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Wie die treuen Leser:innen des Blogs wissen, schreibe ich hier gerne etwas über die Bücher, die ich so lese, deswegen gibt es weiter oben einen extra Reiter und rechts unten meine Lektüren via “goodreads“. Wer mich nur als Kinderarzt mag, darf gerne diese Blogbeiträge überspringen, für alle anderen: Weiter gehts:
Wer einen neuen John-Irving-Roman rezensiert, greift meist auf ähnliche Strukturen zurück: Gelobt wird die Tiefe der Figuren, die wiederkehrenden Motive der Irvingschen Romane, die Queerness, die unterschwelligen großgültigen Botschaften, der Subplot, der meist dem eigentlichen überlegen ist. Die Bezüge zu Dickens werden dekliniert, der Umfang der Romane, die Redundanz der metaphorischen Sportbezüge, die Spielarten des Sexes. Und natürlich trifft das auch auf seinen neuesten Roman zu, der bereits als John Irvings “Alterswerk” bezeichnet wird, der Mann ist 81.
Der Roman ist in der Ich-Perspektive geschrieben, wie viele von Irving, sein Protagonist heißt Adam, der erste Mensch, nicht von ungefähr, und wir finden – ja, doch – alles wieder, was den gut abgehangenen Irving-Roman ausmacht. Die große Mutter-Person, die immer ein Geheimnis mit sich trägt, die stummen Personen, deren Spannung davon lebt, ob sie nicht doch etwas sagen, die groß oder wahlweise sehr klein gewachsenen Nebenrollen, die meist queer, aber auf jeden Fall etwas seltsam sind (warum nur? das fällt aus der Zeit, oder?), die Beziehungen der Hauptrolle zu beiderlei Geschlecht, inzwischen allen möglichen Geschlechtern, jaja, diese Beziehungen sind immer schwierig.
Ich bin eingefleischter John-Irving-Fan, ich habe alle Romane und auch gelesen, ich kenne alle Filme nach seinen Büchern, ich kenne seine hervorragenden Sekundärliteraturen und vereinzelten Essays. Spätestens mit dem furzenden Hund in “Hotel New Hampshire” hatte er mich für immer in seinen Bann gezogen. Jeder Irving-Fan hat den einen Roman, der besonders gefällt, bei mir ist es “Owen Meany”, aber, hey, sie haben alle ihren Reiz.
Die letzten Jahre waren schwierig, das Warten auf den nächsten großen Roman unendlich, immerhin sieben Jahre hat sich der Meister Zeit gelassen, die Erwartungen waren groß.
Die Rezensionen, ich schrieb es schon, ergehen sich im Wiedererkennbaren, im Heimkommen nach John-Irving-Land, wie schön.
Mir reicht es diesmal nicht. Dafür war die Zeit zu lang, dafür bin ich als Leser zu sehr gealtert, bin anspruchsvoller in meinem Leseerlebnis geworden. Ich habe zwar Ausdauer, ein 800-1000 Seiten Roman kann mich nicht beeindrucken, beim e-Reader-Lesen machen die gichtgeplagten Hände problemlos mit, aber dieser Roman? Mr Irving, lieber Lektor, dieser Roman ist um ein Drittel zu lang. Ich hätte auch eine tolle Idee, wo man kürzen könnte: Bei diesen unwirklichen Screenplay-Aufzeichnungen mittendrin. Da kapiert doch wirklich niemand, was das soll. Zum Zweiten: Die Sportergüsse. Doch, nach diesen vielen Umschreibungen der letzten Romane wissen nun alle, wie das Ringen funktioniert, auf was es ankommt, und dass man davon Blumenkohlohren und Mattenbrand bekommt. Skifahren spielt eine grosse Rolle im “letzten Sessellift”? Geschenkt. Als habe der Wintersport nicht zur Metapherverleihung gereicht, kehrt John Irving lieber wieder zum Ringen zurück, zumal der gute Adam gar kein Skifahren mag.
Das Heimkommen zu Irving ist zwar angenehm, wer hört nicht gerne die alten Platten nochmal und erfreut sich, wenn die Stones, Springsteen oder Grönemeyer Lieder spielen, die schon immer so waren, wie sie sind? Diesmal hatte ich mir mehr Innovation gewünscht, nach all den Jahren, etwas Tieferes, vielleicht etwas, was der LGBTQ-Community zu Weisheit gereicht, das scheint ja ein wichtiges Sujet für Irving zu sein.
Also, liebe/r Leser*in: Alle sollten John Irving lesen, der Mann hatte soviel zu sagen, “Der letzte Sessellift” ist kein gutes Einsteigerbuch, versucht es lieber mit “Owen Meany”, “Hotel New Hampshire” oder von den neueren Romanen “Letzte Nacht in Twisted River”. Das sind Romane, die nie vergehen und für immer im Kanon der amerikanischen Literatur ihren Platz haben.
Noch etwas: Da Charles Dickens’ “Große Erwartungen” eine so wichtige Rolle im Leben von Adam Brewster spielt (neben “Moby-Dick”), habe ich endlich mein Exemplar aus dem Schrank geholt und mit der Lektüre begonnen. Handlungsgetriebene Romane sind dauerhaft unterhaltsamer als figurengetriebene. Was soll ich sagen: Die ersten fünfzig Seiten haben mich mehr abgeholt als die tausend Seiten des neuen Irving.
(3/5) – Ein Stern aus Prinzip für John Irving, ein Stern für die queerbewusste Denkweise, ein Stern für Nora (Insider…).
John Irving im Interview mit Denis Scheck: “Ein Meisterwerk!”
*Rezensionsexemplar von NetGalley als ebook. Vielen Dank.
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Danke Doc für die Rezension, da noch sooooo viele Bücher auf mich warten, wird es der Irving nicht.