Besser Patschhand als Handyklatsch

Next Generation

Das Kind ist krank, ich frage die üblichen Einstiegs-Anamnesefragen, währenddessen klingelt das Handy der Mutter. Die Aufmerksamkeit reißt ab, sie kramt in der Wickeltasche nach dem melodiösen Objekt.

„Alles klar soweit?“, frage ich, nachdem sie mühsam Hinwisch-Herwisch das Gerät zum Stillhalten motiviert hat.
„Jaja“, sagt sie, „alles klar.“ Ohne den Blick vom Display zu nehmen.
Ich seufze und widme mich der anderthalbjährigen Marie-Endivie, die schon irritiert nach ihrer Mutter sehnt. Diese verstaut wenigstens das Handy zurück in der Wickeltasche.
Es pingt.
Ich schaue kurz über meinen nicht vorhandenen Brillenrand. Mutter lächelt und nickt, als wolle sie Geduld zeigen.
Ich untersuche weiter. Marie-Endivie ist tapfer, sie streckt die Patschhand nach der Mama aus, bekommt sogar den Zeigefinger zu greifen. Ich darf weitermachen. Abhören, Bauch, Ohren, Hals.

Der Kontakt zur Patschhand reißt ab.
Die Mutter kramt wieder in der Tasche und wischt. Und wischt. Und wischt.
Ich lege das Stethoskop zur Seite und beuge mich demonstrativ zu Marie-Endivie, so dass wir beide die gleiche Kopfhöhe und Blickrichtung auf die Mama haben. Gemeinsamkeit macht stark.

„Würden Sie das jetzt bitte wegräumen, bis Sie die Praxis verlassen haben?“, sage ich zur Mutter im Namen des Kindes.
Sie wischt noch zwei-, dreimal, dann – wie ertappt, oh Wunder – klickt sie theatralisch auf den On/Off-Knopf und versenkt das Objekt wieder in der Tasche. Sie hebt die Brauen und geht in Angriff über.
„Aber Sie waren doch mit Marie beschäftigt, sie war mit ihnen beschäftigt. Warum darf ich mich dann nicht beschäftigen?“

(c) Foto bei Flickr/Solaika (CC License CC BY-ND 2.0)

 

19 Antworten auf „Besser Patschhand als Handyklatsch“

  1. Also wenn ich mit Kind im Wartezimmer hocke und entweder mein Kind mit mehr als nem banalen Schnupfen ansteckend ist oder aber jedes zweite andere Kind mit Spucktüte dasitzt, dann nehm ich im Wartezimmer auch gern den elektronischen Ausmacher… noch lieber ein Buch, tatsächlich. Aber manchmal mal mag ich nach ner halben Stunde auch nimmer vorlesen… Jedenfalls – im Wartezimmer KANN ein Handy okay sein. Im Sprechzimmer? Höchstens wenn ich Fotos vom gestern noch vorhandenen Ausschlag oder was auch immer zeigen möchte. Die Endivienmutter? Gruselig.

  2. Bei Ärzten telefoniere ich niemals, wozu kann man das Telefon sonst lautlos stellen. Ich nehme auch sonst nicht immer jedes Gespräch an, wenn ich keine Lust dazu habe.

    In der Warteschlange an der Kasse telefoniere ich hingegen durchaus – manche Leute erreicht man nur schwer, und wenn sie dann grad anrufen… Aber der Anrufer weiß dann, wo ich bin und wenn ich dran bin schiebe das Telefon in die Tasche. Nach dem Einräumen telefoniere ich dann weiter oder rufe zurück.

  3. Bei der nächsten Praxisrenovierung speziell beschichtete Tapeten verwenden die die Sendefrequenzen stören oder einen Störsender besorgen(ich weiss die Dinger sind nicht erlaubt) dann ist Ruhe 😉
    Ich finde so ein Verhalten grenzwertig,wie oft sehe ich junge Mütter mit ihrer Hirnprothese in der Hand ,der Kinderwagen bzw.der Buggy wird immer mit dem Bauch vorwärts gestupst,die Kinder schauen sehnsuchtsvoll zur Mutter aber die ist ja schwer beschäftigt.

    1. Na, die Kinder werden doch immer früher in den Buggy gepackt oder zumindest so geschoben, dass sie die Mama nicht sehen können. Das finde ich unglaublich schlimm – ich wollte auch nicht einfach so auf die Welt zugeschoben werden ohne die Möglichkeit der Rückversicherung zu haben…

      Aber die o.g. Mama bekommt schon noch ihre Abreibung: Wenn das Kind mal jenseits der 10 ist, wird immer und überall auf das Ding geschaut und die Mutter nicht mehr wahrgenommen. Das wird dann richtig frustig.

  4. Für mich ist es mal so mal so…..

    wenn Eltern das Ding nutzen, um bei „etwas schwieriger zu untersuchenden Kindern“ (Euphemismus!) das Handy zur Unterstützung der Fixation zu nutzen, ist es mir bisweilen ganz recht. Wenn das Kindervideo leise (!!!) neben mein Ohr gehalten wird, kann ich die Kinder oft gut spiegeln – also den Augenhintergrund anschauen.

    Was ich nicht mag und mich auch wehre:
    –> quäkend laut schrillende Handyvideos neben meinem Ohr
    –> daddelnde / spielende Väter (und es sind nur diese!) während der Untersuchung des Kindes
    –> telefonierende Elternteile – einer ist beim Kind, der andere wird angerufen und führt (natürlich!) das Gespräch in voller Länge und voller Lautstärke, oder (besonders dreist – ich bitte den/diejenige dann nach draussen) ruft selber irgendwelche Leute an, oft mit der tiefsinnigen Info „wir sind jetzt drin, danach sind wir fertig“ …..

  5. Als Kinder- und Jugendpsychologe beobachte ich bei Anamnesegesprächen mit den Eltern das gleiche Phänomen auch immer mal wieder und bitte dann freundlich um ein Schalten auf den Flugmodus, was zumeist auch getan wird. Meine jugendlichen Patienten ignorieren währen der Therapiesitzungen ihr Handy. Immer häufiger erzählen sie mir, dass sie es bei Treffen mit Ihresgleichen zum Spielen, DVD-Gucken oder Klönen dergestalt handhaben, dass alle Mobiltelefone in einen Korb gepackt werden und man gerne drei oder mehr Stunden auf die Dinger verzichtet. Erwachsene hingegen sind nicht selten ungünstige Vorbilder. Im Sommerurlaub in einem spanischen Hotel, dessen Restaurant unter freiem Himmel liegt und einen wunderschönen Blick auf das Mittelmeer und den Sonnenuntergang bietet, sehe ich immer wieder Menschen jenseits der 40, die gebannt auf ihre Taschencomputer-Telefone starren, anstatt die Seele baumeln zu lassen.

  6. Bei uns in der KiA-Praxis ist Handyverbot. Und man wird auch ganz strafend angeschaut oder „gebeten“, es wegzupacken, wenn man es benutzt. Ich persönlich mag mein Smartphone zwar auch, aber muss es nicht dauernd in der Hand haben. Weder beim Arzt und schon mal gar nicht im Urlaub. Es gibt nun mal wertvolle Zeit – und das ist und bleibt freie Zeit mit den Kids. Ohne Smartphone, Tablet etc.

  7. Ich hab ja auch meist mein Handy in der Hand, aber ich kriege es tatsächlich hin, es wegzulegen, lautlos zu machen, den Flugmodus zu aktivieren, wenn die Situation es erfordert. Gibt nichts schlimmeres, als sich mit jemandem zu unterhalten, der die ganze Zeit aufs Handy glotzt oder währenddessen mit anderen Leuten schreibt.

    Und das beim Arztbesuch zu machen ist ja nochmal ein paar Level höher.:/

  8. das ist ganz generell eine krankheit, bei der ich ausschlag kriege: mit dem handy in der hand mit leuten reden, essen bestellen, an der kasse stehen und waren (nicht) einräumen, in öffis rücksicht einfordern weil sie überall dagegenstolpern wenn eine kurve gefahren wird, beim gehen nicht ausweichen weil die augen starr auf das display gerichtet sind, als ob der rest der menschheit einfach nicht da wäre.

    mit was auch immer diese individuen durch die kinderstube geschossen worden sind: es war zu schnell, und es war nix gutes.

  9. Antwort: Weil unter Umständen Ihre geistige Anwesenheit erforderlich ist. Könnte ja sein, des Kindelein braucht Medizin und da wäre die Verabreichung zu wissen schon echt sinnvoll. 😁

    Oder hätt das die Mutter überfordert?

    Ich gestehe, dass ich auf dem smarten Phone das ein oder andere Kinderlied mit Video drauf habe, um leidige Wartezeit zu überbrücken und (im vollen Fall 3) quengelnde Kinder ruhig zu halten. Irgendwann ist jedes Buch mal angeguckt… Aber sobald es ins Sprechzimmer geht, ist das Ding fort und bleibt fort. Da muss ich Flöhe hüten 😂

  10. Ich weiß schon, warum ich mich bis heute weigere, mir ein schlaues Handy zu holen. Auch wenn man da immer angeschaut wird wie ein Steinzeitmensch.

    1. Man kann die auch ausmachen, wenn die Situation es erfordert. Zumindest, wenn man den gesunden Menschenverstand bestitzt, um solche situationen zu erkennen. 😀

      1. Die Dinger bieten halt permanente Ablenkung/Zerstreuung/Unterhaltung oder wie auch immer man das nennen mag. Wenn man von sich weiß, dass man dazu neigt, sich an so etwas zu gewöhnen, oder davon abhängig zu werden, dann sollte man es ganz lassen. Bei mir ist das so.

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