Multitasking auf dem Spielplatz

Er hat die ganze Zeit sein Klapphandy am Ohr und spricht in lauten Wortsalven auf sein Gegenüber ein – Sprache irgendwie Russisch Polnisch Suaheli – könnte aber auch Schwäbisch Hessisch Berlinisch sein, ist doch austauschbar. Zwischendrin macht er Pause, drückt umständlich auf den Tasten des Handys herum, um Sekunden später wieder lautstark ein Telefonat zu führen.

Platziert hat er sich auf einem der Bänke, die rund um den Sandkasten aufgebaut sind, breitbeinig, zurückgelehnt, den Handyarm lässig auf die Lehne der Bank gestützt, die Rechte – kippequalmend – wird ab und an in theatralischen Bewegungen gefuchtelt. Als sehe der andere diese Gestiken. 

Pepi-Ivan-Moritz versucht währenddessen, die Treppe der Rutsche zu erklimmen. Auch wenn man ihn nur von hinten sieht, erahnt man den Schnodder, der ihm aus der Nase gen Mund rinnt, erahnt man die Nuckiflasche mit dem undefinierbaren orange-grellen Multivitamingesöff, welche geschickt zwischen den Zähnen getragen wird, weil die Hände schließlich zum Klettern benötigt werden.

Er schafft es nicht. Die Sechsfach-Tasking-Kiste mit Händen und Füssen, Schnodder und Flasche ist einfach zuviel für ihn. Irgendwann gibt er frustriert auf, Schwäche überkommt ihn, er setzt sich auf den Hosenboden. Ein kurzer blick zu „Handy“, seine Augen füllen sich mit Tränen, laufen über die Wangen, vermischen sich mit dem Schnodder. Erst leise, dann lauter weint er.

Handy blafft etwas ins Telefon, hält den Hörer an die Brust, hebt die bekippte Hand, streckt den Arm gen Pepi-Ivan-Moritz und blafft in diese Richtung. Sprachlich unverständlich, aber sicher im Sinne von sich-nicht-so-anstellen oder heul-nicht. Ohne Erfolg natürlich. Handy murmelt nochmal etwas in dasselbe, klappt es dann tatsächlich zu – Hoffnung keimt auf – und erhebt sich.

Mit breiten Schritten geht er auf Pepi-Ivan-Moritz zu, der ein wenig stiller wird in seinen Bemühungen, Handy hat jetzt beide Hände geöffnet und hält sie dem Jungen entgegen. Tiraden über Tiraden kommen aus seinem Mund. Eher harte Worte, kein weichen, tröstenden.

Pepi-Ivan-Moritz ist trotzdem froh, das sein Vater bei ihm ankommt. Der hebt ihn auf die Füße, wischt mit dem Ärmel seiner Bomberjacke gleichzeitig über Augen, Nase und Mund des Kleinen. Jetzt spricht er ganz leise, ganz liebevoll.

Nimmt ihn an der Hand und geleitet ihn hinüber zu der Kleinkinderschaukel, die mit dem Sicherheitssitz. Pepi-Ivan-Moritz steckt sich wieder die Nuckiflasche zwischen die Zähne, trotz greinenden Augen sieht er ein wenig zufriedener aus. Vater schubst die Schaukel mit seinem Sohn tatsächlich an.

Zieht das Handy aus der Jacke und geht im Multitasking auf: Rechte Hand schubst Pepi-Ivan-Moritz an, mit der Linken hält er das Handy ans Ohr und spricht hinein, mit kippebewehrter verqualmter Stimme. Irgendwie Russisch Polnisch Suaheli – könnte aber auch Schwäbisch Hessisch Berlinisch sein, ist doch austauschbar.

(c) Bild bei pixabay/Photorama (unter CC0 Lizenz)

14 Antworten auf „Multitasking auf dem Spielplatz“

  1. Das sind dann auch solche Eltern, die angeben, „nur auf dem Balkon“ zu rauchen (als ob das irgendwie weniger schädlich für das Kind wäre). Aber der Impfausweis und das U-Heft riechen dann genauso wie die Bomberjacke.

  2. Natürlich ist das nur eine Momentaufnahme und kann ein Ausrutscher gewesen sein. Aber das Handy ist auch meiner Beobachtung nach häufiger bei solchen Ausrutschern beteiligt. – Das tut mir, auch wenn es Ausrutscher sind, doch auch oft weh, wenn ich das sehe, oder in der einen oder anderen Form bei mir Ansätze dazu bemerke, und sei es nur beim Lesen einer Zeitung.

    Aber: Der Papa wird sich bestimmt später beklagen, dass Pepi-Ivan-… ihm nicht zuhört, sondern auch ins Handy starrt, bis Papa laut wird 😉

  3. Rauchen auf dem Spielplatz geht ja nun mal gar nicht,dafür hat man seinen Hintern vom Gelände zu bewegen.Hat man das Kind dann nicht mehr im Auge muss man auf seine Dosis Nikotin halt verzichten………

  4. Und als nächstes dann bitte ein Artikel über die schlimmen Helikoptereltern, die ständig neben dem Kind stehen und ihm womöglich noch die Leiter hoch heben!

    Ja klar, geht hier auch ums Gesamtbild, emotionale Nähe und Verwahrlosung so. Aber als Momentaufnahme betrachtet, machen wir Eltern es doch IMMER falsch, oder?

    1. Seh ich auch so… steht man nur daneben, heißt es der hilft nicht, hilft man, heißt es das muss das Kind alleine schaffen, lässt man das Kind alleine machen und widmet man sich anderen Dingen, dann heißt es man soll mit spielen/Interesse zeigen, zeigt man Interesse/spielt mit, heißt es man soll auch mal machen lassen und nur aufpassen… usw.

      Ganz ehrlich, ich hör auf mein Bauchgefühl, ich behaupte ich kenne meine Tochter, weiß wann sie für Hilfe dankbar ist, wann sie alleine probieren möchte, wann ich besser aufpassen sollte, und wann sie mit sich zufrieden ist und Papa nur stört… was interessierte den Baum wenn sich eine Sau dran reibt? 😉

      Zu dem oben genannten Beispiel, diese überspitzung käme mir nie in den Sinn, aber auch meine Tochter muss verstehen das Papa nicht immer mit an der Front ist, sondern auch mal nur dabei sitzt für den Fall der Fälle…

  5. Bei solchen (leider Alltags-)Situationen kann ich kaum hingucken ohne das mir das Herz sticht und der Magen sich verknotet.
    Ich habe selber keine Kinder und darf mir sicher nicht anmaßen zu urteilen ob solches Elternverhalten gut zu heißen ist denn ich bin nur Tante.
    Das ich die Kinder alleine spielen lasse, ein Auge auf sie habe und dabei telefoniere, ist ok. Mir tut es nur leid wenn ich dem Kind eigentlich das Gefühl und den Eindruck vermittle das es stört. Das ich etwas wichtigeres zu tun habe als es zu unterstützen, den Rücken zu stärken und helfen vielleicht doch die Treppe hochzukommen.
    Vielleicht versteh ich das auch nicht weil ich eben keine eigenen Kinder habe oder zu harmoniesüchtig und überfürsorglich bin.

    1. Zwei Gedanken dazu:
      1) Bevor man (i.d.R. frau) ein kleines Kind großzieht, kann man sich nicht vorstellen, wie sehr es erschöpft zwei, drei Jahre lang immer verfügbar zu sein. Immer heißt jede. einzelne. Minute. Auch nachts. Auch am Wochenende. Auch wenn man gerade von der Arbeit kommt. Auch wenn man krank ist. Auch wenn man sich dringend um etwas anderes kümmern muss. Viele Eltern haben dann früher oder später Phasen, in denen sie die Kinder ignorieren, bis wirklich geschrien oder geweint wird. Und Eltern können meistens Frustweinen von z.B. Schmerzen oder Angst unterscheiden.
      2) (Die meisten :-)) Erwachsenen werfen sich nicht mehr weinend auf den Boden, wenn etwas schiefgeht, weil sie irgendwann gelernt haben, dass diese Reaktion unangemessen ist. Und (wieder die meisten) fordern auch nicht jede Minute Aufmerksamkeit von mindestens einer anderen Person ein.
      Und irgendwann muss man Kindern beibringen, den Ausdruck ihrer Emotionen auf ein sozial akzeptiertes Maß herunterzuregeln und auch mal ohne eine andere Person klarzukommen. Und je nach Eltern, Kind und Tagesform ist der Versuch mal geschickter und mal weniger geschickt.

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