Wochenende

Wochenende

Mediziner:innen haben kein Wochenende. Isso. Das Krankenhaus taktet nach Früh-, Spät,-, Mittel- oder Nachtdienst, oder wie die Einteilungen eben gerade sind, Patient:innen gibt es auch immer und die Stationen sind immer voll. Arbeit gibt es immer, da gibt es keine Unterschiede zwischen Werktagen (sic!) und Samstag oder Sonntag.

Jedes zweite (so genannte und kalendarische, weil s.o.) Wochenende war ein Dienst abzuarbeiten, mal nur samstags oder sonntags, mal hinein- oder herausarbeitend, mal die Nacht dazwischen oder alles zusammen. „Ich kenne noch Zeit, da hattest Du sechsunddreißig Stunden am Stück.“ Ja, kenne ich. Und wenn Dein Partner:in im gleichen Job unterwegs ist und womöglich nach Murphy’s law gegenschichtet, dann gab es das Wochenende tatsächlich nur noch auf dem Papier.

Besser oder anders gefühlt wurde es vielleicht mit den eigenen Kindern. Eine/r blieb jetzt zuhause, ich gestehe, in der klassischen Rollenverteilung Ende der Neunziger: Meine Frau. Wie auch die Abende, wie auch die Nächte, wie auch die Morgen und die Nachmittage. Aber es wurde besser, weil das nominelle Wochenende wenigstens Ausflüge, Rauskommen, Abschalten bedeutete. Der Kopf war immer noch im Krankenhaus. Und gerne gab es was zum „Einspringen“, das so kindlich-spaßig klingt, dass es gar nicht besonders wehtut. Aber es tut viel weher, wenn die Kinder sich auf Dich freuen.

Dann kam die ICU-Zeit, also die besonders intensive, weil jetzt sämtliche Tag/Nacht-Rhythmen in patientengesteuerte Schichten verwischten. Frühgeborene kennen kein Sonnenlicht oder Mondschein, sie kennen nur Infusionen, Beatmungen, ängstliche Eltern und kalte Kinderärzt:innen-Hände. Auf der Intensivstation wird Ruhe und Dunkelheit und Wärme simuliert, wir konnten nur kläglich scheitern aufgrund der intensiven und „maximal care at minimal handling“-Arbeit. Achso und nebenbei, was sind schon Feiertage für Mediziner:innen?

Mediziner:innen haben keine Wochenenden. Deshalb ist bei manchen, so bei mir, irgendwann der Krankenhaus-Koller da, die Einsicht, dass die wichtigen Jahre Deiner Kinder – und es sind immer wichtige Jahre – an Dir vorbeiziehen, ohne Dein Zutun, und Dein/e Partner:in die Familie ist, Du bist nur jemand mit Schmerzen im Rücken und dünner Haut. Du gehst den einzig richtigen Weg, Du gehst in die Selbstbestimmung, in die Eigeneinteilung Deiner Arbeit, Du gehst in die Niederlassung.

Niedergelassene Mediziner:innen kennen Wochenenden, aber sie haben keine Abende. Und die Wochenenden gehören zwar der Familie, aber der Kopf hängt manchmal noch über dem Schreibtisch, über der Abrechnung, unter dem Server der Praxis oder der Telefonanlage. Work-Smile-Balance, klar, aber die Arbeit will trotzdem getan werden, und der Tag hat nur vierundzwanzig Stunden blabla. Immerhin ändert sich die Taktung: Du kannst vollmundig behaupten, in der Niederlassung jedes Wochenende und alle … Feiertage (stimmt, da war noch was) freizuhaben, die paar KV-Notdienste lassen sich verkraften. Oder abgeben.

Nun beginnt das Wochenende mit viel Glück am Freitagabend, wenn der/die letzte Patient:in gegangen ist, das Personal die Praxisräume verlassen hat, der Schreibtisch leergeräumt und – Gott bewahre – der Anrufbeantworter funktioniert. Nach zwanzig Jahren Vorbereitung gelingt es mir jetzt, durch hochanspruchsvolle Skills sämtliche Arbeiten für die Medizin aus dem Wochenende zu verbannen. Blog, Kolumne, Podcast und Twitter werden zu Eustress umbetitelt, sie sollen Ausgleich bedeuten, keine zusätzliche „Work“ in der „Balance“. Und wenn es Dir und der/m Partner:in gelingt, die Arbeit entsprechend zu synchronisieren, dann kennst Du als Mediziner:in plötzlich doch ein echtes Wochenende. Familie, Haus, Musik, Bücher, Natur, Garten, Hund, Katze, Netflix, Podcasts, Kochen, Genießen.

Und… was machst Du am Wochenende?

(c) Bild bei kinderdok/Canva


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Eine Antwort auf „“

  1. Arbeiten, natürlich 🙂
    In der Behindertenhilfe gibt es auch kein Wochenende, keine Feiertage… Aber mit dem richtigen Chef eben zuverlässig jedes zweite Wochenende und nicht 6 Wochenenden am Stück (ich benutze bewusst die männliche Form, da bisher alle meine Chefs nur Männer waren).
    Mit dem Pensum eines Mediziners ist das natürlich nicht vergleichbar. Ich denke die Arbeitslast ist auch ein großer Faktor, warum sich viele gegen ein Studium entscheiden…
    Du lebst für die Medizin oder eben gar nicht, Zeit für anderes ist nicht da.

    Schön, dass du deine Balance gefunden hast.

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