
Gibt es eigentlich noch eine Berufsgruppe, in der so gerne über andere KollegInnen gelästert wird wie in der Medizin? Mir fehlt da naturgemäß der Einblick, die Frau hat zwar einen anderen Beruf, aber da scheint es nicht so schlimm zu sein, außer es geht um direkte KollegInnen neben sich. In der Medizin lästert man jedoch über Krankenhausgrenzen hinweg, die Niedergelassenen über die Ambulanzen (und umgekehrt), die Fachabteilungen über die anderen Fachabteilungen, die MedizinerInnen über die Pflege (um umgekehrt).
Ich schließe mich da gar nicht aus, hier im Blog haben die LeserInnen schon vielfach von anderen MedizinerInnen gelesen, auch bei Twitter haue ich gerne mal einen raus:
https://platform.twitter.com/widgets.jsDas Kleinkind stürzt nachts aus dem Bett, Riesenbeule, lässt sich kaum beruhigen und erbricht nach 2 Stunden drei- oder viermal. Familie ab ins Krankenhaus.
— Der Kinderdok 🇺🇦☮️ Нет войне! (@kinderdok) May 31, 2022
UC-Kollege: “Liebe Eltern, Eure Entscheidung, ob wir das Kind aufnehmen oder nicht.”
Sicher? SICHER?
Ich finde das sehr schade. Eigentlich beinhaltet die Medizin ein gewisses Maß an Respekt den anderen gegenüber, Altruismus sollte uns gut stehen, ganz abgesehen vom Helferlein-Syndrom und dem ewigen “Wir können nur vom anderen lernen”. Trotzdem kannst Du Dir nicht immer auf die Zunge beißen, insbesondere wenn es um fachliche Dinge geht, oder um den Umgang mit den PatientInnen. Aber sachlich sollte es bleiben, fundiert sollte es sein, wir streiten uns gerne um Evidenz und wissenschaftliche Beweise, aber bitte nicht mit Kompetenz qua Amt oder Eminenz-Wissen qua Alter.
Wir können nicht in die Arbeitswelt der anderen Fachbereiche hineinsehen. Ich habe größten Respekt vor allen chirurgischen Diszplinen oder Fitzel-gebieten wie der Augenheilkunde oder der HNO-Medizin, ich ehre das Fachwissen der NeurologInnen und die empathischen Fähigkeiten eines/r jeden PsychiaterIn. Ich weiß auch, dass alle ihre Arbeit tun und davon viel zu viel, Personalknappheit herrscht überall.
“Abturfen” ist respektlos. Das geht nicht. Alle MedizinerInnen sollten ihren Job am Patienten tun, in ihrer gesamten fachlichen Befähigung und in den Begebenheiten, die sie vorfinden. Was gar nicht geht: “Ich würde noch diese und jene Untersuchung empfehlen, das kann ja dann Ihr Hausarzt/Kinderarzt machen.” Nee, nee: Bitte mache es gleich oder baue gleich den Weg zur Fachabteilung in deinem Haus. Da sind die Wege kürzer, und für die Eltern ist es leichter. Ja, doch, die Überweisung gilt weiterhin.
“Lästern” geht gar nicht. Wir MedizinerInnen sollten uns ein für alle mal den Spruch verkneifen: “Das hätte aber Doktor XYZ auch sehen müssen” oder “wenn das jetzt nicht behandelt wird, dann…, das hat aber Doktor XYZ verpasst” und ähnliches. Damit bedienst Du nur Dein Ego, überhebst Dich über Doktor XYZ. Den PatientInnen vermittelt es ein schlechtes Gefühl der ganzen Medizin und damit auch Dir gegenüber. Verkneif Dir diese Sprüche, greif zum Hörer und ruf den KollegIn an, wenn Du meinst, da etwas loszuwerden. Aber Du weißt selbst: Gestern war der/die PatientIn noch anders, das Ohr nicht so rot, und der Blinddarm nicht so entzündet.
“Früher haben wir” ist anachronistisch, Danke für dieses Wortspiel. Die Zeiten ändern sich. Die Medizin ändert sich. Die Arbeitsbedingungen ändern sich. Ja, wir haben früher 121-Stunden-Schichten gearbeitet und haben mit fünf Espressi intus noch die Leiste operiert. Unsere OberärztInnen waren strenger und unsere Chefärzte (no gender, die waren alle Männer) korrekter, großzügiger, mit besserem Golf-Handicap und fachlich fitter. Jede Generation hat ihren eigenen Stress. Dennoch, liebe Youngsters da draußen: Wenn FachärztInnen mit viel Berufserfahrung PatientInnen schicken, dann sollten Ihr wenigstens Eure Vorgesetzten fragen, ob Ihr schlauer seid als die alten HäsInnen. Es geht ums Fachliche, nicht ums älter sein.
Wohl den ChefärztInnen, die den PJ-Studierenden so viel Respekt entgegenbringen wie ihren OberarztkollegInnen, den PhysiotherapeutInnen oder den Pflegenden. Jeder hat die Hoheit im Fachgebiet, jeder hat eine Inselbegabung, und die Studierenden sind sicher näher am aktuellen Fachwissen denn so manche ChefärztIn. Meine Anerkennung in der Ausbildung galt dem Oberarzt, der alle SchülerInnen beim Namen kannte, ob aus der Pflege, als Stationshilfe oder aus dem Studium. Der Chefarzt, welcher Dich auch nach einem Jahr Mitarbeit in seiner Abteilung noch mit “Herr… äh… Dingens” anredete, tat dies auch seinen PatientInnen gegenüber. Namenmerken ist nicht jedermenschs, aber wofür gibt es Namensschilder? “Ich bin hier der Chef, und deshalb machen wir das so” verdient obligate Mißachtung.
Klar mußt Du Dir mal Luft machen. Aber das geht auch ohne Namensnennung oder nach Feierabend ohne PatientInnen, die zuhören können. Gerne Ärgernisse ventilieren, bei einem Bierchen oder einem Viertele, bei einem Wässerchen bleibt man vielleicht gelassen genug, um sich in die KollegInnen hineinzuversetzen. Stell Dir vor, Du wärst wieder jung und unerfahren, oder Du kennst Dich so schlecht aus im anderen Fachgebiet, wie die KollegInnen sich in Deinem auskennen. Vor allem: Warte mit dem Lästern, bis Du mit der Behandlung des/r PatientIn fertig bist. Sei einfach freundlich und wertschätzend.
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Ich glaube, das Problem ist das lästern nach außen. Das ist ganz schlechter Stil.
In meiner alten Firma gab es den Spruch: “Mobbing gehört zur Firmenkultur.”
Das war im positiven Sinne auch richtig. Jeder hat mal einstecken müssen aber auch austeilen dürfen. Dabei durfte aber eben das ganze nie respektlos oder persönlich werden.
UND: Gegenüber Kunden, Lieferanten und Gästen tritt man als Einheit auf. Da werden auch Fehler des Kollegen als Fehler anerkannt, aber eben nicht als Fehler des Kollegen, sondern “da haben WIR etwas falsch gemacht.”
Gleiches auch im Hobby.
Nirgends wird mehr über Schiedsrichter gelästert als unter Schiedsrichtern. Aber nicht vor anderen. Fehlentscheidungen sind Fehlentscheidungen. Aber jeder von uns hat davon schon mehr als genug gemacht. Mal passt der Blickwinkel nicht, mal hat man nur ein Teil einer Aktion gesehen und damit ändert sich die Bewertung komplett. Hat man ein Team, das einen korrigiert, hat man Glück. Aber ansonsten hat man ein Häufchen gelegt und muss damit klar kommen.
In meinen Augen kann ein bisschen humorvolles lästern durchaus dabei helfen Stress abzubauen und sogar die Gemeinschaft stärken.
Wenn aber systematisches, respektloses Mobbing einsetzt, dann läuft etwas verkehrt und man lästert nie vor Außenstehenden.
Kopfweh, Bauchweh, Erbrechen, Sehstörungen, akut Brustweh.
“Is psychisch”. Nichtmal abgehorcht im Notdienst.
“Am Wochenende läuft eh keine Diagnostik”.
Fünf Tage später Herzstillstand, in der Klinik 50 km weiter.
Gestorben an fibromuskulärer Dysplasie und Kardiomyopathie.
Mit 14. Da hat mal wohl nicht Herz wenn nicht schon als Baby …
Dass das alles zusammengehört, geschenkt.
Ist sehr selten, aber manchmal wird zu schnell und zuviel aussortiert.
Ob eine sinnvollere Reaktion noch was genutzt hätte, aber auch unsicher.
Danke. Perfektes Beispiel. Die Schulterschmerzen können natürlich auf keinen Fall mit dem Cor Zusammenhängen. Typisches Beispiel für einen Halbgott in Weiß…. Traurig
Das „Abturfen“ was sie hier beschreiben sehe ich ganz anders. Es ist leider auch nicht die Aufgabe des Stationsarztes, der im besten Fall noch 29 andere Patienten und den OP zu bedienen hat, und zwischendurch in der Ambulanz oder der Notaufnahme helfen soll, für jede Kleinigkeit noch eine Abklärung oder einen Termin zu organisieren. In der Klinik sind die Patienten in aller Regel wegen *einem* Problem. Wenn dieses Problem ein Kardiologisches ist, sind die Schulterschmerzen seit drei Monaten eindeutig nicht die Aufgabe des Stationsarztes. Und andersrum – wenn das Problem das Kniegelenk ist, sind mir ihre Probleme beim Wasserlassen wenn sie nicht akut aufgetreten sind auch egal. Dafür gibt es niedergelassene Urologen und Orthopäden wie Sand am Meer. Nicht akut relevant —> Problem für den niedergelassenen Bereich. Man hat in der Klinik schlicht und einfach nicht die Zeit sich um jedes Kinkerlitzchen zu kümmern.
Ja, das verstehe ich. Nun gibt es aber gerade in der Kinderheilkunde so komplexe Dinge wie “Dystrophie-Abklärung” oder auch Psychosomatisches. Hier kann eine Klinik kompakt viel mehr erreichen als die Niederlassung. Aber vielleicht ist das so: Die PatientInnen werden überlebensfähig entlassen. Das muss reichen.
Vielen lieben Dank für den sehr differenzierten Text. Leider geht das Kollegeninnen/Fachdisziplin Bashing bereits im Studium los, wenn der XYZ-Chefarzt bei der Frage nach dem Fachwunsch der Studierenden blöde Kommentare abgibt, bei der Kommilitonin, die XYZZ werden will. Der OA einer anderen Diszplin im Seminar loswird, dass die ZZZZ keine Ahnung von Anatomie haben usw. Was die meisten dieser Kollegen (!) gemeinsamen haben, war das Alter. Noch von keinem/r Assistentenin habe ich solche respektlosen Äußerungen gehört und alle Kommiliton*innen fanden die Äußerungen unpassend. Und wir (jungen) sind die Zukunft, das läßt also hoffen.