sie sollten bereits zum 1.7. kommen, wurden aber wegen Datenschutzproblemen (übertragen der mütterlichen Daten ins Kinderuntersuchungsheft? Seeehr problematisch?!) verschoben. Der erste September war der Stichtag. Trotzdem darf niemand erwarten, dass die neuen Inhalte sofort und komplett in den Praxen umgesetzt werden. Warum?kinderuntersuchungsheft

Zum einen kreißte der Gemeinsame Bundesausschuß sehr lange um das Thema, Inhalte wurden verändert, gestrichen, verschoben, sie bleiben teilweise umstritten, in der Summe werten sie jedoch die Kindervorsorgeuntersuchungen auf. Dies hat aber viel Unsicherheiten bei den Kollegen geschürt, so dass die endgültige Fassung sehr kurzfristig an die erbringenden Praxen gereicht wurde. Zum anderen ist die Bezahlung überhaupt nicht geregelt.

Im Fachdeutsch heisst das, die Finanzierung der aufgepimpten Vorsorgen ist noch nicht in den „Einheitlichen Bewertungsmaßstab“ EBM, das Instrument zur Abrechnung durch die Ärzte, implementiert worden. Ein Schelm, der Böses dabei denkt: Man bringt neue Inhalte auf den Markt, zeigt sie auch den Eltern in der Presse, regelt die Bezahlung aber später. Aktuell erhalten wir im Schnitt gute dreißig Euro pro Vorsorge, in den Zusatzverträgen zur U10 und U11 mit den Krankenkassen werden mindestens 50 Euro berechnet. Ähnliches erwartet der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte auch für die neu erweiterten U1 bis U9. Zitat der KBV: „Bis zur EBM-Anpassung erfolgt die Versorgung weiterhin nach den derzeit gültigen Regelungen.“ Diese Anpassung wird nicht vor Februar erwartet.

Bis die Bezahlung geregelt ist, dürfen Eltern also davon ausgehen, dass ihr Kinderarzt keine Begeisterung zeigt, fürs Gleiche deutlich mehr zu leisten (die Richtlinien setzen auch Neuinvestitionen in Hör- oder Sehtestgeräte voraus, auch die müssen von den Praxen finanziert werden). Wir lassen uns also Zeit, werden peu à peu die neuen Inhalte einüben, bis alles in trockenen Tüchern ist.

Was ändert sich nun konkret? Hier die wichtigsten, für Eltern relevanten Punkte:

– Es gibt ein neues „Gelbes Heft“. Dieses wird ab sofort (? wenn bereits geliefert) an alle Neugeborenen abgegeben. Für ältere Kinder gibt es Einlageblätter in das alte Heft (Hüstel: Bei uns ist noch nichts angekommen, weder Hefte noch Einlageblätter).

Teilnahmekarte für erfolgte Vorsorgeuntersuchungen, diese kann herausgetrennt werden und damit unabhängig vom eigentlichen Gelben Heften an Behörden übergeben werden.

– Neue Augenuntersuchungen: Von U4-U7 wird der so genannte „Brückner-Test“ durchgeführt, er erhöht die Diagnose von Amblyopien (… und beschert den Praxen die eventuelle Neuanschaffung eines oder mehrerer Ophthalmoskope)

– Verpflichtender Hörtest über mehrere Frequenzen bei 4-jährigen (… neues Gerät für die Praxis) – ob das bei allen gelingt?

– Screening auf Mukoviszidose, Abfrage der Stuhlfarbe bei U2-U4 (… übrigens mit Vergleich auf einer Stuhlfarbenkarte – dies dient dem Screening auf Störungen der Gallenwege)

– Deutliches Verweisen auf eine zahnärztliche Vorsorge

– Beobachtung der Interaktion zwischen Kind und Eltern, Angebot von Beratungsmöglichkeiten in der Region, eine Menge an Elterninformationen zu Beginn jedes Kapitels der Vorsorgen.

Gerne hätten die Kinderärzte noch gesehen, dass ein verpflichtendes Sprachscreening stattfinden sollte oder eine stärkere Impfverfügung eingesetzt wird. Außerdem: Warum wurden die Vorsorgen U10-U11, J1 und J2 nicht in das neue Heft aufgenommen? Sie sind zwar nicht Teil der Regelleistung, werden aber inzwischen von der Mehrzahl der Krankenkassen (und sowieso durch alle Privatkassen) erstattet und sind sicher in spätestens fünf Jahren tatsächlich Regelleistung. Dann gibt es eben wieder ein neues Heft.

13 Antworten auf „Die neuen Kinderrichtlinien brauchen ihre Zeit“

  1. Also in unserem U-Heft von März 2016 sind bei U1 alle meine Daten zu Geburt und Schwangerschaft drin. Muss der Kinderarzt denn wissen, wie viele Fehlgeburten Frau hatte (Anzahl Geburten minus Anzahl Schwangerschaften)?

  2. Na ja zu der Übertragung der mütterlichen Daten ins kindliche Untersuchungsheft könnte man schon anmerken, dass die Welt halt nicht immer schwarz und weiß ist und die glückliche Mutter, das Kind an der eigenen Brust aufzieht. Es gibt genug Kinder, die in Fremdbetreuung aufwachsen (Pflege / Adoption) und bei denen die Daten der Mutter sehr wohl geschützt werden müssen, oft auch zum Nachteil des Kindes, wenn z.B. eine Erkrankung vorliegt, bei der eine Familiengeschichte nicht uninteressant wäre. Und nein, wie sich das alles so entwickelt, weiß man nicht immer sofort nach der Geburt des Kindes. Also ganz so übertrieben ist ein sorgsamer Umgang mit familiären Daten leider nicht.

  3. „Zum einen kreißte der Gemeinsame Bundesausschuß…“

    Ha! Brilliant! Diese Schreibweise werde ich jetzt schamlos stehlen, um damit in Zukunft den politischen Ablauf zu beschreiben.

  4. Mmmh, wir hatten ja gerade Hörtest mit einer fast 4 Jährigen im Vorfeld einer Adenoiden-OP. Ich sach mal so: selbst der Opi 3 Räume weiter hörte es piepen. Helferin: „hörst du das?“ Sie: „ja! schon lange!“ Irgendwie hat sie nicht gecheckt, was zu tun ist….

  5. Beobachtung der Interaktion zwischen Eltern und Kind, klappt das gut? Gerade beim Kinderarzt versuchen die meisten doch als vorbildliche Eltern zu wirken.

    1. Die Eltern versuchen vielleicht etwas zu überspielen, das fällt aber bestimmt oft durch mangelde Schauspielkünste auf.
      Ferner wird auch das Kind beobachtet, wie es sich den Eltern gegenüber verhält – das sagt mindestens nichmal so viel aus.

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