Zecken und viel Panik

grass-1750593_960_720Hurra, die Sonne scheint, und wieder kriechen auf allen Apotheken-Schaufenstern die Zecken in Großformat oder elektronenmikroskopisch verstärkt. Manche Arztpraxen hängen die Werbeplakate der Impfstoffhersteller raus, schön mit knallrot eingefärbten Risikogebieten (inzwischen haben wir die Mainlinie von Süden her überschritten), so dass man denken möchte, die Invasion kommt aus dem Osten und dem Süden.

Wir haben in der Praxis auch schon etliche der Viecher entfernt, vor allem aus Ängstlichkeit der Eltern, weniger aus Unvermögen – es wird ja nicht einmal versucht. Dabei kannst Du gar nicht viel falsch machen:

Benutze eine Zeckenzange. Oder Schlinge. Oder Pinzette. Oder die Fingernägel. Ist doch völlig egal, Hauptsache, Du benutzt so etwas, denn dann entsteht Übung. Wer eine Katze oder einen Hund hat, durfte sicher bereits in die Verlegenheit kommen, aber die Entfernung da ist oft einfach, da die Viecher bereits größer voll gesaugter sind. Beim Kind sind sie klein, Du siehst sie schlechter, aber sollst sie früher entfernen, denn jede Sekunde Minute Stunde Tageszeit zählt.
Man setze das Entferninstrument knapp an der Haut an, lieber tiefer als zu hoch und entferne den Holzbock in sanften! Hin- und Herbewegungen. Ein Drehen ist nicht nötig, schon gar nicht 360 Grad nach rechts oder links, Zecken haben kein Gewinde. Bleibt ein Rest stehen – egal. Probier noch etwas, wenn der Patient es zulässt und lass es dann. Meist reißt das Hypostom (der Rüssel) der Zecke ab, dies ist aber kein großes Risiko für eine Infektion.

Nein, Du musst nicht deswegen zum Arzt.
Nein, die Zecke muss nicht untersucht werden.
Ja, Desinfizieren ist ok.
Ja, auch Markieren ist ok (siehe unten).

Zecken übertragen Krankheiten, keine Frage. Deshalb sollen sie ja auch raus. Aber Panikmache ist hier nicht wirklich angesagt.

Das Robert-Koch-Institut beschäftigte sich 2012 sehr ausführlich mit der Problematik der FSME, also der Frühsommer-Meningoenzephalitis, die durch einen Virus übertragen wird. Kommt es zu einer Infektion, also einer Übertragung des Virus auf den Menschen, zeigen nur 10-30% irgendwelche Symptome, alle anderen bleiben asymptomatisch. Man erkrankt grippeähnlich, mit zwei Krankheitsverläufen, mitunter mit schweren Folgeerkrankungen. Daher ist die FSME keine leichte Erkrankung, und wir nehmen sie in der Zeckenzeit als Differentialdiagnostik sehr ernst, auch wenn wir sie nicht kausal behandeln können, da viral.

Selten bleibt die Erkrankung trotzdem – man geht im Landesschnitt von 1,3 Erkrankte auf 100.000 Personen (pro 5 Jahre) aus (mit starken Schwankungen, von 0 Erkrankten in meist städtischen Regionen bis 30 Erkrankten im ländlichen Raum). Zum Vergleich: Die Inzidenz von Masern lag 2017 bei 0,9 Erkrankten auf 100.000 Einwohner (pro Jahr und nicht pro 5 Jahres-Intervall).
Ein Krankheitshäufung findet sich im mittleren Lebensalter, wohl vor allem bei den Spaziergängern und Freizeitsportlern. Kinder erkranken seltener (oder werden hier die Zecken schneller gefunden?), ebenso wie Senioren (vielleicht wälzen die sich auch weniger im Gras).
Ich erinnere in fünfzehn Jahren Niederlassung lediglich ein Kind mit FSME (typischen Symptomen und nachgewiesenem Titeranstieg im Blut).

Dann ist da noch die Borreliose, die deutlich häufiger ist – man rechnet jährlich mit über 200 Erkrankten auf 100.000, mit deutlichen Jahresschwankungen. Zudem ist die Borreliose im gesamten Bundesgebiet verbreitet und kann sogar in Städten auftreten. Vorteil dieser Erkrankung: Sie ist bakteriell und kann mit Antibiotika recht gut behandelt werden. Das Hauptsymptom ist die Wanderröte, zumindest bei Kindern, auch wenn es Fälle gibt, die diese Hauterscheinung nicht zeigen.
Ich möchte nicht auf die Diskussion rund um chronischen Borreliosen eingehen, die in Fachkreisen hoch umstritten sind und eng verknüpft mit Pharmainteressen und auch Verschwörungstheorien. Nichtsdestotrotz gibt es Spätsymptome wie Gelenkentzündungen, die unbedingt auch an eine Borreliose denken lassen müssen.

Eine Panik rund um die possierlichen Tierchen ist aus kinderärztlicher Sicht nicht gerechtfertigt, dennoch empfehle ich in meiner Praxis die FMSE-Impfung. Ich denke, wenn Du einer Erkrankung vorbeugen kannst mit einer gut verträglichen Impfung, so solltest Du das tun. Ich berate zudem ausführlich über Symptome der beiden Erkrankungen, wenn es zu einem Zeckenstich gekommen ist, Grippesymptome treten natürlich auch ohne Zecke nicht selten auf, da braucht es mitunter differentialdiagnostisches Geschick. Die Wanderröte sollte beachtet werden, deswegen auch einen Zeckenstich markieren oder wenigstens sich die Stelle gut merken.

Zum Abschluß… noch ein Bild, weil´s ja alle machen:

Deer Tick - Ixodes scapularis

Anekdoten:
Hilfe! Zecke!
Notdienstzecke
Notdienstzecke 2

(c) Bild bei pixabay/yucki97 (CC0 Lizenz)

16 Antworten auf „Zecken und viel Panik“

  1. Ich habe 3 Hunde, 1 Katze 20Jahre alt und wohne direkt am Wald. Viele Jahre habe ich die Zecken mit der Pinzette herausgezogen und viele abgerissen. Seit 2 Jahren arbeite ich mit der Zeckenzange und drehe sie heraus. Kein Abriss mehr. Dies nur zu diesen Falschmeldungen mit dem Drehen.

  2. Herzlichen Dank für diesen Blogbeitrag!!
    Ich habe heute nach einer Laufrunde im Wald das erste Mal eine Zecke an mir entdeckt und bin dank deines Artikels (den ich schon im Mai gelesen hatte) total cool geblieben. Zecke raus, alles gut. Mach weiter so! 🙂

  3. Ich hatte als 7-jährige eine Zecke und daraufhin auch eine Borreliose entwickelt, die damals mit fast 6-wöchiger Antibiotikagabe behandelt wurde… ich hoffe, das läuft heutzutage anders.
    Die Impfung gegen FSME hat die ganze Familie. Unser Kinderarzt hat meine Tochter schon mit 2,5 Jahren geimpft. Ich glaube, zugelassen ist der Impfstoff ab 2 Jahren.
    Ich selber vertrage die Impfung sehr schlecht – als einzige Impfung. Ich bin auch gegen „Exoten“ wie Meningokokken oder Tollwut geimpft, aber keine Impfung vertrage ich dermaßen schlecht wie die gegen FSME. Mein Mann und meine Tochter hingegen haben null Nebenwirkungen, gar nix.

  4. Hallo, Frau Biehler, eine Zecke kommt nicht mal eben und beißt und geht wieder. Sie sucht sich eine Hautstelle, und dann beginnt die Arbeit für sie, ca 24 Stunden benötigt sie zum bohren für den richtigen Sitz ihrer Werkzeuge. Und dann saugt sie sich in bis zu einer Woche voll. Sie löst sich erst wieder vom ausgewählten Wirt, wenn sie fertig mit der Mahlzeit ist 😉

    1. Jein; die Nymphen – also juvenile Tiere – saugen sehr viel kürzer (wenige Stunden) und sind deutlich kleiner als adulte. Übertragen aber auch schon Borreliose wie die Großen (die auch 2016 noch mit 6 Wochen Antibiose therapiert wurde, Greta).

  5. Hmm, klar Panikmache ist immer doof! Aber was ist mit dem geschwollenen Ohrläppchen als Borreliose Symptom bei Kleinkindern? – Meine damals 1 1/2 Jährige hatte das plötzlich – ohne das wir uns an einen Zeckenbiss erinnern konnten. Glücklicherweise machte mich damals eine Erzieherin in der Krippe darauf aufmerksam…

    1. Bei circa 50% der Patienten, bei denen eine Borreliose nachgewiesen wird ist keine Zecke erinnerlich.

      1. Soweit ich weiß, besteht auch bei Bissen oder Stichen anderer Insekten die Möglichkeit, dass man sich die Borreliose einfangen kann. Die Wahrscheinlichkeit ist zwar sehr viel geringer, aber es ist wohl möglich.
        Von Pferdebremsen habe ich in diesem Zusammenhang mal irgendwo gelesen.

  6. Sehr guter Artikel. Diese Panikmache ist wirklich schlimm, besonders wenn auf den Elternabenden wieder diskutiert wird, ob man die Erlaubnis zum entfernen einer Zecke durch die Erzieherin/Lehrerin (mit Markierung der Stelle und den Eltern Bescheid geben, selbstverständlich) erteilen soll oder nicht. Man hat manchmal den Eindruck manchen Eltern wäre es lieber die Einrichtung ruft gleich den Notarzt 🙄.

    1. Das kann schon sein das manche Eltern das möchten. Ich denke aber wenn man sein Kind so gut kontrolliert und behandelt wissen will darf man es nicht in Betreuung geben. Denn eigentlich sollte klar sein, dass die Erzieherin den Eltern die Verantwortung für Gesundheit und Erziehung eben nicht abnehmen kann, das ist in der Gruppensituation nicht möglich und dafür ist sie nicht da.

  7. Ich komme am besten mit einer Zeckenkarte klar. Die Chipkarte der Krankenkasse geht notfalls auch 😉
    Obwohl wir sehr viel draußen sind, haben die Kinder aber nur alle paar Jahre mal eine Zecke.

  8. Bei Tieren gehen Finger natürlich gut, die Zecke ist da ja meistens schon dick und rund.
    Auf bzw in menschlicher Haut findet man die Bieser ja hoffentlich, wenn sie noch am Reinbohren sind, und da sind sie manchmal so winzig, dass eine schlichte Zeckenzange aus Kunststoff gute Dienste leisten kann.

    1. ich versuche auch bei den Tieren die Zecken so früh wie möglich zu finden, auch bei den kleinen komm ich mit den Fingern am besten klar. Aber das kann jeder handhaben, wie es am besten für ihn klappt, man muss eben nicht in Panik ausbrechen, wenn das Viech mal nicht ganz rausgeht.

  9. och, mein Tierarzt ist auch schonmal am späten Samstag Abend zu einem Pferd notfallmäßig gerufen worden, weil das Tier eine Zecke hatte. Die beste Zeckenzange ist meiner Ansicht nach nach wie vor der Daumen und der Zeigefinger der rechten (bei Linkshändern der linken) Hand. Als Tierbesitzer rennt man nämlich eigentlich nicht erstmal an den Ort, an dem sich hoffentlich Pinzette oder ähnliches befindet, wenn man eine Zecke am Tier entdeckt hat, sondern nimmt todesmutig die Finger und zieht das Tier heraus. Und nein, bei meinen Tieren hat sich noch nie etwas entzündet, obwohl ab und zu mal ein Teil der Zecke stecken geblieben war.

  10. Wunderbarer Artikel, dem kann ich nur zustimmen!
    Und muss wieder an den Vater denken der sich bei mir in der Ambulanz auf Zecken absuchen lassen wollte und schon angefangen hat sich auszuziehen… 🙄

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