Schlafe stille…

n-tv und dpa berichten über ihre Online-Medien, dass „immer mehr Eltern“ ihren Kindern Schlafmittel geben würden. Valide Zahlen gibt es hierzu nicht, aber die Berichte zitieren die bayrische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) und den BVKJ in einer entsprechenden Stellungnahme. Dass dieser „Trend“ bedenklich sei, geschenkt. Wer würde dies schon gutheißen? Entsprechende Medikamente sind nicht ungefährlich, können zu Atemdepression und/oder -stillständen führen, ganz abgesehen von dem ethisch-sozialen Aspekt.

Sein Kind ruhig zu stellen, um „bloß mal wieder“ selbst schlafen zu können? Alle heben in Entrüstung die Hände, um sie kopfschüttelnd vors Gesicht zu schlagen. Eltern werden jetzt schnell verdammt, so etwas überhaupt in Erwägung zu ziehen. Aber der Leidensdruck ist oftmals sehr hoch. Durchwachte Nächte voll Ängste, was dem Kind fehle, fehlender Schlaf der – in der Regel – Mutter, Psychologie der Unzulänglichkeit und Ohnmacht der Handlungsversuche.

Aber natürlich ist es mit der zitierten Empfehlung des BVKJ-Sprechers Hermann-Josef Kahl, „wir empfehlen in der Regel den gnadenlosen Einsatz der Verwandtschaft“ statt Pharmaka nicht sehr weit her – wenn es so einfach wäre, das weinende Kind einfach der Oma oder wenigstens dem Vater in die Hand zu drücken, und alle seien dann zufrieden, na prima. Aber das greift doch sehr kurz.

Mehr Sinn macht da ein aufklärendes Gespräch über die Physiologie nebst Anamnese des Schlafrhythmus des Säuglings oder Kleinkindes und der ganzen Familie. Wann sind Ruhephasen, wann Aktivphasen, wie erkenne ich sie? Muß ich immer springen, wenn das Kind sich bewegt, sollte ich es vielleicht doch immer tun, denn Kind zeigen ihre Bedürfnisse im Weinen? Ganze Bücher werden darüber geschrieben, ganze Ambulanzen beschäftigen sich mit den „Schreikindern“ in entsprechenden „Schlaf-“ oder „Schreisprechstunden“.

Klar kennen wir Ärzte Substanzen, die beruhigen, naturheilkundliche, frei verkäufliche, bis hin zu rezeptpflichtigen, eine Wiedergabe würde den zitierten Trend unterstützen, also lasse ich das. Riskanter ist sowieso der Austausch darüber in Elternforen zu konkreten Medikamenten oder – natürlich immer dabei – passenden Glaubuli. Letzteres pharmakologisch weniger bedenklich, in der Interaktion aber ebenbürtig.

Die Dunkelziffer der „Behandelten“ dürfte nicht einschätzbar sein, wie üblich bei tabuisierten Themen. Anekdoten vom Oberarzt, der seine eigenen Kinder auf der Nordseeautofahrt ruhigstellt, oder der Vater, die stolz verkündet, er habe Mittel XYZ nachts um Drei verabreicht, weil „unerwünschte Nebenwirkungen auch mal erwünscht“ sein können, gibt es zu erzählen. Aber gibt es wirklich einen „Trend“ oder nur einen Sturm im Wasserglas? Eins ist sicher: Zur Sensibilisierung für das Thema ist eine Meldung dieser Art legitim. Oder ist die entsprechende Pressemitteilung des bayrischen Gesundheitsministeriums nur Aufhänger für das „neu aufgelegte Faltblatt ‚Hilfe für Eltern mit Schreibabys'“des Ministeriums?

Mein Kind schläft nicht – Infobroschüre der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin

19 Antworten auf „Schlafe stille…“

  1. Zählen ein paar Tropfen Lavendelöl ins Badewasser und warme Milch mit Honig als Schlafmittel? Ab ca 1 Jahr habe ich das gelegentlich gegeben…. Und: meine Kinder hatten beide beim Zahnen offensichtlich ziemliche Schmerzen und haben dann auch extrem schlecht geschlafen (also NOCH schlechter als sonst). Und wenn es ganz schlimm war, habe ich ihnen auch mal ein Schmerzmittel gegeben. Der Schlaf hat dann aber allen gut getan

  2. Ich kann aus der Apotheke kommend, jetzt nicht sagen, dass wir vermehrt Eltern haben, die etwas zum Schlafen fürs Kind wollen. Und wenn, dann gibt es vom mir auch nur Baldrian und Konsorten oder – Aufschrei bitte lassen – ein homöopathisches/ anthroposophisches Mittel. Alles andere bitte nur über den Arzt.

    1. Wobei wir gerne diskutieren können, ob „nur Baldrian und Konsorten“ den Mechanismus „Kind schläft nicht, ich gebe ein Schlafmittel“ nicht ebenso anheizt. Die pharmakologischen NW sind vielleicht geringer, nicht jedoch die psycho-sozialen.

      1. Letzteres steht außer Frage, wobei ich persönlich schon darunter litt, vor wichtigen Ereignissen (z.b. Schulanfang) nicht schlafen zu können. Allerdings war ich damals schon über zwölf. Aber da hätte mir als Kind etwas Harmloses zur Beruhigung sehr geholfen.

  3. (Wenn XYZ das ist, was ich vermute, dann nehm ich den Wirkstoff auch gern wenn ich nicht einschlafen kann, aber muss. Schichtdienst sucks.)

    Deinen Beitrag find ich toll, gut dass du alle Seiten beleuchtest!

  4. Bei Babys kann man sich dazu ja schon streiten ohne Ende, und zwar vollkommen ohne Ergebnis.

    Was mich aber viel mehr in Richtung Schafstörungen bewegt ist….na ja Unvernunft oder Naivität. Kürzlich erst wieder verstärkt mitbekommen. Zwei/Drei/Vierjährige bis 21.00Uhr übern Weihnachtsmarkt geschleift…..Da frag ich mich dann schon, ob so nicht das Schlafproblem erst geschaffen wird….

  5. im normalfall wären eine niedrigere erwartungshaltung, eine grössere akzeptanz und weniger vergleich mit anderen schon hilfreich. und ganz viel gelassenheit – je schlechter die eigene verfassung, je mehr zweifel und selbstvorwürfe die eltern haben, desto unruhiger ist auch das kind. nicht jedes kind ist mit 1 jahr stubenrein, obwohl es angeblich solche kinder gibt, und nicht jedes kind akzeptiert einen schnuller. nicht jede mutter kann stillen, aus welchen gründen auch immer, und nicht jeder vater traut sich über volle windeln. so ist das nun einmal.

    und mit dem schlafen ist es wie mit dem rest im leben: die einen so, die anderen anders. mein kind schlief mit 3 monaten durch: von früh bis spät, nächtens wollte sie unterhalten, gefüttert, gebadet, etc. werden, gerne auch spazierengefahren im kinderwagen, leider war das aber im jänner und es lag massig schnee und hatte einiges unter 0 grad. hahaha. blieben wir also ganztags zuhause, frische luft tagsüber mit offenem fenster und kind im kinderwagen dick eingepackt: schlafend. weil in der nacht war unterhaltung angesagt. ging ein paar monate so. dann schief sie plötzlich fast 24 stunden durch, und wechselte ohne irgendeinen erkennbaren äusseren anlass vom nacht- auf den tagmodus. dass sowas nicht einfach ist – besonders dann nicht, wenn die nachbarn schon randalieren weil das aaarme kind so vernachlässigt wird – wissen wir auch alle. und man kann nichts vorherbestellen oder herbeibeten. meine nachbarin hatte fünf kinder, und: von jeder extremsorte war eines dabei. am umgang mit den kindern lag es mit sicherheit nicht, die kamen einfach jedes für sich so aus der fabrik.

    irgendwann wird es mit sicherheit besser, und noch später wird es ganz gut, und noch später sind alles nur mehr böse erinnerungen die mit der zeit immer mehr verblassen. und den leuten die geplagten eltern was anderes weismachen wollen sollte man auf den kopf hauen.

  6. Früher gabs dann eben den Nuckel in Alkohol getaucht, damit Ruhe ist. Neu ist es nicht. Der größte Leidensdruck entsteht, denke ich, auch durch die Gesellschaft. Es ist auch die Aussenwirkung von „Ich bin müde, weil das Baby heute nacht so und so oft wach war.“, die für Druck sorgt, die Eltern dazu bringt an ihrer Kompetenz zu zweifeln. Weil, bei allen anderen klappt es ja. Ich denke, mit mehr Ehrlichkeit untereinander und mehr Hilfsbereitschaft (egal ob Verwandschaft, Nachbarn oder Freunde), kann man den Druck etwas senken und damit auch den Eltern die Möglichkeit geben, sich zu regenerieren.
    Schreibabies sind ohnehin eine Nummer für sich, da steigt der Druck von aussen noch mehr (und es gibt einfach Babies, die sich schwer damit tun zu lernen, sich selbst zu regulieren).

  7. Also ich geb’s ja zu: XYZ mag zwar [vom kinderdok editiert], aber ich bin schon ziemlich froh, dass es den Kleinen wenigstens ausknockt.

  8. Vielen Dank für diesen Beitrag Kinderdok! Mich nerven solche Artikel, die ohne belegbare Daten nur dazu dienen mit schmissigen Überschriften Klicks zu generieren und kollektives Bestürzt-und-Entrüstet-Sein auszulösen…

    Und mich nerven auch Eltern, die meinen, ihr 1,5jähriges hätte eine Schlafstörung, weil es nicht durchschläft/nur mit Mama schläft/nachts den Nucki braucht o.ä.

    Ich habe einen 5jährigen, der super schläft und eine 8,5jährige, die mir nachts schon oft den letzten Nerv raubte, die Antiepileptika nehmen muss, die auch das Schlafverhalten beeinflussen können (obwohl sie auch vorher kein guter Schläfer war) und die es selbst (und auch schulisch) belastet hat, dass sie nie gut ein- und selten durchschlafen konnte. Und ich gebe zu, dass ich in ihrem Fall auch schon mit der Kinderärztin über pflanzliche Schlafmittel geredet hab. Letztlich konnten wir mit autogenem Training und Lavendelöl zumindest eine für die ganze Familie akzeptable Schlafsituation schaffen – einfach war das allerdings nicht.

  9. Was mir bei allen Ratgebern zum Schlafenlernen bei Kindern fehlt sind ernsthafte Ratschläge zum Thema biologischer Schlaf-Wach-Rhythmus und seine Steuerung durch Licht. Wer sich abends kaltweißem Licht aussetzt, dem fällt das Einschlafen schwerer, weil der Blauanteil die Melatoninproduktion reduziert und damit die natürliche Schlafregulation behindert.

    Dieses Licht ist in Flachbildschirmen aller Art vorhanden. Bei Erwachsenen und Jugendlichen weiß man inzwischen sehr gut, dass sich abendliche Fernsehen oder Lesen am Computer bzw. Ebook-Reader negativ auf das Einschlafen auswirken kann. Hier wäre eine Verhaltensveränderung sinnvoller als ein Schlafmittel.

    Nun sind Babys und Kleinkinder im Normalfall keine extensiven Nutzer von Flachbildschirmen (auch wenn das im Kommen ist), aber der Kauf eines Nachtlichts für unseren Sohn brachte eine Überraschung: viele Nachtlichter benutzen kaltweiße LEDs (die brauchen am wenigsten Strom) und strahlen ein hellblaues Licht ab, teilweise in erschreckender Intensität. Wer ein solches Licht verwendet braucht sich nicht zu wundern, wenn sein Kind nicht schlafen kann. Schlafmediziner gehen davon aus, dass sich erworbene Schlafprobleme oft schon allein deshalb bleiben, weil man an sie gewöhnt ist. Da stellt sich doch die Frage, ob eine schlechte Schlafhygiene am Beginn des Lebens nicht die Weichen stellt für weitere Probleme.

    Wer mehr zu blauem Licht uns Schlaf lesen will ist eingeladen, den letzten Post in meinen Blog Nachhaltig Beleuchten zu lesen.

  10. Oh ja, wie habe ich gehofft auf das eine Wundermittel, damit das Kleine einfach mal eine Nacht Ruhe gibt. Es wäre so schön gewesen einfach mal nur eine Nacht 6 Stunden (oder so) am Stück durchschlafen zu können.
    Fündig bin ich nicht geworden, aber ein aufklärendes Gespräch bei der Beratung der Caritas hat sehr viel geholfen. Geholfen hat auch das Verständnis warum das Kleine so „merkwürdig“ schläft. (Hatte doch die Große bereits mit 6 Monaten durchgeschlafen – echt ein Exot im Nachhinein betrachtet.) Geholfen hat auch die Geduld und das Vertrauen der Beraterin in uns als Eltern, dass wir es gut machen, und dass es bald besser werden wird.
    Es ist nicht verkehrt Hilfe anzunehmen. Aber es ist ein schwerer Schritt. Es ist schwer zugeben zu müssen, dass man eben nicht alles alleine schafft. Doch es lohnt sich immer wieder.
    Wie sagt man doch so schön: „Fragen kostet nichts.“ 🙂

  11. Diese Ratgeber sind doch alle für die Füße. Jedes Kind ist anders und hey – die kommen schon so auf die Welt! Ich habe zwei Söhne, die in fast jeder Beziehung so dermaßen unterschiedlich sind, dass ich mich von dem Gedanken verabschiedet habe, meine Kinder nach Wunsch erziehen zu können.
    So ist es auch mit dem Durchschlafen: Kind 1 hat mit 4 Wochen durchgeschlafen. Weil es zu dünn war, musste ich es nachts zum Trinken wecken. Das hat sein Schlafverhalten nicht im geringsten beeinflusst: Ließ ich es schlafen, schlief es. Er ist nun als Schulkind immer noch ein Langschläfer und macht auch gerne tagsüber, z.B. im Auto, mal ein Nickerchen. Spätestens um 21 Uhr kippt er aus den Latschen.
    Kind 2 ist nur auf mir eingeschlafen. An Durchschlafen war nicht zu denken. Das hat es erst weit nach dem 1. Geburtstag getan. Und auch heute noch schläft er am liebsten bei mir im Bett. Er braucht noch immer nicht viel Schlaf, schläft spät ein und ist früh wach. Tagsüber schlafen? Never!
    Die Kinder sind nur 1 Jahr auseinander. Wir sind dieselben Eltern mit denselben Ritualen und Tagesabläufen. Pauschale Ratschläge: sinnlos.

    Ich hätte nicht zu Medikamenten gegriffen, weil ich selbst ungern welche nehme. Aber ich kann verstehen, dass manche Eltern den Wunsch verspüren, sich und ihrem Kind zu einer ruhigen Nacht zu verhelfen.

    1. Bei meinen Beiden(1,5J.auseinander)genau umgekehrt: die Große hat schon von Baby an gemeint, schlafen sei blöd, man könne was verpassen. Mittagsschlaf nur mit stundenlangem Herumgeschiebe(aktiv!nicht passiv ein bißchen schuckeln!)oder im Auto. Abends nur Einschlafen mit Begleitung(was mittlerweile aber gsd relativ schnell geht). Dafür auch nachts dank aktiver Träume gerne mal wach oder im Schlaf am Erzählen.
      Ihre Schwester muss auch abends in den Schlaf gebracht werden und schläft deshalb bei mir(sonst komme ICH ja niemals zum Schlafen), wenn sie aber schläft, dann bombenfest. Leider teilweise auch mittags noch im Kindergarten auf dem Teppich, sodass sie abends erst spät einschläft und ein Teufelskreis entsteht. Will dort aber keiner wahr haben; sie müssen sie ja auch abends nicht ins Bett bringen…

      Was aber bei Beiden zum Einschlafen immer super hilft: den ganzen Tag an der frischen Luft auspowern. Am Besten noch im Reizklima an der Nordsee!
      Zu Hause sind wir nie so früh im Bett!!

      LG Silke

  12. Ich halte das Ganze tatsächlich eher für einen Sturm im Wasserglas und vor allem für nichts Neues. Wie viele Eltern sind denn „immer mehr“? Und woher weiß man von denen?
    Seit Generationen versuchen Eltern, Kinder mit mehr oder weniger angemessenen Mitteln in den Schlaf zu bringen. Früher wars dann der in Likör/Schnaps/Bier getauchte Schnuller oder Alkohol auf Zucker. Ob das viel gesünder war?
    Ich will hier keinen verteidigen, der Nebenwirkungen von Medikamenten nutzt oder richtige Schlafmittel, weil die Kinder einfach lästig sind.
    Ich bin aber davon überzeugt, dass ein an der richtigen Stellen verschriebenes Schlafmittel bei Kindern mit echten Schlafproblemen die Lebensqualität der Eltern und vor allem auch der dauerübermüdeten Kinder wieder herstellen kann.

  13. Das Problem mit diesen Broschüren ist, dass diese „Tipps“ dermaßen banal sind, dass sie wohl nur bei den Kindern etwas bringen, die praktisch sowieso keine Probleme mit dem Schlafen haben. „Vor dem Schlafen nichts aufregendes machen“, ernsthaft? Und seit wann darf im Bett nicht gelesen werden?
    Meine Tochter hat im zarten Alter von 3 Wochen aufgehört, alleine einzuschlafen und fängt jetzt, mit anderthalb, langsam wieder damit an. Und was waren wir konsequent! Brav alle Tipps befolgt mit dem Ziel, es ihr irgendwie beizubiegen, streng und liebevoll-konsequent wie sonst im Alltag auch. Erfolg: Sie brüllt regelmäßig, bis sie kotzt. Also kapituliert,sie in den Schlaf begleitet und das Leben geht weiter. Ein Baby wach ins Bett legen, wie empfohlen, und auf ein neurophysiologisches Wunder hoffen? Viel Spaß!

  14. Sehr ausgewogener Artikel!
    Auch wenn klar Stellung bezogen wurde (die ich im übrigen Teile), kann ich durchaus auch nachvollziehen, dass bei Eltern ein enormer Leidensdruck entstehen kann, wenn Kinder nicht durchschlafen oder stundenlang schreien. Auf Verwandte kann wohl kaum einer zurück greifen. Und spricht man das Thema an, ist man wohl entweder ein Jammerlappen oder nicht konsequent genug. Schwieriges Thema, sehr schwierig.

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