Zucker gegen Blüten

Mariebelle kenne ich schon, seit sie ein Säugling war. Alle Vorsorge-Untersuchungen haben die Eltern bei uns wahrgenommen, alle Impftermine, wir haben Erkältungsinfekte durchlebt, Fütterprobleme, sogar die massive Trotzphase damals im Kindergarten. Die Eltern waren immer sehr an meiner Meinung interessiert, auch zu Erziehungsfragen, wir haben einen guten Draht.

Die letzten zwei Jahre waren geprägt von Heuschnupfen. Ich schaue mir, bevor ich das Untersuchungszimmer betrete, die Karteikarte durch. 2017 und 2018 kam Mariebelle stets im März oder April, je nach Saison, da liefen die Augen, da juckte die Nase, da juckten die Augen und lief die Nase. Das Kombipräparat aus Nasen- und Augentropfen „did the job“, die antiallergischen Tabletten habe ich nur einmal pro Saison verschrieben, scheinbar brauchte sie die nicht so sehr. Ein Intrakutantest war positiv auf Frühblüher wie Hasel und Erle, wir hatten schon über eine Hyposensibilierung gesprochen, vielleicht dieses Jahr.

Mariebelle sitzt auf der Untersuchungsliege mit rot unterlaufenen Augen, in der rechten Hand zerknüllt sie ein Taschentuch, alle paar Minuten schneuzt sie sich. „Der Heuschnupfen ist da“, denke ich und erinnere das schöne Wochenende zuvor.

„Diesmal hat der Heuschnupfen wieder ordentlich zugeschlagen“, sagt Mama. „Diesmal hilft gar nichts mehr.“

„Was haben Sie denn bisher gegeben?“, frage ich und wundere mich, denn diese Saison hatte ich noch kein Kombipräparat aufgeschrieben. Aber die Mittel sind ja alle frei verkäuflich.

„Dieses, das und jenes“, sagt die Mama und präsentiert Globuli, Schüsslersalze und Euphrasia-Augentropfen. „Nichts funktioniert. Schauen Sie mal, wie sie leidet.“

„Und die Medis der letzten Jahre? Damit kamst Du doch ganz gut zurecht?“, frage ich Mariebelle, die hilfesuchend nach Mama schaut.

„Das ging ja nicht so weiter jedes Jahr. Seit April letzten Jahres waren wir dann beim Heilpraktiker. Wir haben alles gemacht. Die Kügelchen, Eigenbluttherapie, Akupunktur. Mariebelle war ruckzuck beschwerdefrei, nicht wahr Mariebelle?“, die Tochter nickt. Ich denke, naja, die Saison war vermutlich rum, außerdem war der Sommer 2018 so trocken, davon haben viele Heuschnupfer profitiert.

„Und jetzt?“, frage ich.

„Jetzt hilft das alles gar nicht mehr“, Mama schiebt den Beutel mit den Globuli über den Tisch. „Der Heilpraktiker sagt, das liege an der Dysbalance im Darm, und wir sollen jetzt noch eine Darmsanierung durchführen. Außerdem hat er nochmal neue Globuli aufgeschrieben. Schließlich sei der Winter dieses Jahr anders verlaufen als der letzte, da müsse man ja dann andere Wirkstoffe einsetzen.“

Doch, das habe er wirklich gesagt.

„Soll ich Dir nochmal die Augen- und Nasentropfen aufschreiben, die immer so gut gewirkt haben?“, frage ich Mariebelle. Sie nickt bittend.

„Und das mit der Hyposensibilisierung, der Allergieimpfung, was wir letztes Jahr besprochen haben, wollen Sie sich das nochmal für die Herbstzeit überlegen?“ – Die Mama nickt.

Der Mensch möchte gesund werden. Wer Heuschnupfen hat, weiß, wie sehr Mariebelle jedes Jahr leidet. Die Akutbehandlung ist in aller Regel effektiv und problemlos durchführbar. Die neueren Präparate machen auch nicht mehr so müde wie früher. Die Dauerbehandlung mittels Hyposensibilisierung ist da schon etwas aufwändiger und braucht viel Geduld und Durchhaltevermögen, immerhin geht die Therapie über zwei bis drei Jahre.

Globuli, also Behandlung mit ohne Wirkstoff, funktionieren nicht. Das subjektive Verbessern mancher Symptome sind bei Heuschnupfen stets dem Klimawechsel geschuldet oder dem subjektiven Eindruck. Viele Atopiker berichten, dass ihre Beschwerden im Jahr XY völlig verschwunden waren. Bis ein üppiger Frühling zwei Jahre später die Symptomatik zurückbrachte.

Keine Frage: Auch eine Hyposensibilisierung ist nicht der Weisheit letzter Schluss, ob subcutan (als Spritze) oder sublingual (als Tablette). Aber Studien erweisen immerhin eine wissenschaftlich fundierte Chance einer Verbesserung, oder wenigstens Stagnation der Beschwerden. Das Verhindern des allergischen Marsches zum Asthma ist bereits ein Erfolg.

In Mariebelles Fall – wie bei vielen anderen – bedeutete die Schwurbelei eine Verzögerung des Heilungsprozesses, damit eine Verschlechterung der aktuellen Lebensqualität und zukünftig vermutlich auch eine Verschlechterung des gesamten Outcomes der Allergie.

(C) Bild bei Thorsten F/pixabay (lizenzfrei)

8 Antworten auf „Zucker gegen Blüten“

  1. Augentropfen und Co heilen ja leider keine Allergie, es ist eine Behandlung der Symptome. Eventuell kann bei einigen eine Desensibilisierung die Allergie gegen einen bestimmten Auslöser zum Verschwinden bringen, aber von seiner Allergiebereitschaft geheilt ist man dann immer noch nicht.
    Schöne Grüße von einer Allergikerin, die das Wort Heilen etwas gestört hat gerade.

  2. Bei mir ließ die Wirkung der ersten Hyposensibilisierung (1994 – 1996) leider nach. Klingt fies, was?
    Es brachte mir Ruhe über einen Zeitraum von etwa 15 Jahren.(Ich brauchte nix an Medikamenten, und dabei war ich die Jahre vorher immer bei der Höchstdosierung, und hatte trotzdem noch zu kämpfen) Auch danach war die Allergie noch ne ganze Weile recht mild, so das ich mit wenigen Medikamenten (nur bei Bedarf) klargekommen bin. Vor vier Jahren wurde es dann wieder schlimmer – ich musste wieder durchgängig Medikamente nehmen, so das ich wieder eine Hypo bekomme – drei Jahre lang, jeweils im Herbst, vier bis 6 Spritzen. Dieses Jahr geht’s in die letzte Runde. Und ich enttäusche jetzt mal alle selbsternannten Allergieversteher und Behandler: Es wirkt! Schon letztes Jahr hab ich deutlich weniger Medikamente gebraucht, und dieses Jahr grade einmal bisher.(Und da war ich selber Schuld, was parke ich auch neben dem blühenden Roggenfeld)
    Also, selbst wenn es nicht wieder 15Jahre hält, es lohnt sich für mich. Ich würde mich immer wieder behandeln lassen. Im übrigen, die erste Behandlung war schon aufwendig, da musste ich in die Praxis zweimal wöchentlich, über Monate….da sind die paarmal jetzt harmlos.

    Und ja, ne unbehandelte Allergie, oder nicht konsequent behandelte Allergie kann zu Asthma und anderem Sch… führen, den man nicht braucht. Ich stand seinerzeit kurz davor.
    Und diese dämlichen Sprüche, über das ganze Homö, Schüssler und sonstige Gedöns – ja, das kenn ich natürlich auch. Aber irgendwie hat keiner von denen eine echte Allergie.
    Und meine Allergie gegen diese Leute…..na, die lass ich nicht behandeln. 😉

  3. Ich leide seit über 50 Jahre an Heuschnupfen. Zwischendurch mal gelindert durch Hypo, ansonsten komme ich mit den gängigen Medikamenten bestens klar. Aber was mir wirklich auf die Nerven geht (und das ebenfalls seit 50 Jahren!), sind die guten Ratschläge meiner Mitmenschen. Jeder weiß irgendwas: Bachblüten, Salz hochziehen, vegan essen, etc. pp..

    Keine Ahnung, wieso die Leute (alles Nichtmediziner) sich diese Beratungkompetenz anmaßen. Wenn ich entgegne, dass die Medikamente meist ganz gut wirken, ein Aufschrei: Was ich mir damit antue! Ich bin 60+ und pumperlgesund, obwohl ich in meiner Jugend noch die richtigen Hammer-Antihistamine (avil retard etc.) geschluckt habe. Ich habe auch mal gelesen, dass es für den Körper alles andere als gut ist, wenn man die Allergie nicht wirksam behandelt und einfach „laufen lässt“. Ich weiß nicht, ob das stimmt.

    1. Neiiin!
      Meine dicken Finger kombiniert mit Hitze-Unzurechnungsfähig sind auf „Daumen runter“ statt „Daumen hoch“ gekommen!
      Ich bitte aufrichtig um Verzeihung 🙁

  4. Danke, dass Sie die Mutter nicht abwerten.

    Können Sie sich vorstellen, was es für ein Spießrutenlauf ist, wenn man mit einem Allergikerkind – in unserem Fall noch mit Asthma- in einer Gegend wohnt, in der gefühlt in jedem dritten Haus gerade eine Mutter, die in den alten Beruf nicht mehr zurückfindet, eine HP-Ausbildung macht?

    „Waaas?? Er bekommt Kortison?? Das kannst Du nicht machen. Ich war da gerade in einer Vorlesung …..

    Wurde er denn geimpft… ja?.. na dann brauchst Dich nicht wundern, würde ich bei meinen Kindern nicht mehr machen. “

    „Antihistamin ist die völlig falsche herangehensweise, da reagiert er doch immer schlimmer!!“
    „Prick-Test?? So werden Allergien erst erzeugt!!“

    Angebote gehen von sämtlichen Globulis (1 Stück „hochdosiert“ in Wasser auflösen und schluckweise trinken) über Silberwasser, Hände auflegen, Vitamindrinks, Vitamin D aber bitte 50.000 i.E.täglich… ich weiss gar nicht mehr was alles.

    Selbst oder gerade auch die Lehrer machen es auch nicht besser.
    „Er braucht wirklich K.o.r.t.i.s.o.n.??
    Kann er nicht ne Woche aussetzen im Landschulheim?? (bei HSM-Allergie lieber nicht…) … na gut, dann nehm ich den Spray aber und bring ihn ihm täglich morgens und abends… nicht dass die Kinder Unfug damit treiben, ist ja doch ein heftiges Medikament!!!“
    U.s.f.

    Man hat es als Mutter da wirklich nicht leicht, man will ja das beste fürs Kind und vor allem nicht schaden.
    Dafür muss man dann wohl auch mal auf die Nase fliegen (bzw viel schlimmer: das Kind) und viel lesen …. die „richtige“ Lektüre allerdings, damit man selbst sicher genug ist, dass der Arzt schon recht hat und beim nächsten Aufeinandertreffen mit einem HP auf Missionierungstrip – wenn man es nicht schafft, zu flüchten – doch wenigstens ein paar Argumente pro Schulmedizin in der Hand hat. Die man übrigens nicht hat, wenn die Krankheit durch „normale Medikamente“ nicht besser wird

    Bei unserem Kind schlug die Hypo übrigens sehr gut an, nach vielen Jahren ständiger Instabilität (und damit keiner Hypo-Möglichkeit) gehts ihm seither deutlich besser. Ich glaub auch nicht, dass es nur einen zeitlichen Zusammenhang gibt.
    Ich glaube jetzt einfach mal an die Hypo.

    1. Sehr gut die geschilderten Dialoge @LebenHoch3!
      Ich wohne auch in einer Gegend, die diese Blüten treibt. Bei uns gibt es Heiler/innen und Reiki -Meister/innen, Hexen, schamanische Massagen usw. Natürlich kann man an jeder Ecke Yoga lernen (wogegen ich, sofern ohne ideologische Begleitung, allerdings nichts einzuwenden habe).

      Komisch nur, dass die Uniklinik am Sonntagabend bemüht wurde, als bei der Tochter ein plötzlicher Hautausschlag auftrat. Die durch Handauflegen fließen sollende Energie wollte weder Erklärung noch Besserung bringen.

      Dafür hat meine Nachbarin, selbst ernannte Heilerin und Impfgegenerin mit akademischem Hintergrund es aber angeblich geschafft, dem eigenen, schwer erkrankten Vater heilende Energie per Fernübertragung (Luftlinie 800km) zukommen zu lassen. Wirkungsvoller als jeder Besuch der anderen Angehörigen.

      Nein, ich rege mich nicht mehr auf!

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