Nach der Schicht zum Kinderarzt

Der Vater sitzt neben der Untersuchungsliege und stöbert im iPhone. Der Sohn, sowas wie dreieinhalb, schaut mich aus großen Augen an. Er wundert sich wohl, wo er hier gelandet ist.
„Hallo“, sage ich. „Kinderdok.“ Und schüttele dem Vater die Hand. Hebe die Hand zum Indianergruß und „Wer bist Du?“ zu dem Jungen.
„Marlon-Tim“, sagt der Vater. Das iPhone wird in der Brusttasche seines Hemdes versenkt.
Ich mache eine Geste, als sei ich überrascht, dass die Antwort von ihm kommt, tippe Marlon-Tim auf die Nase und frage, ob das stimme.
„Ja“, sagt der Vater.
Na gut. Dann eben so.
„Was hat er denn?“, frage ich. Marlon-Tim wirkt gesund, er grinst, fährt mit einem Matchbox-Auto das Hosenbein hoch und runter und brrrummt vor sich hin.
„Wenn ich das wüsste, wäre ich ja nicht hier“, sagt der iPhone-Vater.
Ja, richtig. Wie konnte ich. Tolle Pointe.
„Warum sind Sie denn gekommen?“ Ich formuliere die Frage anders, Hohes Gericht.
„Der ist krank“, sagt iPhone. „Oder, EmTii?“ Das sagt er wirklich. EmTii.
„Was genau?“
„Schnupfen… glaub ich.“
„Schon länger?“
„Ach, und Husten. Meine ich.“ Er nestelt an seinem iPhone. Jetzt ruft er gleich um Hilfe.
„Hat er auch Fieber gehabt?“
„Keine Ahnung. Glaub nicht. Oder, EmTii?“
Brrrrrumm.
„Okay. Hustet er denn nur nachts oder auch tags?“
„Weiß nicht. Nachts. Nachts. Doch, nachts. Sagt meine Freundin.“
„Haben Sie schon was gegeben?“
„Mann, Sie stellen Fragen!“ – „Hat Mama Dir was gegeben? Saft oder was?“, fragt er seinen Sohn.
Marlon-Tim zuckt mit den Schultern. Der Porsche ist kurz vor der Zielgeraden.
„Geht denn was rum im Kindergarten? Bei Ihnen in der Gruppe?“Matchbox - Porsche Panamera
„Hä? Was? Neee, glaub nicht. Oder doch. Die sind doch immer alle krank, oder?“
„Wie hat er denn heute nacht geschlafen?“
„Weiß ich nicht. Ich hatte Spätschicht. Dann habe ich geschlafen.“
„Hat er da gehustet?“
„Weiß ich? Wenn ich schlafe, hör‘ ich nix mehr. Gar nix.“

Wahrscheinlich ist der arme Mann nach dem Aufwachen von seiner Freundin verdonnert worden, Marlon-Tim zum Doktor zu fahren, mit ähnlichen Anweisungen wie Aussagen, die ich hier bekommen habe. „Fährste mal zum kinderdoc. EmmTii hat ´ne Erkältung. Aber lass Dich nicht wieder ohne Rezept abwimmeln.“

Tolle Anamneseerhebung, oder? Hinfort mit allem, was Du dazu im Studium lernst: Geschlossene Fragen, offene Fragen. Vergiß es einfach. Manchmal wünsche ich mir, die Kinder kämen alleine. Marlon-Tim könnte vielleicht mehr von sich und seinem Schnupfen erzählen als dieser Vater. Nunja. Wirklich krank war der Junge sowieso nicht. Das hatte ich mir aber schon gedacht, als ich durch die Tür kam.
Tja, und ein Rezept gab´s wirklich nicht.

(c) Bild bei Flickr/Leap Kye

15 Antworten auf „Nach der Schicht zum Kinderarzt“

  1. Augen auf bei der Berufswahl Mr. Kinderdoc, das hätte man doch ahnen können, dass die Kinder nicht alleine in der Praxis anrollen 🙂
    Lustig, wo Frau landet, wenn Sie bei wordpress „Porsche“ eingibt. Ich hoffe, das kleine Erkältungsopfer mit dem schlimmen Namen hatte ein netteres Auto als den fiesen Panamera zum Spielen.

  2. Tja, des Sohnemanns Spitzename bezeichnet des Vaters Wissensstand: MT
    (Hint: Spell it in english!)

    Der Gag stammt aber leider nicht aus meinem Hirn, sonders ist aus „Fallout NewVegas – Old Worl Blues“ entliehen…

  3. Meine Kinderärztin hat auch schonmal gut gelacht, als ich mein Kind mit ihr im Raum mit „Schwabbel“ angesprochen habe 😀 Wird mir nicht mehr passieren, inzwischen ist er Schnabeltier.

  4. Iphone. Tolles Ei. Andererseits kenne ich das mit den Schichten. In der Spätschicht ist nix mit Familienleben. Wirklich nicht. Du gehtst arbeiten, wenn die aus der Schule und der Kita kommen und anfangs bist du bei denen mit am Frühstückstisch, aber irgendwann, da kommt der Schlaf und die sind aus dem Haus und du stehst auf. Spätschicht, eigentlich meine Schicht, eine die ich persönlich gern mache, ist super -schlecht für das Familienleben. Und wenn ich aus der Schicht komme, kriegst Du mich nur nach der Nachtschicht wach, morgens, die Heckenschere des Nachbarn…

  5. Ich kann ja immer noch nicht verstehen (auch nicht als gelernte Arzthelferin…oder vielleicht gerade darum nicht), dass Eltern mit ihren Kindern eine Praxis wegen SCHNUPFEN aufsuchen. Was sollte denn aufs Rezept rauf? Taschentücher?!

    1. Unser Zwerg ist nicht nur unser Enkel sondern auch unser Pflegekind und unser damaliger Fachbetreuer hat bei seinen seltenen Besuchen auch sofort gefragt ob wir mit dem Kind schon beim Arzt waren wenn er sah das dem Zwerg die Nase lief,ab und an sind also auch die Mitmenschen Schuld am auftauchen ohne Wichtigen Grund.Unsere Kinderärztin kennt zum Glück die Situation und versteht daher das wir etwas öfter als Nötig auftauchen

    2. Vielleicht weil sich das Kind nicht gut fühlt und die Eltern es gerne 1-2 Tage zu Hause lassen möchten!? Dies geht aber nur mit einer entsprechenden Krankschreibung vom Arzt. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen aussieht, aber mein Arbeitgeber akzeptiert jedenfalls nicht nur die Aussage „Mein Kind ist krank.“, er möchte auch eine Bescheinigung dafür sehen.
      Daher sind wir leider auch bei banalen Dingen gezwungen zum Arzt zu gehen, auch wenn ich weiß, dass es nur ein stinknormaler Infekt ist, bei dem man nicht viel machen kann, außer abwarten und Tee trinken.

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