Funktionelle Bauchschmerzen

Ich untersuche den Siebenjährigen, der mit Bauchschmerzen („schon immer“, sagt die Mutter) vorgestellt wird. Der Bauch ist weich, es gibt keine zusätzlichen Schmerzen bei der Palpation, keine Abwehrspannung, keine Resistenzen, keinen Klopfschmerz. Auf meine Frage, wo denn der Bauch immer weh tue, zeigt der Junge auf den Bauchnabel.

Ich erkläre der Mutter das Prinzip der funktionellen Bauchschmerzen, also Bauchweh, die oft Schulkinder, auch schon ältere Kindergartenkinder, empfinden, die aber keine organische Ursache haben. Ich empfehle, mal Makrogol für ein bis zwei Monate zu geben, weil das in Studien zu funktionellen Bauchschmerzen positiv getestet wurde, manchmal verbirgt sich eine relative Verstopfung hinter den Bauchschmerzen.

„Ja, aber“, sagt die Mutter und denkt an eine Lactose-, Fructose-, Glutenunverträglichkeit (vulgo Zöliakie), da so einige der Freunde in der Betreuungsumgebung (= Schule oder Kindergarten) das ja auch haben. Wir einigen uns auf eine Lactosekarenz für 14 Tage und eine Blutabnahme wegen der Zöliakie.

Die Blutabnahme bringt nichts (keine Zöliakie), wir hatten die schon etwas in die Zukunft gelegt, um die Lactosekarenz abzuwarten. Die Bauchweh bestehen weiterhin. Übrigens nur vormittags, weswegen der Junge oft nicht frühstückt (wird angemahnt), nach dem Stuhlgang am Mittag sind die Bauchweh meist weg. Das Makrogol wurde nach drei Wochen abgesetzt, es „hat ja nichts gebracht“.

Ich erkläre noch einmal die funktionellen Bauchschmerzen, bitte, das Makrogol weiter zu geben, da der Darm doch ein sehr träges Organ ist, und der Effekt manchmal seine Zeit braucht. „Ja, aber“, sagt die Mutter und mahnt die Fructoseunverträglichkeit an, möchte gerne auch einen Ultraschall des Bauches, man könne ja nie wissen.

Das Sono bringt nichts, außer ein paar gefüllte Darmschlingen, weswegen ich nochmals das Makrogol anmahne. Es sind wieder drei Wochen vergangen, Fructoseauslass brachte nichts, auch ein Glas Apfelsaft bringt keine Zunahme der Beschwerden. Das Makrogol wurde auf „jeden zweiten Tag“ reduziert, auch „mal“ vergessen. Ich mahne und erinnere, erkläre noch einmal die funktionellen Bauchschmerzen.

„Ja, aber“, tippt die Mutter nun auf andere Nahrungsmittel, worauf wir uns auf ein Protokoll einigen. Irgendwie muss ich ja Zeit gewinnen. Wir treffen uns wieder nach anderthalb Monaten, die Mutter bringt den Excel-Ausdruck des Bauchschmerzprotokolls mit, das Makrogol wurde konsequent über die gesamte Zeit eingenommen.

Das Protokoll ist leer. Die Bauchschmerzen sind weg, nur manchmal zwickt es noch um den Bauchnabel, zum Beispiel, wenn der Junge in der Schule etwas Vorrechnen muss. Ich erkläre das Konzept der funktionellen Bauchschmerzen. „Ja, aber“, sagt die Mutter. „Ist ja gut, dass wir das einmal abgeklärt haben.“

BVKJ zu chronischen Bauchschmerzen
Bauchschmerzprotokoll der Uni Ulm (pdf)
Noch ein Fragebogen (pdf)

(c) Bild bei pxhere (CC0-Public Domain)


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10 Antworten auf „Funktionelle Bauchschmerzen“

  1. Frage an den Kinderdoc: Kind hatte im Alter von 5 bis 6 Jahren oft „funktionelle“ Bauchschmerzen (mehrmals pro Woche) Anspannung im Bauch tastbar rund um den Nabel – ohne Zusammenhang zu Essen/Verdauung. Besserung manchmal durch Wärme, manchmal Kälte, Massieren,& Entspannen. Gleichzeitig und immer wieder noch: Wachstumsschmerzen (Ja ich weiß eine Ausschlussdiagnose) in den Beinen/Füßen. Ist in der Forschung ein Zusammenhang von Wachstum mit Bauchschmerzen bekannt?

    1. Es wird gerne ein Zusammenhang konstruiert, aber vermutlich ist es so, dass das Kinder sind, die grundsätzlich ein anderes sensivitiveres Körpergefühl haben und daher „funktionelle“ Schmerzen auch an anderen Körperstellen auftreten können, klassisch Bauch, aber eben auch „Wachstumsschmerzen“ oder später Migräne.
      Unbedingt Entspannungsübungen starten und regelmäßigen Sport,

  2. @Jane Doe Danke für die Krankengeschichte. Glücklicherweise gibt es keine Schnittmengen zu meiner Geschichte im Blogpost. Fehlender Blutdruck und Schmerzen jenseits des Vertretbaren sind nicht Teil einer Symptomatik bei funktionellen Bauchschmerzen und hätten selbstverständlich sofortige Diagnostik erfordert.

  3. Mein Kind ist an „funktionellen“ Bauchschmerzen verstorben. Sie hatte auch keine Intoleranzen, allerdings einen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme sowie Kopfschmerzen, zum Schluss Rückenschmerzen. Empfehlung im Klinikum: Fango, Yoga und Sab Simplex. 5 Tage vor dem Herzstillstand.
    Wenn man Hufgetrappel hört, sind es meist Pferde, es können aber auch mal Zebras sein.

    1. @JaneDoe Das ist eine sehr tragische Geschichte, das tut mir sehr leid. Ich möchte trotzdem allen LeserInnen mitgeben: Zebras sind selten in unseren Wäldern. Und fragen, wenn Du antworten magst: Wieso sind Fango, Yoga und Sab simplex adäquate Therapien bei Kopf-, Rücken- und vermutlich Bauchschmerzen?

      1. Bauchschmerzen in der Magengegend, ca 30 min. nach dem Essen. Milde Gastritis, zu mild für den Schmerzlevel. Crohn und CU auch unwahrscheinlich (lieicht erhöhter Wert, der Kindergastrologe empfahl Psychotherapie). Brust- und Rückenschmerzen wurden mit einer Verspannung erklärt. Möglich, dass sie die hatte, sie konnte seit Tagen nur noch im Sitzen schlafen. Dazu Empfehlung, eine im Sitzen erträgliche Position beizubehalten und zum Schlafen sich zur Seite fallen zu lassen. Und weitere Diagnostik in Ruhe abzuwarten, macht am Wochenende eh keiner. Blutdruck war schon seit ca. 6 Wochen nicht mehr messbar, hat auch niemanden gewundert. Ursache war eine Gefäßerkrankung im Bereich des Truncus coeliacus. Der Magen hat also Schmerzen verursacht, wenn er gearbeitet hat. Das Herz hat sich an den Engstellen letztendlich kaputtgepumpt.

  4. Hallo Kinderdok,

    mein Sohn (8) klagte auch sehr lange (2 Jahre) über undefinierte Bauchschmerzen. Wir haben früh festgestellt, dass diese keine „organischen“ Ursachen haben können. Bauch war weich, Stuhlgang normal, Schmerzen unabhängig von der Nahrungsaufnahme. Mal kamen die Schmerzen morgens, mal abends, mal mittags. Immer unregelmäßig. Wir haben es dann auf Stress bzw. Umstellung der Lebensgewohnheiten (Einschulung, Corona, Lockdown, etc.) zurückgeführt. Nichtsdestotrotz möchte ich mein Kind ernstnehmen in seinem Leid, daher haben wir immer gesagt, wenn es so schlimm ist, dass es dich in deinem Leben beeinträchtigt, gehen wir zum Arzt. Gut, gesagt getan. Wir wurden gleich zu Beginn aufgefordert ein Protokoll zu führen. Haben wir eifrig gemacht. Bei Wiedervorstellung war klar, nix organisches, Kopfsache.
    Makrogol wurde gar nicht thematisiert, was ich im Nachhinein etwas merkwürdig finde.
    Wir haben dann angefangen Entspannungsübungen mit Ihm zu machen. Ich habe Ihm auch Autogenens Training beigebracht, da die Bauchschmerzen doch recht häufig abends auftraten.
    Es hat eine Weile gebraucht, aber nun sind die Bauchschmerzen wieder weg und auch die Einschlafprobleme haben aufgehört, zumindest großenteils 🙂

    Mir war von Anfang an klar das die Bauchschmerzen keine Äußeren Ursachen haben, ähnlich wie in dem hier beschriebenen Fall.
    Warum gibt man dann Makrogol wenn keine Verstopfung vorliegt?
    Ist das nicht auch eher zur Beruhigung der Eltern? Nach dem Motto, Hauptsache was gegeben? Ne Wärmflasche, Fencheltee und Zuwendung haben doch den gleichen Effekt.
    Ich fand es sehr gut, dass unsere Kinderärztin meine Meinung ernst genommen hat, aber auch bemüht war andere Ursachen abzuklären. Natürlich nicht in diesem Umfang wie hier beschrieben.
    Was wohl auch auf das Drängen der Mutter hin geschah.
    Wenn man noch das Alter der Kinder betrachtete, alle rund um die Einschulung, ist es doch nur natürlich das Kinder auf Veränderungen auch körperlich reagieren.

    Macht dann eine Medikamentengabe wirklich Sinn?
    Würde mich mal interesieren.

    Liebe Grüße
    Frau Enderle

    P.S. ich mag den Blog wirklich sehr und lese schon seit Jahren mit.

    1. @Mara enderle: Deine Überlegungen und Beobachtungen sind alle richtig und definieren ja auch die funktionellen Bauchweh. Leider ist in der Bevölkerung die „Suche nach“ weiter sehr verbreitet. Alles muss eine „echte“ Ursache haben. Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind en vogue.
      Chronische Verstopfungen imitieren funktionelle Bauchschmerzen sehr gut. „Normaler Stuhlgang“, der aber nur alle 2-3 Tage abgesetzt wird, ist genau so auffällig, wie fester Stuhl zweimal am Tag. Makrogol ist nebenwirkungsfrei und bei fehlender Besserung immer ein Versuch wert. Wenn Euer Weg zum Erfolg führte, ist das ja in Ordnung.

      1. Hallo Kinderdoc,

        vielen Dank für die Antwort. Mir war nicht klar wie eng die Grenzen für „normalen“ Stuhlgang gesetzt sind. Das scheint ja doch Beobachtungs-würdiger zu sein. Vielleicht sollte ich da etwas genauer hinsehen bei meinen Kids.

        Liebe Grüße
        M. Enderle

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