
Ich habe heute jemanden aus meiner alten Klinik getroffen. Man tauscht sich dann so aus: Wie gehts dem, und was macht denn die, und gibts noch den, und wohin hat die hingeheiratetwechselt und dergleichen mehr. Spätestens nach zwei Minuten beginnt das Lästern über den Chef – meist dem neuen – , auch wenn der zwischenzeitlich schon zehn Jahre der neue Chef ist. Es folgen die Fragen nach den neuen Schichten, der neuen Struktur, es werden die einzelnen Stationen abgeklappert, vielleicht ein wenig Ambulanzgedöns, …und plötzlich ist alles gesagt.
Plötzlich stelle ich fest, dass ich *da* nicht mehr und nie wieder hin zurück will. Nicht, dass es mich nicht kribbelt, mal wieder einen Tubus zu führen oder einen ZVK zu legen oder einen Säugling als erster Mensch Kinderarzt auf dieser Welt anzufassen, nicht, dass mir nicht die Teamarbeit fehlen würde, die Freundlichkeit der Pflegenden und die Kollegialität unter uns Assistent:innen (doch, die gab es tatsächlich). Am Ende überwiegt jedoch das Negative: Der Facharzt-Sieben-Jahres-Koller, der Wunsch, es muss etwas Neues geschehen. Die Schichterei, die Schinderei, ohje, die Nächte, die man sich um die Ohren schlug, die ausgeblendeten Tage nach den Nachtdiensten, die verquollenen Augen, die schlechte Haut, die Unausstehlichkeit. Es gab nur eine Frage, die den Tag bestimmte (“Wann darf mein Kind nach Hause”), und die einzige Frage, die der Chef bestimmte (“Ist der Brief schon geschrieben?”).
Der neue Chef, der damals tatsächlich der Neue war, hat sich über die Jahre nicht gemausert, alle weinen noch dem “Alten” nach, bei dem Pädiatrie noch Pädiatrie war, wo Eltern noch Eltern und Kinder noch Kinder und Pferde noch Pferde. Natürlich war früher alles besser, und die Eltern zufriedener und die Kinder glücklicher. So.
Jetzt bin ich mein eigener Chef, seit Jahrzehnten schon, keiner kann mir in die Parade fahren, und trotzdem bin ich immer noch der neue Kinderarzt, weil der alte, mein Vorgänger, war der Alte, wo alles noch besser war, und Eltern noch Eltern und Kinder noch Kinder und Pferde noch ein Pferde.
So sind die Zeitläufte. Während ich mich von dem alten Kollegen verabschiede, und jeder in sein entschiedenes Leben zurückkehrt, bleibt hoffentlich jeder zufrieden zurück. Ich auf jeden Fall. Ich wollte auch nach Jahren diesen Schritt nicht missen: Hin raus an die Front, zu Blähungen, Stuhlproben und Kotzerei, hin zu Zappelphilippen, Stotterern und Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Genauso raus zu den Gesunden, zu den Vorsorgen, den ganz normalen Kindern, den nicht ständig Kranken, sondern raus in eine Welt, die man sich dort drin im Elfenbeinturm gar nicht vorstellen kann. Hier draussen, hier ist das Leben der Familien. Hier sind die Eltern noch Eltern und die Kinder noch Kinder und die Pferde noch Pferde.
(Bei mir selbst geklaut und überarbeitet)
Bild bei Jörg Blanke (via CCNull, unter CC-BY2.0)
Schön 🙂
Lieber Kinderdok, ich habe heute den letzten deiner Podcasts fertig gehört. Es hat mir viel Freude gemacht, dankeschön!
Falls du Lust hast und das Thema Stoff hergibt, würde ich mich freuen, mal etwas über die Zusammenarbeit mit SPZs zu lesen. Ich komme derzeit in das zweifelhafte Vergnügen, mit meinem Kind zu einem hinzumüssen (oder hinzuwollen?), und nachdem die fünf nächstgelegenen SPZs mir alle ihren Aufnahmestopp verkündet haben und die Leitung der Kita im Dorf geschimpft hat, dass ihre Kitakiddies viel zu wenig optimiert aus dem SPZ zurückkommen und die im SPZ deswegen gar nichts taugen, (meine Formulierung, entschuldige den Sarkasmus) frage ich mich schon, was das für eine Welt ist. Und wie diese Welt aus Kinderarztperspektive aussieht.
But anyways, ich lese gerne, was du schreibst, egal worüber, und das seit über 10 Jahren 🙂
Ein schöner Post <3
Danke
<3