Für viele Eltern erscheint der empfohlene Impfplan in Deutschland unübersichtlich und überfüllt, sie sorgen sich, weil ihr kleiner Säugling von sechs bis acht Wochen mit so vielen Spritzen malträtiert wird. “Wie soll das Immunsystem das nur aushalten?”
Wir impfen die Kinder in zwei Etappen: Einmal im frühen Säuglingsalter ab der 6. Lebenswoche, hier sind es zwei oder drei Impftermine, und noch einmal um den ersten Geburtstag, hier sind es auch noch einmal drei oder vier Impftermine. Diese Vorstellungen lassen sich gut mit den Vorsorgeuntersuchungen U4 (mit 3 Monaten) und U6 (mit einem Jahr) koppeln, so dass das Kind nicht so häufig in die Kinder- und Jugendarztpraxis muß.
Impfrunde A (Beginn 6.-8. Lebenswoche) – drei Termine
- Zweimal Schluckimpfung gegen Rota-Viren. Eine Rota-Magen-Darm-Erkrankung war bis zur Einführung der Impfung der häufigsten Grund für einen Krankenhausaufenthalt kleiner Säuglinge. (Ausnahmen: Es gibt auch einen Impfstoff, der dreimal gegeben wird)
- Zweimal “Sechsfachimpfung” und gegen Pneumokokken (bei ehemaligen Frühgeborenen wird dreimal geimpft)
- Wundstarrkrampf (Tetanus) – unbestrittene Impfempfehlung gegen Infektionen bei Verletzungen
- Diphterie – In der Vorimpfära schwere Erkrankung der oberen Luftwege, die meist tötlich endete
- Keuchhusten – weiterhin häufige Ursache für Luftwegserkrankungen, insbesondere bei Säuglingen
- Hämophilus influenzae B – Erreger der Epiglottitis, einer gefährlichen Schwellung des Kehlkopfes
- Hepatitis B – Lebererkrankung, die bei Kinder oft in einer Leberzirrhose endet
- Kinderlähmung (Poliomyelitis) – schwere Erkrankung des gesamten Organismus, in vielen Ländern wieder im Vormarsch
- Pneumokokken – Erreger von Hirnhaut- und Lungenentzündungen
- Diese Impfkombinationen (Rota + Sechsfach + Pneumokokken) legen wir auf drei Termine, a) mit 6-8 Wochen, b) zur U4 und c) einen Monat später.
Impfrunde B (Beginn 10. Lebensmonat) – nochmals drei Termine
- Wiederholung der Sechsfachimpfung und Pneumokokken (6 Monate Abstand zu den o. g. zwei Impfungen)
- Zweimal Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken
- Masern – schwere Infektion mit klassischem Hautausschlag, Spätfolgen mit Entwicklungsstörungen (SSPE) sind bekannt
- Mumps – der “Ziegenpeter”, eine Entzündung der Ohrspeicheldrüse, das Virus kann in der Spätfolge zu Unfruchtbarkeit führen
- Röteln – weiterhin ein häufiger Grund für Schädigung von Embryonen im Mutterleib
- Windpocken – 20% der “harmlosen Kinderkrankheit” zeigen schwere Komplikationen
- Einmalige Impfung gegen Meningokokken C – ein Erreger der Hirnhautentzündung
- Wir impfen a) 10. Lebensmonat: 6x + PK, b) U6: MMR+V c) 13.-15. Lebensmonat: Meningokokken C + MMRV
Optionale Impfungen
- Meningokokken B – Häufigster Erregertyp in Mitteleuropa, wird dreimal geimpft, bisher keine offizielle Empfehlung der STIKO, aber der SIKO
- Meningokokken ACWY – vor allem im Ausland wichtig, allgemeine Impfempfehlung “kommt” vermutlich
- FSME – die von Zecken übertragene Frühsommermeningoenzepahlitis, im Süddeutschen dringend empfohlen (2x + 1x)
- Grippe – wird aktuell nur Kindern mit chronischen Erkrankungen empfohlen, aus infektiologischer Sicht aber allen zu geben (1x pro Jahr)
Auffrischungen
- 6. Lebensjahr: Tetanus + Diphtherie + Keuchhusten
- Jugendalter: Tetanus + Diphtherie + Keuchhusten + Kinderlähmung
- Alle zehn Jahre: Tetanus + Diphtherie + Keuchhusten
Schlußbemerkungen:
- Dies ist *unser* Impfplan in *unserer* Kinder- und Jugendarztpraxis, jede Praxis findet einen eigenen Ablauf, der mit den fMFA besprochen wird, um Abstände und Kombinationen mit Vorsorgeuntersuchungen für die Praxis (und die Eltern!) optimal zu gestalten.
- Es gibt in anderen Ländern andere Impfempfehlungen, was Auswahl der Impfstoffe und auch deren Abstände angeht (so bereits in Sachsen durch die SIKO). Eltern neigen dazu, wenn eine Impfung in einem anderen Land *nicht* empfohlen wird, diese automatisch auch in unserer Empfehlung anzuzweifeln. Dabei wird oft missachtet, dass diese Impfempfehlungen nicht automatisch besser sind, weil anders, als die Impfempfehlungen in Deutschland. Jedes Land und deren ImpfexpertInnen kommt zu anderen Entscheidungen, das ist legitim.
- (Erwähnenswert ist natürlich noch die Impfung gegen das Humane Papilloma Virus HPV, welches ab 9 Jahren geimpft wird – aber hier gehts um die Säuglingsimpfungen)
Ich fand bei uns interessant, dass Kinderärztin 1 bei K1 ganz normal die Rota-Impfung gemacht hat und Kinderärztin 2 bei K2 meinte, dass sei bei vollgestillten Kindern nicht nötig.
Beide (vollgestillten) Kinder sind unbeschadet durch die Säuglingszeit gekommen, aber irgendwie hatte ich rückblickend immer Sorge bei K2.
Wie ist denn dazu die Meinung des verehrten Hausherren?
Hallo kinderdok, auf der Startseite wird für diesen Beitrag noch der Teasertext über die re:publica angezeigt…
Ansonsten danke für den wieder sehr interessanten Artikel. Ich verstehe jeden, der sich schwertut, seinem Säugling so viele Impfungen “zuzumuten”, aber es ist trotzdem so ungemein wichtig! Der Schreck über die fiese Spritze ist schnell weg getröstet und auch ein paar Tage mit Impfreaktion (ergo Fieber) sind bei weitem besser, als die enormen Risiken der vermeintlichen Kinderkrankheiten. Vor vier Jahren habe ich in der ZEIT mal einen sehr bewegenden Artikel gelesen über ein Kind, welches sich als Säugling in der Kinderarzt-Praxis bei einem anderen, aus Nachlässigkeit der Eltern ungeimpften, Patienten angesteckt hat. Die akute Infektion hat der Säugling noch recht gut überstanden. Aber als Jugendlicher kam dann eine Gehirnentzündung als Spätfolge der Masern, die (wie fast immer) zum Tod geführt hat…
Liebe Grüße
Sören
Habe noch schnell den Artikel raus gesucht, aktuell (leider) hinter der Paywall: https://www.zeit.de/2019/18/impfungen-masern-ansteckende-krankheiten-lebensgefahr-impfpflicht
Waren wohl sogar zwei Säuglinge…
“Impfungen: Ein tödliches Versäumnis
Im Wartezimmer eines Arztes steckt ein Elfjähriger zwei Säuglinge mit Masern an. Der Junge war nicht geimpft. Eine Rekonstruktion
Von Amrai Coen und Nicola Meier
Aktualisiert am 28. April 2019,”
Danke für den Hinweis mit dem Teasertext und die Verlinkung dieser Anekdote. Geschichten, die oft vergessen werden, aber immer wieder vorkommen.