
Sprechen wir über Bindehautentzündung, also einer Konjunktivitis, neben Husten und Bauchweh sicher der häufigste Vorstellungsgrund in einer Kinder- und Jugendarztpraxis. Warum? Weil ungemein viel Panik und Unwissen darum existiert. Bindehautentzündung sei unglaublich infektiös, jedes nur wenig rote oder verschwollene Auge oder etwas mehr Tränenflüssigkeit ist gleich eine solche, und jede Kita hat irgendeine Anekdote, weswegen bereits ganze Kindergartengruppen geschlossen werden mussten.
Hier also ein Blick aus der Praxis, ein wenig Theorie und fernab der praxisfernen Lehrbücher.
Let´s try some facts:
Die Bindehaut ist nur indirekt zu sehen
Sie liegt nämlich unter den Augenlidern, endet aber im “Weißen” am Auge. Ergo: Wenn dieses Weiße nicht rot ist, ist eine Bindehautentzündung schon einmal sehr unwahrscheinlich. Vermehrte Tränenflüssigkeit zeigt alleine keine Bindehautentzündung an, auch ein klebriges Sekret im Augenwinkel alleine ist nicht pathognomonisch. Eine Schwellung im Bereich der Augenregion hat meist andere Ursachen als eine Bindehautentzündung.

Erste Frage also unserer fMFA: “Ist denn das Weiße im Auge rot?”. Wenn Nein: Bindehautentzündung sehr unwahrscheinlich. Oder noch nicht da.
Augenreizungen haben viele verschiedene Ursachen
Ist nun doch das Auge rot, kommen immer noch viele andere Ursachen in Frage als eine Infektion: Vielleicht ist es eine Allergie? Vielleicht ist ein Fremdkörper Schuld (das kann eventuell nur ein Sandkörnchen sein)? Vielleicht hat das Kind auch nur vermehrt am Auge gejuckt? Vermehrter Wind, also die berühmte “Zugluft”? Zuviel Sonne, zuviel die Augen zusammengekniffen? Hat jemand ins Auge gegriffen? – Schließlich bleiben natürlich die infektiösen Ursachen, aber hier gibt es – wie so oft – virale und bakterielle Erreger, die wiederum verschiedene Behandlungen benötigen.
Das Alter des Kindes ist ein gutes Diagnosekriterium
Säuglinge haben selten infektiöse Bindehautentzündungen (wenig Kontakt zu anderen, guter Nestschutz) – bei ihnen entsteht ein rotes Auge in aller Regel durch verstopfte Tränenkanälchen, es staut sich die Tränenflüssigkeit im Auge an und kann nicht gut abfließen. Die Tränen verschmieren, vertrocknen, die Augen verkleben. Hier reicht es, mit viel Wasser und einem weichen Stoff die Augen zu säubern. Bitte keine Kamille benutzen. Irgendwelche Augentropfen, Muttermilch oder sonst welche Flüssigkeiten haben keinen Sinn: Ein gestautes Gewässer fließt damit nicht besser ab, sondern wird nur noch “voller”.
Bei Kleinkinder wird die “Chance” auf eine Infektion am Auge schon größer: Es gibt mehr Kontakt mit anderen, es gibt mehr allgemeine Infekte. Trotzdem besteht kein Grund zur Panik: Ist das Kind gleichzeitig erkältet und völlig verrotzt, dann handelt es sich bei einem tränenden Auge meist (wie beim Säugling) um eine Abflussstörung. Ist dann die Nase wieder frei, werden auch die Augen besser. Außerdem gilt: Erkältungen sind stets viral bedingt, also finden sich auch am Auge vermutlich Erkältungsviren.
Wenn keine Grunderkältung vorliegt, sondern tatsächlich nur ein Auge tränt, schmiert oder rot wird, kurze Zeit später eventuell das zweite Auge auch betroffen ist, wird eine bakterielle Infektion wahrscheinlicher.
Eine Behandlung ist nicht immer nötig
Virale Augenentzündungen (also bei einer allgemeinen Erkältung): Die Augen sind nur rot, das Sekret hängt vor allem an der Innenseite der Augen (wo sich der Tränenpunkt und damit die Abflussstelle zur Nase befindet). Hier sollte die verstopfte Nase behandelt werden, das Sekret in den Augen darf mit viel Wasser und einem weichen Waschlappen gesäubert werden.
Bakterielle Augenentzündungen: Meist einseitig, meist sehr schnell verklebte Augen (komplettes Auge, nicht nur Augenwinkel) und Wimpern, oft keine Grunderkrankung findbar. Hier kann theoretisch ebenfalls abgewartet werden, denn eine bakterielle Konjunktivitis ist selbstlimitierend. Trotzdem verkürzt es die Krankheitsdauer und die Symptome, wenn mit Augentropfen oder -salben behandelt wird. Typische Wirkstoffe sind Gentamycin, Azithromycin oder Ofloxacin.
Augentropfen mindestens dreimal am Tag (besser häufiger) in beide Augen applizieren. Behandlungsdauer: Mindestens fünf Tage.
Die Unterscheidung zwischen viraler und bakterieller Augenentzündung ist nicht immer einfach, sie sollte immer ärztlich erfolgen. Leider wird (auch hier, wie bei vielen anderen Krankheitsbildern) zu schnell nach antibiotischen Augentropfen gegriffen. Ein Abwarten der Symptome von zwei oder drei Tagen ist immer vertretbar.
Ist eine Bindehautentzündung jetzt ansteckend oder nicht?
Alles ist ansteckend, nichts kommt mit der Post, sagte mein ehemaliger Oberarzt immer. Ja, Bindehautentzündungen sind immer ansteckend, wenn viral oder bakteriell (siehe oben). Aber: Wir nennen das “Schmierinfektion”, bedeutet, die Erreger werden vor allem über die Hände (oder den Schnodder an den Händen via Spielzeug) übertragen, sie “fliegen” nicht. Damit sind die Bindehautentzündungen weniger ansteckend, als der banale Schnupfen, der ihr zugrunde liegt.
Es kommt in den Kitas zu den seltsamen Situationen, in denen alle Kinder fröhlich rotzend zusammensitzen, aber wenn nur ein Äuglein ein wenig rot ist, muss das zugehörige Kind sofort und aber hallo abgeholt werden. Das ist irrational.
Hygiene ist wieder wichtig, das haben wir in der Corona-Pandemie gelernt: Bitte also regelmäßig Händewaschen, das Ins-Gesicht-fassen unterlassen und auch das Spielzeug regelmäßig desinfizieren. Eigentlich Selbstverständlichkeiten.
Ein erkranktes Kind sollte die Betreuungseinrichtung erst wieder besuchen, wenn die Rötung der Augen abgeklungen ist. Oder eben die Erkältung vorbei ist. Aber nochmal: Antibiotische Augentropfen sind in aller Regel nicht nötig, also ist eine Vorstellung beim Kinderarzt auch nicht zwingend.
Gibts Probleme?
Es gibt eine seltene virale Konjunktivitis, die Ärzt:innen Sorgen macht, die so genannte Keratokonjunktivitis, ausgelöst durch das Adenovirus. In den Anfängen schwer von anderen Entzündungen unterscheidbar, führt diese Erkrankung jedoch zu einer starken Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens, zur Entzündung der Augen sehen wir meist Schwellungen der umgebenden Gewebe, meist gibt es keine grundlegende Erkältung.
Die Keratokonjunktivitis epidemica ist in der Tat sehr ansteckend, sie kann zu Schäden am Auge führen, eine Behandlung sollte immer durch eine/n Augenärzt:in erfolgen. Dennoch bleibt sie sehr selten, wir sehen in der Praxis vielleicht einen “Ausbruch” in Kindergärten alle zwei Jahre, übrigens meist durch die Erzieher:innen ausgelöst.
Dennoch sind diese Anekdoten oft der Grund für die irrationale Angst vor Bindehautentzündungen. Wir klären gerne auf.
Kurz und knapp
- Bindehautentzündungen sind nicht gefährlich, aber ansteckend.
- Kinder zwischen zwei und sechs Jahren sind am häufigsten betroffen, bei älteren und viel kleineren Kindern liegen meist andere Ursachen für die roten Augen vor.
- Eine Behandlung ist nicht immer nötig, es wird oft übertherapiert.
- Tränenfluss alleine, auch vermehrter “Schlaf”, macht noch keine Bindehautentzündung, als Orientierung dient das Weiße im Auge: Ist es klar und nicht gerötet, liegt vermutlich auch keine Entzündung vor.
- Über eine Behandlung sollte ein/e Ärzt:in entscheiden. Frei verkäufliche “Augentrost”-Tropfen lindern nur die Beschwerden durch Anfeuchten, sie verkürzen, ebenso wie homöopathische Verrührungen, die Krankheitsdauer nicht. Wer weiß, wie schwer es ist, Kindern Augentropfen zu geben, sollte diese unnötige Manipulation lieber lassen.
(c) Bild bei levaion/pixabay (freie Lizenz)

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Dieser Beitrag kommt ja gerade recht. Wir sitzen hier in Corona-Isolation und beide Kinder haben Schnupfen. Ansonsten zum Glück kaum Symptome, ganz im Gegensatz zu uns (geboosterten) Alten.
Beim Baby (8M) sind die Augen ziemlich verklebt, außerdem hat sie hübsche rote Augenringe. Zum Glück hatte unsere KiÄ uns aber bei der Bindehautentzündung des Großen darüber aufgeklärt, dass das bei Babys bei Schnupfen passieren kann und woran es liegt. Ohne dieses Wissen hätte ich aber vermutlich direkt ne Bindehautentzündung vermutet, so kriegt man es ja überall zu hören und ohne Kinder beschäftigt man sich mit dem Thema je eher selten.
Also Danke für diese Aufklärung, sollte ich vielleicht mal im KiGa aushängen… 😉
Der Große (3J) hatte damals allerdings aufgrund bakterieller Entzündung Augentropfen bekommen. Ob man drauf hätte verzichten können, kann ich als Laie natürlich nicht beurteilen, wäre allerdings froh darüber gewesen.
Nutzt nur alles nix, man ist nur dann ein guter Doktor wenn man ein Rezept schreibt. Und dann bitte schön MINDESTENS ein Antibiotikum.
Wenn man das nicht tut, erst recht wenn man sich weigert einen „Schleimlöser“ aufzuschreiben (warum das die Kassen immer noch bezahlen ist mir ein völliges Rätsel, siehe hier die osteopathie), dann ist man ein schlechter Doktor, oder geizig. Kann man sich aussuchen….
Augen zu, Tropfen in den Augenwinkel, Augen auf … beste Methode, bekommen auch die kleinen hin 🙂🙂🙂
Danke! Gefühlt halte ich diesen Vortrag 10mal am Tag, im Winter doppelt so häufig….
Ich überlege es auszudrucken und an meine Lieblings-Kindergärten zu schicken, die, die auch einmalige abholen lassen weil es zwei mal geniest hat….
Ach ja, eine wirkliche Konjunktivitis geht mit antibiotischen Tropfen innerhalb von sieben Tagen weg, ohne dauert es eine Woche…..
So isses ✊