Paul möchte ins Spielzimmer

Paul ist ganz irritiert.

Eigentlich dachte er, dass er mit Mama nur auf den Spielplatz geht oder in den Laden mit den vielen bunten Sachen im Regal und den Leckerlis am Ausgang. Da darf er immer in dem Auto sitzen, mit Lenkrad!, und Mama fährt ihn durch die hohen Gänge, in denen es mal kalt ist und mal warm, mal richtig gut und mal doof. Lustig, wenn die anderen Leute beseite springen, wenn er kräht.

Da fahren sie immer hin, wenn sie fahren, wenn Mama ihn auf dem Rücksitz festmacht in dem engen Sitz, bei dem man nur den Vordersitz sieht und schräg das Ohr von Mama. Sonst nichts. Vor dem Fenster hängt Winnie Puh, dabei schaut Paul viel lieber nach den anderen Autos.

Sie sind nicht zum Spielplatz gefahren, und auch nicht in den Laden, und auch nicht zur Oma Gerda mit den Katzen, sondern halten vor dem Haus mit den bunten Klappfenster und den Kinderwagen vor der Tür. Das ist auch nicht der Kindergarten, wo seine grosse Schwester hingeht. Das ist was anderes.

Mama hat was von Ausziehen und Messen gesagt, von Unter und Suchen und Spielen und anderen Sachen, die er nicht verstanden hat. An der grossen Theke sitzen zwei Frauen, die mit Mama reden, Mama holt ihre Tasche mit dem Geld raus und gibt der einen Frau ein Plastik und dann sollen sie gleich. Dabei sieht Paul in dem Zimmer direkt neben der grossen Theke ganz viel Spielzeug auf dem Boden liegen, Bücher und zwei andere Kinder, die da spielen. Da darf er nicht rein. Er soll „gleich mitkommen“.

Paul zieht Mama zu dem Zimmer mit dem Spielzeug. Da möchte er gerne rein. Mama sagt ihm, es sei keine Zeit und alles sei nicht so schlimm und er könne gleich noch spielen. Stattdessen zieht sie ihn in einen anderen Raum, der ist langweilig, und fängt an, sein Bob-Baumeister-T-Shirt auszuziehen. Dabei ist es gar nicht warm hier. Und ins Bett geht er hier auch noch nicht. Die Schuhe und die Hose auch. Die Frau von der Anmeldung kommt wieder herein und sagt, er soll sich auf das schwarze Ding an der Wand stellen. Das mag Paul nicht. Es wackelt bestimmt. Und dahinter steht noch etwas großes Langes, das will die Frau ihm auf den Kopf schieben. Nein. Das muss nicht sein. Außerdem macht das die Frau. Dabei soll das Mama machen. Sagt er auch.

Sie hören ihn nicht. Die Frau stellt ihn auf das Ding. Es wackelt. Hat er gewusst. Das Gefühl im Bauch wird grummelig, er merkt, wie er weinen muss, weil er das nicht will und weil Mama ihm dann bestimmt hilft. Die kommt auch, nimmt ihn auf den Arm, spricht irgendwas mit ihm, was er gar nicht wirklich hört. Dann stellt sie ihn wieder auf das Ding. Das wackelt. Paul ist jetzt sauer und schreit laut, weil, dann geht alles meist besser. Mama nimmt ihn wieder auf den Arm, also besser. Er schluchzt und wird leiser. Dann stellt ihn die Mama wieder auf das Ding. Kann er nicht bei ihr auf dem Arm bleiben? Dann wackelt es eben bei Mama und nicht bei ihm.

Später sind sie alleine im Zimmer und Mama spielt Puzzle und Steckspiele und zeigt ihm ein Buch. Dass er gerne wieder angezogen werden will, hat sie nicht interessiert. Paul ist irritiert. Und warum müssen sie jetzt hier rumsitzen und Puzzle spielen? Die gab es auch vorne in dem anderen Zimmer.

Ein Mann kommt durch die Tür. Wer ist das jetzt? Paul versteckt sich hinter Mamas Bein. Der Mann spricht mit seiner Mutter, Mama sagt, Paul soll „dem Mann“ Hallo sagen. Der spricht auch mit Paul, sagt Hallo und winkt ihm zu, die Hand, die er ausstreckt, will Paul nicht haben. Paul schaut lieber woanders hin. Vielleicht geht Mann ja wieder. Verkaufen tut der jedenfalls nichts.

Der Mann bleibt. Er spricht weiter mit Mama, schaut in das Gelbe Buch, das sie mitgebracht haben, fragt Mama viel, und Paul spielt in der Zeit mit den Puzzles. Hat er zwar schon zweimal fertig gemacht, aber dann eben nochmal. Der Mann steht auf. Mama nimmt Paul und setzt ihn auf die Liege am Fenster. Das Puzzle hält er gut fest. Vielleicht kann er dann weitermachen. Der Mann (wer ist das??) holt einen gelben Schlauch mit einem Plastikding aus der Schublade und drückt ihn auf Pauls Brust. Das kitzelt. Ach nein, der Mann kitzelt ihn dabei am Bauch. Das ist nett. Mama sagt, das sei ok so, er brauche keine Angst zu haben. Vielleicht doch, oder warum sagt sie das sonst? Paul hat keine Angst. Er möchte nur in das Zimmer mit dem Spielzeug.

Am Ende zieht Mama ihn wieder an. Paul musste Bilder erkennen und was sagen. Paul war sehr leise, so dass der Mann auch geflüstert hat. Da hat Paul ihn gar nicht mehr verstanden und hat die Wörter lauter gesprochen. Da hat der Mann gelacht. Fussball haben sie auch gespielt. Und die Puzzle musste Paul – nochmal! – zeigen. Hat der Mann das nicht gleich gesehen? Doof.

Sie sagen alle Tschüss zueinander, jetzt möchte Paul gerne noch zeigen, dass er auf einem Bein stehen kann, vorhin wollte er nicht. Jetzt schon. Aber der Mann hat ihm schon zum Abschied gewunken. Ach, vorher gab´s noch einen Luftballon. Paul mag den Geschmack nicht. Gummi. Mama und er gehen an der Anmeldung vorbei, er schaut nochmal in das Spielzimmer rein. Die anderen Kinder sind schon weg. Da wäre jetzt ganz viel Platz. Aber Mama sagt, sie haben keine Zeit. „Vielleicht beim nächsten Mal,“ sagt Mama. Das sagt sie immer.

10 Antworten auf „Paul möchte ins Spielzimmer“

  1. Mama koennte Paul nach der Untersuchung noch ein paar Minuten im Wartezimmer spielen lassen. Oder gibt es Docs die das vebieten ?

  2. Aus Kindersicht gut geschrieben. Ich verstehe jetzt nicht ganz den Sinn dabei.
    Klar achtsam und aufmerksam sollte mit jedem Menschen- mit jedem Geschöpf der Erde- umgegangen werden. Aber soll der Post das schlechte Gewissen der Eltern schüren? Es sind auch nur Menschen, die einen Alltag zu bewältigen haben und wissen, dass Kinderarztbesuche sein müssen (und ja, auch der Kinderarzt hat für die U nur begrenzt Zeit und kann nicht immer darauf warten bis das Kind mitmachen möchte). Kompromisse müssen alle machen, nur so geht Zusammenleben auf der Welt. Kinder können vom Verstand her noch nicht wissen wie wichtig U-Untersuchungen und Impfungen sind und dass unangenehme Dinge manchmal sein müssen, diese wichtigen Entscheidungen müssen die Eltern ihnen noch abnehmen.

    1. Ich empfinde das einfach nur als Schilderung einer U-Untersuchung aus Kinderperspektive mit ganz viel Empathie fürs Kind. Ohne dass irgendwer hier für irgendwas angeprangert wird. <3 !

  3. Mich fasziniert vor allem, dass Paul sofort drankommt. Meine Kinder bekommen immer ausreichend Zeit im Spielzimmer, egal ob ich pünktlich, überpünktlich, verspätet mit oder ohne Termin erscheine. Sie gehen inzwischen auch beide gern zum Arzt.

  4. Das zeigt mir wirklich gut die Perspektive des Kindes und wie schnell man in die Lage kommen kann, sein Kind bei einer Aktion „aus den Augen zu verlieren.“ Ich hoffe, mir passiert das nie. Ich stelle schon jetzt fest, und meine Tochter ist erst 1,5 Jahre alt, dass Erläuterungen die Situation erleichtern. Ein „ich will die Hose ausziehen“ als Begründung vor dem „Leg dich mal eben hin“ wird viel eher akzeptiert als wenn die Situation ganz unkommentiert bleibt und ich könnte mir vorstellen dass sich das übertragen lässt

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